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Frank-Walter Steinmeier, Federica Mogherini, Mohammad Javad Zarif, Philip Hammond und John Kerry nach dem Abkommen auf dem Weg zum gemeinsamen Foto.
© REUTERS

Atomabkommen mit dem Iran: Was vereinbart wurde und welche Widerstände noch drohen

Ende des Atomstreits nach 13 Jahren: Das Atomabkommen mit Iran ist ein historischer Schritt. Worauf haben sich die Kontrahenten genau verständigt? Was wird Israel gegen die Vereinbarung tun? Fragen und Antworten zum Thema des Tages.

Auf Krücken ging US-Außenminister John Kerry zum Foto mit seinen Amtskollegen. Trotz seines Beinbruchs vor sechs Wochen hat der 71-Jährige voller Energie in einem abschließenden 18-tägigen Verhandlungsmarathon ein Atomabkommen mit dem Iran erreicht, das in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Was genau wurde bei den Verhandlungen vereinbart?

Die Übereinkunft soll sicherstellen, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Die Kontrahenten einigten sich auf tiefe Einschnitte in Irans Nuklearprogramm und auf verschiedene Kontrollen mit Laufzeiten von bis zu 25 Jahren. Mehr als zwei Drittel der iranischen Zentrifugen werden unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur IAEA gestellt. Weiter werden 95 Prozent des angereicherten Urans außer Landes gebracht oder vernichtet, der Bestand bleibt für 15 Jahre auf 300 Kilogramm streng begrenzt. Zudem akzeptiert Teheran harte Restriktionen bei der Gewinnung von atomwaffentauglichem Plutonium. Alles, was vereinbart ist, wird „lückenlos“ überwacht. Die IAEA werde überall dort Zugang bekommen, wo sie ihn brauche, heißt es.

Als Gegenleistung für die tiefen Einschnitte in Irans Atomprogramm werden die umfangreichen internationalen Wirtschaftssanktionen gegen das Land phasenweise abgebaut. Es geht um die Sanktionen gegen den Ölsektor, gegen finanzielle Transaktionen, gegen den Schiffs- und Flugverkehr und die Blockierung großer Auslandsguthaben. Experten gehen von mehr als 100 Milliarden US-Dollar aus, die eingefroren sind. Irans Regierung beziffert den bisherigen Verlust im Ölgeschäft auf vier bis acht Milliarden US-Dollar pro Monat. Sollte der Iran gegen die vereinbarten Regeln verstoßen, können Sanktionen umgehend wieder in Kraft treten – auch ohne neuen Beschluss des UN-Sicherheitsrats.

Welches Interesse hat Iran und welche Widerstände gab es?

Außenpolitik ist Innenpolitik, hatte Ruhani von Anfang an als Leitmotiv seiner Präsidentschaft ausgegeben. Nach einer Atomeinigung werde sich auch das gesellschaftliche Leben in dem Gottesstaat lockern lassen, lautet das Kalkül der moderaten Führung. Denn vor allem die jungen Leute leiden unter erdrückender Arbeitslosigkeit und haben die religiös-ideologische Gängelei satt. Kein Wunder, dass die konservativen Widersacher des Präsidenten in Justiz, Parlament und Revolutionären Garden bisher alles taten, um einen Atomkompromiss zu torpedieren und die ultraorthodoxe islamische Gesellschaftsmoral in ihrem Sinne festzuzurren. In Zeitungen der Hardliner wurde Chefunterhändler Mohammad Javad Zarif als „Schauspieler“ verunglimpft, der seine Grenzen nicht kenne. Seit Jahresbeginn ließ die Justiz 206 Menschen hinrichten, darunter auch politische Gefangene. Hunderte Studenten, Journalisten, Bürgerrechtler, Frauenrechtlerinnen, Künstler, Anwälte und Angehörige von ethnischen Minderheiten wurden festgenommen unter dem Vorwand, sie hätten „Propaganda gegen das System gemacht“. Die Mehrheit der Bevölkerung begrüßt das Ende des Atomkonflikts, der die iranische Wirtschaft gerade in den letzten Jahren vollends in die Knie zwang. Hyperinflation, zweistellige Arbeitslosigkeit und Rezession lassen viele der 77 Millionen Bürger verzweifeln, von denen die Hälfte jünger als 30 Jahre ist.

Was sind die wirtschaftlichen Folgen?

Der Erfolg in Wien könnte der Islamischen Republik bald einen beispiellosen Investitionsboom bescheren. Zahlreiche europäische Nationen waren bereits mit großen Delegationen in Teheran, vor allem Autohersteller und Pharmakonzerne. Am kommenden Sonntag hat sich auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kurzfristig angesagt. Dem Iran fehlen mindestens 100 neue Passagierflugzeuge. Seine Öl- und Gasindustrie hat einen Investitionsrückstau von 50 bis 100 Milliarden Dollar. Die Hälfte der 20 Millionen Autos ist inzwischen mehr als 25 Jahre alt. „Iran wird ein Riesengeschäft“, frohlockt ein westlicher Wirtschaftsexperte. „Die Islamische Republik ist eine Goldgrube.“

Was bedeutet der Deal für US-Präsident Barack Obama?

Das Abkommen mit dem Iran ist die Erfüllung von Barack Obamas wichtigstem außenpolitischen Ziel. Angesichts des traumatischen Verhältnisses der USA zu Iran wird das Abkommen neben der Normalisierung mit Kuba eine Säule seines politischen Vermächtnisses sein.

Was wäre die Alternative zu dem Deal?

Gäbe es kein Übereinkommen, besteht die Gefahr, dass der Iran seine Bemühungen um die Bombe noch verstärkte. Und nicht zu Unrecht weist der US-Präsident auf die Alternative einer militärischen Option hin. Israel hat unmissverständlich erklärt, eine iranische Bombe nicht zu dulden. Nur mit Mitteln der digitalen Kriegsführung, die Israel anwendet, wäre Teheran aber nicht zu stoppen. Im Kriegsfall jedoch stehen die Vereinigten Staaten fest an der Seite Israels. Amerika liefert nicht nur Waffensysteme und wichtigste Kriegslogistik. Amerika wäre auch als Kampfgefährte gefragt. Daran lässt in Jerusalem niemand einen Zweifel. Die USA könnten in einen Nahostkrieg ganz anderer Dimension verwickelt werden.

Wie groß ist der Widerstand in den USA?

Eines hat Obama am Dienstagmorgen unmissverständlich klargemacht: Das Abkommen entscheidet über Krieg oder Frieden. Sollte der Kongress, der jetzt 60 Tage Zeit hat, das Abkommen zu prüfen, gegen die Vereinbarung stimmen, dann werde er dies nicht akzeptieren: „Ich werde gegen jede Gesetzgebung, die die Umsetzung des Deals verhindert, mein Veto einlegen.“ Der Widerstand gegen das Abkommen ist stark in den Reihen der Republikaner. John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses, hatte noch am Vorabend gesagt, ein „Patt“ mit dem Iran sei einem schlechten Deal vorzuziehen, insinuierend, der aufkommende Deal werde ein schlechter sein. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, Bob Corker, warnte, Teheran werde „scheibchenweise betrügen“. Auch demokratische Senatoren und Abgeordnete stehen dem Abkommen sehr skeptisch gegenüber.

Dennoch: Sollte der Kongress das Abkommen ablehnen und Obama in der Folge sein Veto einlegen, geht man in Washington davon aus, dass Obama genug Rückhalt in seinen eigenen Reihen im Senat haben wird, um die Überstimmung seines Vetos wiederum zu verhindern.

Was sagt Israels Regierung?

Für die politische Führung in Jerusalem ist die Sache klar: Die Einigung mit dem Iran ist ein historischer Fehler. Und die Welt, allen voran die USA, hat sich von Teheran über den Verhandlungstisch ziehen lassen. Dass es so kommen würde, darüber war sich Regierungschef Benjamin Netanjahu schon lange im Klaren. Was ihn nicht daran hinderte, in den vergangenen Wochen gegen das sich ankündigende Abkommen mit alarmistischen Worten zu Felde zu ziehen. Obama hat das kaum beeindruckt. Er hält Israels Ministerpräsidenten ohnehin für einen notorischen Störenfried, der eigene machtpolitische Interessen über das Gemeinwohl stellt.

Doch ganz so einfach liegen die Dinge dann doch nicht. Netanjahu steht mit seiner Haltung nicht allein da. Viele seiner Landsleute, einschließlich der Opposition, halten den Iran für eine gefährliche Großmacht. Mehrfach haben die Herrscher in Teheran dem jüdischen Staat mit Vernichtung gedroht. An dessen Grenzen werden nach Einschätzung von Experten Feinde wie die Hamas und die Hisbollah mit iranischem Geld hochgerüstet. Und man glaubt nicht daran, dass die Iraner tatsächlich echte Kontrollen ihrer Atomanlagen zulassen werden.

Was wird Israel gegen den Deal unternehmen?

Benjamin Netanjahu wird in den kommenden Wochen alles tun, um Front gegen die Übereinkunft zu machen. Er wird vermutlich versuchen, seine engen Kontakte zur amerikanischen Politik zu nutzen. Beobachter erwarten, dass er nun alles daransetzt, Republikaner wie Demokraten von seiner Sichtweise zu überzeugen – und auf diesem Weg das Abkommen doch noch zu Fall zu bringen. Ob ihm das gelingt, ist allerdings fraglich.

Was sagen andere Experten?

Nach Einschätzung des Rüstungskontrollexperten Oliver Thränert ist die Vereinbarung zwar nicht optimal. “Aber immerhin wird der Iran jetzt zu mehr Offenheit und Transparenz verpflichtet.” Auch werde festgelegt, dass Teheran seine Urananreicherung stark einschränken muss und somit in den nächsten Jahren nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangen kann. Das sei ein diplomatischer Erfolg. “Andere Optionen, etwa die Islamische Republik gewähren zu lassen oder militärisch einzugreifen, wären deutlich schlechter gewesen”, sagt der Leiter des Think Tanks am Center für Security Policy der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Entscheidend sei allerdings, dass sich Teheran tatsächlich an die Übereinkunft hält. Das gelte vor allem für die vorgesehenen Kontrollen durch die Atomenergiebehörde. Thränert verwies im Gespräch mit dem Tagesspiegel zudem darauf, dass Saudi-Arabien als regionaler Rivale des Iran mit der Wiener Einigung wohl nicht zufrieden sein wird. “Deshalb ist es denkbar, dass Riad versuchen wird, sich Optionen für den Erwerb von Nuklearwaffen zu verschaffen.”

Auch der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft äußerte sich skeptisch. „Ich kann nicht in den optimistischen Chor der Befürworter des Atomdeals einstimmen, weil das Abkommen zunächst einmal nur bedrucktes Papier ist“, sagte Reinhold Robbe dem Tagesspiegel. Erst die Praxis werde zeigen, welche "politische Halbwertzeit“ die Vereinbarung tatsächlich haben kann. Schon jetzt seien Mängel offensichtlich, zum Beispiel das Vetorecht der iranischen Regierung bei Inspektionen der Atomanlagen durch die  westlichen Kontrolleure.

Robbe verwies außerdem darauf, dass der Iran „bis zum heutigen Tag terroristische Organisationen wie die Hisbollah im Libanon und die Hamas in Gaza massiv unterstützt“. Ebenso erkläre Teheran immer wieder, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen. „Diese Vernichtungsstrategie hat offensichtlich bei den Verhandlungen bedauerlicherweise keine Rolle gespielt.“

M. Gehlen, Ch. Böhme

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