Joe Cool: Der neue US-Präsident als Taktgeber der G7
Von wegen Übergangspräsident. Joe Biden mischt mit 78 den G-7-Gipfel auf. Manche feiern ihn als Retter des Westens. Kann er das einlösen? Eine Analyse.
Er ist 78 Jahre alt, sein Auftreten ist unspektakulär und berechenbar. Und doch wird US-Präsident Joe Biden beim G-7-Gipfel wie der Retter des Westens empfangen: der Mann, der Angela Merkel jetzt als Anführerin der freien Welt ablösen soll; sie verlässt die Bühne nach der Bundestagswahl.
In einer Umfrage des Pew-Instituts haben die Deutschen mehr Vertrauen zu ihm (78 Prozent) als zu ihrer Kanzlerin (76 Prozent). Der britische Premier Boris Johnson preist Biden in höchsten Tönen: Mit ihm komme „a big breath of fresh air“, eine kräftige Brise frischer Wind, in die internationale Politik.
Was ist dran am Hochglanzbild des Joe Biden? Und wo trügt es?
Der wohl wichtigste Grund, warum ein US-Präsident jetzt wieder als die natürliche Führungsfigur taugt: Joe Biden ist nicht Donald Trump. Und er hat den Antidemokraten in einer Wahl besiegt.
Ansonsten ist es oft so, dass die Bürger eines Landes vertrauenswürdige ausländische Führungsfiguren besser bewerten als den eigenen Regierungschef. Insgesamt aber liegt Merkel in der Pew-Umfrage in 16 Ländern leicht vor Biden (77 zu 74 Prozent). Der 78-Jährige erhält in Deutschland und den meisten anderen Ländern zwar deutlich höhere Zustimmungswerte als Trump; das Vertrauen in den US-Präsidenten stieg nach dem Machtwechsel von zehn auf 78 Prozent. Biden erreicht aber nicht Barack Obamas Zahlen bei dessen Amtsantritt 2009 (93 Prozent).
Interessant ist, bei welchen der erfragten Charaktereigenschaften Biden klar vor Trump liegt. Er sei sehr qualifiziert für seine Aufgabe, sagen 77 Prozent der Befragten. Er gilt als starke Führungsfigur (62 Prozent), kaum jemand empfindet ihn dagegen als gefährlich (14 Prozent) oder arrogant (13 Prozent).
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]
Bei der Beurteilung der US-Außenpolitik zeigt sich allerdings ein differenziertes Bild. Multilaterales Vorgehen wie das verstärkte Engagement für den Klimaschutz oder die Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation wird begrüßt. Aber der Eindruck, dass es den USA bei ihrem internationalen Engagement vor allem um ihre eigenen Interessen geht, bleibt weitverbreitet. Biden hat den US-Bürgern eine Außenpolitik für den Mittelstand versprochen. Hinzu kommt: Die USA gelten bei den meisten Befragten nicht mehr als Vorbild in Demokratie. Lediglich 17 Prozent betrachten die USA da als nachahmenswert. Nur elf Prozent nennen sie einen „sehr vertrauenswürdigen Partner“. 56 Prozent sagen, Amerika sei „eher vertrauenswürdig“.
Wie ist sein Verhältnis zu Großbritannien?
Die Beziehungen sind komplizierter, als es Johnsons Lob für den frischen Wind nahelegt. Persönlich sind die beiden über Kreuz. Johnson hatte bei der US-Wahl 2020 auf einen Trump-Sieg gesetzt. Umgekehrt sieht Biden im Brexit einen Fehler und hegt Misstrauen gegen Johnsons populistischen Stil.
Das wichtigste Motiv für Johnsons Kuscheln mit Trump: Nach dem Brexit brauchte er dringend einen Freihandelsvertrag mit den USA. Mit dem Austritt verlor Großbritannien die Vergünstigungsklauseln, die die EU für ihre Mitglieder mit Wirtschaftspartnern vereinbart hatte. Die Ironie der Geschichte: Trump hielt Johnson hin. Erst mit Bidens Amerika gelang jetzt zumindest ein Grundsatzvertrag über die Beziehungen. Er wird überverkauft als Neuauflage der „Atlantic Charter“, die Präsident Roosevelt und Premier Churchill 1941 unterzeichnet hatten, um Hitler entgegenzutreten. Und als Bekräftigung der „special relationship“ – ein Begriff, den Johnson nicht mag. Auf das Freihandelsabkommen muss Johnson noch warten.
Zudem mahnt Biden ihn, den Frieden in Nordirland nicht zu gefährden. Johnson spielt mit dem Feuer, wenn er die Absprache mit der EU infrage stellt, dass die Handelsgrenze zwischen dem Königreich und der EU mitten durch Großbritannien verläuft: im Meeresarm zwischen England und der britischen Provinz Nordirland – und nicht mitten durch die irische Insel. Die politische Grenze zwischen der Republik Irland (EU) und Nordirland (GB) darf nach dem Karfreitags-Abkommen keine harte Grenze sein.
Innenpolitisch hat Johnson Interesse an Bildern der Harmonie mit Biden. Und da vom G-7-Gipfel das Signal der Wiederbelebung des Westens als Einheit ausgehen soll, insbesondere an Russland und China, möchte auch Biden keinen Zwist offen zeigen. Im Umgang mit China verbindet sie vieles. Anders als die Vorgänger in London hat Johnson die Kooperation mit Peking bei Kraftwerken, Infrastruktur und anderen Großprojekten reduziert und kritisiert Chinas Umgang mit Hongkong, Tibet und den Uiguren.
Wie ist Bidens Beziehung zu Angela Merkel?
Am Freitag verkündete das Weiße Haus, dass Biden die Bundeskanzlerin am 15. Juli im Weißen Haus empfangen werde. Auch wenn es laut Bundesregierung nur ein „Arbeitsbesuch“ sein wird, wäre sie nach heutigem Stand die erste europäische Staats- oder Regierungschefin, der diese Ehre zuteilwird. Bislang hat Biden, auch wegen Corona, erst zwei ausländische Staats- und Regierungschefs im Weißen Haus empfangen: Japans Ministerpräsidenten Yoshihide Suga und Südkoreas Präsident Moon Jae In. Zu Wochenbeginn war Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg da, um den Gipfel am kommenden Montag vorzubereiten.
Aufmerksam registriert wurde, dass Biden in seinem Gastbeitrag in der „Washington Post“ vor seiner Europa-Reise zwar die „special relationship“ mit Großbritannien hervorgehoben hatte, aber Deutschland mit keinem Wort erwähnte. Bislang steht auch kein bilaterales Treffen mit Merkel auf der Wochenvorschau des Präsidenten. Es wird aber erwartet, dass die beiden sich beim G-7-Gipfel bilateral zusammensetzen.
Biden kennt Merkel schon lange, sie sind sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz mehrfach begegnet. Nun trifft er erstmals als US-Präsident mit ihr zusammen. Ihr Verhältnis zum Vorgänger galt als zerrüttet. 2017 und 2018 war Merkel bei Trump in Washington, ein drittes Mal hatte sie erkennbar keine Lust darauf. Dabei hätte es genügend zu besprechen gegeben. Denn Trump machte Deutschland an vielen Punkten schwere Vorwürfe, etwa wenn es um die Verteidigungsausgaben oder die unausgeglichene Handelsbilanz ging.
Probleme bestehen weiter, so bei Nord Stream 2 und dem Umgang mit China sowie im transatlantischen Handel. Aber beide Seiten sind offenkundig bemüht, das konstruktiv zu verhandeln.
Welche Rolle spielt Emmanuel Macron?
Frischer Wind trägt nicht ewig. Diese Erfahrung hat Emmanuel Macron gemacht. Er hatte sein Amt 2017 angetreten, kurz nach Trump, und strahlte den Ehrgeiz aus, er wolle Madame Merkel als erste Adresse der USA in Europa ersetzen. Heute strahlt sein Stern nicht mehr so hell. Ob ihm 2022 die Wiederwahl gelingt, ist offen.
Auch seinen Führungsanspruch in der EU kann er selten durchsetzen. Bei einigen Themen des Gipfels positioniert er sich näher an Biden als Merkel, darunter die Freigiebigkeit bei Coronaimpfungen für die Welt, härterer Umgang mit China, Kooperation im Kampf gegen Islamisten in Afrika. Zudem hat Paris einen dezidiert frankophilen Ansprechpartner im Team Biden: Außenminister Antony Blinken.
Wie viel Gewicht hat Mario Draghi?
Italien zählt zu den Staaten, die wegen interner Krisen seit Jahren unter ihrem internationalen Potenzial agieren. Mit Mario Draghi als Regierungschef hat sich das verbessert. Der langjährige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) ist international angesehen und bestens vernetzt.
Angesichts der Vielzahl heimischer Baustellen – Corona hat die Krisenanfälligkeit sowohl des Gesundheitswesens wie der Wirtschaft gezeigt – bleibt Draghi wenig Zeit und Energie für Internationales. Nach einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) wird Rom sich enger als früher an gemeinsamen Strategien mit den EU- Partnern und den USA orientieren und weniger Ehrgeiz für nationale Verständigungen mit China und Russland zeigen.
Welchen Einfluss hat Japans Regierungschef?
Japan spielt die zentrale Rolle im Umgang mit China. Ministerpräsident Yoshihide Suga war Bidens erster ausländischer Gast im Weißen Haus, Südkoreas Präsident der zweite. In Bidens Prioritätenliste ist Asien keineswegs zurückgefallen, auch wenn seine erste Auslandsreise nach Europa führt. Er knüpft an Obamas China-Strategie an. Sie sollte Peking durch die Transpazifische Partnerschaft (TPP) einhegen. Das Wirtschaftsabkommen setzte Standards für Handel, Arbeitsbedingungen und Wettbewerb.
Trump zog die USA aus dem Bündnis zurück, weil TPP angeblich die Interessen der US-Arbeiter zu wenig berücksichtigte – gegen das intensive Drängen des damaligen Premier Shinzo Abe. Der hielt dann die übrigen TPP-Partner auch ohne die USA zusammen. Die Demokratien in Asien – Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland – bilden das in Europa oft übersehene Glied in Bidens Konzept eines Bündnisses aller Demokratien zur Selbstbehauptung gegen autoritäre Mächte.
Wie ist die Chemie mit Kanadas Premier Trudeau?
Interessant ist das Verhältnis der USA zu ihrem nördlichen Nachbarn. In der aktuellen Umfrage „Transatlantic Trends“ des German Marshall Fund und der Bertelsmann Stiftung wird Kanada als der vertrauenswürdigste Partner bezeichnet. 75 Prozent der Befragten in elf Ländern sehen das so, an zweiter Stelle folgt Deutschland (73 Prozent), die USA kommen erst an achter Stelle mit 60 Prozent. Unter Trump hatten die Beziehungen zu Kanada gelitten.
Biden will das Verhältnis mit Premierminister Justin Trudeau wieder reparieren. Anders als viele Vorgänger besuchte Biden aber nicht Kanada als erstes Land, sondern Großbritannien. Zudem bezog Kanada seinen Impfstoff bisher aus Europa, nicht aus den USA.
Ärger rief hervor, dass die Biden-Regierung gleich zu Beginn die umstrittene Keystone-XL-Pipeline stoppte. Auch Bidens „Buy American“-Appell stieß die Nachbarn vor den Kopf. Bei einem virtuellen Treffen kurz nach Bidens Amtsantritt betonten beide ihre traditionell engen Verbindungen und betonten, sie wollten bei den Themen Klimawandel, Pandemie und China eng zusammenarbeiten.
Welche Erfolge möchte Biden mit nach Hause nehmen?
Das wichtigste Ergebnis für ihn wäre, wenn Biden den US-Bürgern nach der Reise überzeugend erklären könnte, dass Allianzen ein Gewinn für die USA sind und nicht eine Belastung, die viel koste und wenig Nutzen bringe, wie Trump behauptet hatte.
Möglichst konkret sollten die Beispiele sein, wo die USA und ihre Partner an einem Strang ziehen.