Angriff von Hamburg: Der Rechtsstaat darf nicht dem Schutz der Bürger geopfert werden
Deutschland wird mit Taten wie in Hamburg leben müssen. Wenn es etwas Tröstliches in der furchtbaren Attacke gibt, dann, dass sich eine wehrhafte Zivilgesellschaft gezeigt hat. Ein Kommentar.
Nicht schon wieder! Diesmal Hamburg. Im Erschrecken des ersten Augenblicks rücken wieder die Bilder nah heran. Aus Würzburg, wo vor einem Jahr ein 16-jähriger Flüchtling mit einer Axt im Nahverkehrszug fünf Menschen schwer verletzte, bevor er selbst erschossen wurde. Oder Ansbach, wo ein Anschlag mitten auf einem Musikfestival nur deswegen verhindert wurde, weil die Ordner den Täter nicht auf das Gelände ließen. So tötete seine Rucksackbombe nur ihn selbst, verletzte aber zudem 15 Menschen. Vor allem werden die Bilder der Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt wieder schmerzhaft präsent.
In Hamburg war der Täter wieder ein Asylbewerber. Ein Mensch, dem Deutschland Aufnahme und Schutz bot. Er hat diese Gastfreundschaft missbraucht, um diese freie Gesellschaft zu attackieren im Namen eines radikal-verblendeten Islam. Der Angriff wird die Ermittler beschäftigen und gewiss ein Wahlkampfthema sein. Es werden, so steht zu befürchten, wieder schnelle Schuldzuweisungen, probate Patentlösungen und böse und pauschale Attacken gegen Flüchtlinge zu hören sein. So ernst das Thema ist – niemand darf ein Interesse daran haben, die gesellschaftliche Stimmungslage mit unverantwortlich scharfmacherischen Worten aufzuheizen und einen Generalverdacht gegen Geflüchtete zu schüren.
Es muss geklärt werden, ob es Versäumnisse gab
Selbstverständlich muss geklärt werden, ob es in Hamburg Versäumnisse bei staatlichen Institutionen gegeben hat. Vor allem, wenn der Angreifer den Sicherheitskräften als radikaler Islamist bekannt war. Schließlich ist auch im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri hinterher stückweise bekannt geworden, dass es gute Gründe gegeben hätte, ihn vor seiner Tat festzunehmen und abzuschieben – zumal er einen gültigen Pass besaß.
Die Bevölkerung muss sich darauf verlassen können, dass Sicherheitsbehörden ihre Arbeit qualifiziert und effektiv leisten und das dafür notwendige Personal und die Mittel haben. Es darf nicht sein, dass eine Überwachung wie in Berlin im Fall Amri eingestellt wird, weil Polizisten dringend andere Aufgaben erledigen müssen. Das gilt umso mehr, als die Gefahr von Terrorattacken hierzulande gerade wegen des Verlusts des IS-Kalifats im Irak und in Syrien zunimmt. Doch an der Effektivität mancher Behörden kann man zweifeln. Da ist aktuell etwa die Freilassung von islamistischen Hetzern in Mecklenburg-Vorpommern, weil Polizei und Staatsanwaltschaft eine rechtzeitige Haftprüfung versäumten.
Bei allen Vorschlägen, wie Terrorunterstützern begegnet werden kann, muss es trotzdem Konsens sein, dass in der Bedrohung nicht der demokratische Rechtsstaat geopfert wird. Die kürzlich von Bayern beschlossene Präventivhaft, die ohne Anklage bis auf ein Jahr ausgedehnt werden kann, ist eine Grenzüberschreitung. Kritisch sehen kann man auch die Pflicht zum Tragen einer elektronischen Fußfessel. Die juristische Niederlage der Bundesregierung bei der zu weitreichenden Übermittlung von Fluggastdaten an Kanada ist eine Warnung.
Mit jeder Tat wird klarer: Unser Land ist verwundbar
Von der Wirksamkeit der Mittel zu schweigen: Wie sich 2015 in Berlin zeigte, kann eine elektronische Fußfessel keine Attacke verhindern. Ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Abschiebung von Gefährdern zulässt, auch wenn die noch keine Straftat begangen haben, belegt aber, dass diese Demokratie rechtlich einwandfreie Mittel hat und nicht wehrlos ist.
Mit jedem Anschlag wird den Menschen deutlicher, dass Deutschland verwundbar ist. Das ist kein beruhigender Gedanke. Viele Attacken mögen im Vorfeld verhindert werden, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt – aber das gelingt eben nicht immer. Damit müssen wir leben, so schwer das fällt. Wenn es etwas Tröstliches in der furchtbaren Attacke von Hamburg gibt, dann ist es, dass sich eine im besten Bürgersinne wehrhafte Zivilgesellschaft gezeigt hat. Mehrere Hamburger besiegten ihre Angst um sich, überwältigten den Angreifer und verhinderten so weitere Opfer. Solche Helden braucht die Demokratie.
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