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Nach dem Atomabkommen reichen sich US-Außenminister John Kerry und sein iranischer Kollege Javad Zarif die Hände.
© AFP

Atom-Abkommen mit Iran: Der neue Nahe Osten

Das ist eine Zäsur! Amerika und Deutschland machen Politik gegen die elementaren Sicherheitsdoktrinen von Israel und Saudi-Arabien. Trotzdem ist das Atomabkommen richtig, weil wegweisend. Ein Kommentar.

Das Regime in Teheran ist ein Hauptsponsor des Terrorismus. Es bedroht den Staat Israel, die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten, mit Vernichtung. Es drangsaliert seine Bevölkerung, verfolgt Minderheiten, foltert und ermordet Oppositionelle. Es betreibt eine aggressive und skrupellose Expansionspolitik. Es narrt Atominspektoren, belügt die Weltöffentlichkeit in Bezug auf sein nukleares Programm. Wer mit dieser Diktatur zu tun hat, muss doppelt vorsichtig sein, doppelt wach und doppelt resolut.

Trotzdem ist das Abkommen, das die fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland erzielt haben – man mag das pathetische Wort kaum noch hören –, historisch. Das höchste völkerrechtliche Gremium, in dessen Händen Entscheidungen über Krieg und Frieden liegen, ist über alle Irakkriegs- und Ukrainekrisen geschlossen geblieben, hat Spaltungsversuche von außen ebenso überstanden wie massive diplomatische Interventionen. Das gleicht einem Wunder.

Zum ersten Mal ist es offenbar gelungen, die Mullahs auf dem Weg zur Atombombe zu stoppen

Zum ersten Mal ist es nun offenbar gelungen, die Mullahs auf ihrem Weg zur Atombombe zu stoppen. Die Zahl der Zentrifugen wird um zwei Drittel reduziert, die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde haben Zugang zu allen Stätten, das UN-Waffenembargo bleibt weitere fünf Jahre in Kraft. Im Gegenzug werden schrittweise die Sanktionen aufgehoben, können aber bei Verstößen gegen das Abkommen jederzeit wieder wirksam werden. Kritiker bemängeln, dass Irans nukleare Infrastruktur weitgehend unangetastet bleibt. Das ist ein gravierender Einwand, aber dieses Entgegenkommen war nötig, damit es überhaupt ein Abkommen gibt.

Wäre kein Abkommen besser gewesen als dieses, wie insbesondere die Regierungen in Saudi-Arabien und Israel sowie Amerikas Republikaner behaupten? Es lohnt ein Blick auf die Alternativen. Da ist, erstens, die militärische Lösung. Die scheidet aus, weil Irans Nuklearanlagen tief unter die Erde verlegt und die Flugabwehrsysteme modernisiert wurden. Da ist, zweitens, der Cyberkrieg. Obwohl Stuxnet sehr erfolgreich war, lässt sich eine Wiederholung solcher Erfolge nicht garantieren. Da sind, drittens, die Sanktionen. Die haben weder bei Saddam Hussein noch Slobodan Milosevic gewirkt, weder in Kuba noch in Nordkorea, weder in Simbabwe noch dem Sudan. Wer auf Sanktionen setzt, setzt allein aufs Prinzip Hoffnung.

Bleibt Option vier: kein Abkommen. Das aber hieße, der Iran kann weiter an den Fähigkeiten für den Bau einer Bombe bauen, seine knapp 20 000 Zentrifugen in Betrieb nehmen, Uran nach Belieben anreichern, ohne Kontrolle und Einflussmöglichkeiten von außen. Die Wahrheit ist: Ohne ein Abkommen käme der Iran schnell und ungehindert zur Bombe. Ohne ein Abkommen würden weder die Zahl der Menschenrechtsverletzungen reduziert noch die antisemitische Propaganda Teherans beendet. Kein Abkommen löst gar kein Problem.

Das Abkommen hat weitaus mehr Potenziale

Das jetzt in Wien ausgehandelte Abkommen indes hat neben der deutlichen Reduktion der atomaren Kapazitäten des Iran weitaus mehr Potenziale. Wozu braucht Amerika noch seine Raketenabwehr in Europa? Warum muss Russland sein Atomarsenal als Antwort auf diese Raketenabwehr ausbauen? Lässt sich eine neue Front gegen die sunnitischen IS-Terrormilizen schmieden? Gerät Irans Gleichgewicht aus Pragmatikern und Ideologen zugunsten der Ersteren ins Wanken? Eine neue offene Dynamik kommt in die nahöstlichen Strukturen. Das ist nur zu begrüßen.

Die Verlierer des Abkommens sind Saudi-Arabien und Israel. Dass je eine US-Regierung – mit Deutschland an ihrer Seite – gegen elementare Sicherheitsdoktrinen dieser beiden Länder Politik machen würde, ist eine Zäsur. Dazu beigetragen hat auch der selbstisolationistische Kurs von Benjamin Netanjahu. Gerade deshalb sollten zwei Prinzipien des Westens erneut unmissverständlich bekundet werden: Der Iran darf nie die Bombe bekommen, und die Sicherheit Israels bleibt unverhandelbar.

Malte Lehming

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