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Frank Jürgen Weise, Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit.
© Maurizio Gambarini/dpa

BA-Chef Frank Jürgen Weise im Interview: „Der Mindestlohn war richtig“

Der Arbeitsmarkt hat die Einführung des Mindestlohns gut verkraftet - und das deutsche Jobwunder wird noch eine Weile anhalten, weil die Wirtschaft stabil bleibt. Das sagt der Chef der Arbeitsagentur Frank Jürgen Weise im Tagesspiegel-Interview.

Herr Weise, seit Jahren ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland niedrig, während es in vielen europäischen Nachbarländern kriselt. Können Sie das deutsche Jobwunder erklären?
Das deutsche Jobwunder liegt zum einen an den tüchtigen und flexiblen Arbeitnehmern. Arbeit gilt als etwas Gutes, auch wenn die Bedingungen beim Einstieg vielleicht nicht ideal sind. Zum anderen sind unsere Produkte und Dienstleistungen so überzeugend, dass die ganze Welt sie kauft.

Ist diese Entwicklung denn von Dauer oder droht nicht irgendwann der Einbruch auf dem Arbeitsmarkt?
Natürlich wird so eine positive Entwicklung nicht ewig andauern. Irgendwann wird es auch wieder schwierigere Zeiten geben. Im Moment deutet allerdings nichts darauf hin, dass dies in nächster Zeit sein wird. Ich kann nachempfinden, dass viele den Eindruck haben, dass auch hier die Lage unsicherer geworden ist, mit der Euro-Krise und der Ukraine. Aber die Wirtschaft bleibt stabil. In Deutschland sind derzeit 43 Millionen Bürger erwerbstätig. Ihre Zahl wird weiter wachsen.

Im Februar lag die Zahl der Arbeitslosen bei drei Millionen. Wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr deutlich unter die Drei-Millionen-Marke sinken?
Ja. In der Regel stellen die Firmen nach Ostern ein. Wir erwarten, dass die Arbeitslosigkeit schon im März unter die Drei-Millionen-Marke geht. Sie kann in diesem Jahr zeitweise auch in die Nähe von 2,7 Millionen kommen.

Spüren die deutschen Unternehmen denn gar nicht die Folgen der Sanktionen gegenüber Russland, die wegen des Ukraine-Konflikts verhängt worden sind ?
Wir bekommen im Moment vermehrt Beratungsanfragen zur Kurzarbeit von Firmen, die Geschäftsbeziehungen nach Russland haben. Das heißt: Einzelne Betriebe haben offenbar schon Schwierigkeiten. Aber die gute Wirtschaftsentwicklung gleicht diese Probleme in den meisten Fällen aus.

Vom Boom am Arbeitsmarkt haben Langzeitarbeitslose in den letzten Jahren nicht profitiert. Müssen wir auf Dauer mit einem Sockel an Arbeitslosen leben, die einfach nicht aus Hartz IV rauskommen?
Zu den Schattenseiten des deutschen Jobwunders gehört, dass zu wenig Langzeitarbeitslose einen Job gefunden haben. Wir haben mehr als 200 000 Menschen, die seit zehn Jahren in Hartz IV sind und nie gearbeitet haben. Ich persönlich bin der Auffassung, dass hier ein subventionierter Arbeitsmarkt Sinn machen kann. Es ist besser, diesen Menschen eine öffentlich geförderte Arbeit zu geben, als sie auf Dauer in der Arbeitslosigkeit zu lassen.

Manche Firmen klagen mittlerweile darüber, dass ihnen die Fachkräfte ausgehen. In welchen Bereichen gibt es Probleme?
Im verarbeitenden Gewerbe wird es richtig eng. Wir suchen händeringend Arbeitskräfte in den technischen Berufen, etwa in der Metallverarbeitung oder der Elektrotechnik. Da sehen wir beim klassischen Facharbeiter großen Bedarf.

Wie gefährlich ist der Fachkräftemangel für den Standort Deutschland?
Auf Dauer gefährdet das die Wettbewerbsfähigkeit. Wir spüren die Fachkräfteengpässe schon jetzt. Selbst in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit bleiben inzwischen manche Stellen sehr lange offen, auch in Ostdeutschland, etwa in Dresden und Leipzig. Diese Entwicklung wird zwar dadurch gemildert, dass inzwischen viele Zuwanderer nach Deutschland kommen. Aber die Engpässe werden sich wegen der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren verschärfen.

Viele Stellen passen nicht zu Langzeitarbeitslosen - da kann Zuwanderung helfen

Brauchen wir also deutlich mehr Zuwanderung nach Deutschland?
Für mich ist natürlich Priorität Nummer eins, diejenigen, die keine Arbeit haben, in den Arbeitsmarkt zu bringen. Aber viele der offenen Stellen passen nicht zu den Profilen der Langzeitarbeitslosen. Da kann Zuwanderung helfen.

Die Politik debattiert über ein Einwanderungsgesetz, um Zuwanderung nach Deutschland besser steuern zu können. Halten Sie ein solches Gesetz für nötig?
Die meisten Zuwanderer kommen aus EU-Ländern. Für die brauchen wir keine neuen Regeln auf dem Arbeitsmarkt, sondern praktische Hilfe. Es überfordert viele Leute, wenn sie in Erstkontakt mit der deutschen Bürokratie kommen. Die ordnungsgemäße Anmeldung bei den Behörden, die Suche nach einer Wohnung und einem Kitaplatz, die Wahl der Krankenkasse, in der Summe ist das alles nicht so einfach. Wir brauchen in den Kommunen Ansprechpartner, die diese Menschen unterstützen.

Brauchen wir denn ein moderneres Zuwanderungsrecht für die Leute, die aus Ländern außerhalb der EU zu uns kommen wollen?
Für gut qualifizierte Zuwanderer aus Drittstaaten kann ein Einwanderungsgesetz Sinn machen. Sie stehen zum Teil schon vor hohen Hürden, wenn sie nach Deutschland kommen wollen. Im Moment macht die beruflich motivierte Zuwanderung aus Drittstaaten aber nur fünf Prozent der Zuwanderung insgesamt aus.

Nach Deutschland kommen auch zunehmend Flüchtlinge. Sind unter ihnen nicht auch die Ärzte oder Ingenieure, die hier benötigt werden?
Teilweise ja, und das wollen wir stärker nutzen. Seit dem vergangenen Sommer versuchen wir, Asylbewerber schneller fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen. Das testen wir in einem Modellprojekt mit 500 Teilnehmern an neun Standorten, auch in Berlin. Zuerst werten wir zusammen mit dem zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus, ob jemand gute Chancen hat, hierzubleiben und bereits eine gute Ausbildung hat. Dann beginnen wir mit Sprachförderung, bei Bedarf auch mit weiterer beruflicher Qualifizierung. Die Leute wollen gerne arbeiten und nicht monatelang warten müssen, bis die Entscheidung gefallen ist, ob sie bleiben dürfen.

Herr Weise, der Mindestlohn hat bisher offenbar nicht nennenswert Arbeitsplätze gekostet. Wird das so bleiben?
Ich erwarte nicht, dass der Mindestlohn in großem Umfang Arbeitsplätze vernichten wird. Natürlich wird es einzelne Fälle geben, in denen Betriebe Mitarbeiter entlassen, weil sie die gestiegenen Löhne nicht an ihre Kunden weitergeben können. In der Gesamtentwicklung werden wir das aber nicht spüren. Es war richtig, den Mindestlohn in Zeiten guter Konjunktur einzuführen, da verkraftet der Arbeitsmarkt das gut.

Im Moment liegt die gesetzliche Lohnuntergrenze bei 8,50 Euro pro Stunde. Erwarten Sie, dass der Mindestlohn 2017 spürbar steigen wird?
Ich habe viel Vertrauen in die Mindestlohn-Kommission, die künftig sicher angemessen über die Höhe des Mindestlohns entscheiden wird.

Die Koalition streitet darüber, ob den Arbeitgebern zu viel Bürokratie zugemutet wird, weil sie die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter aufschreiben sollen. Halten Sie die Klagen für berechtigt?
Ich kann manche Aufgeregtheit über die Aufzeichnungspflichten nicht nachvollziehen. Wenn man den Mindestlohn ernst meint und durchsetzen will, müssen Geld und Stundenzahl zusammenpassen. Das ist ja kein böser Wille gegenüber den Unternehmen. Die Dokumentation soll die Arbeitgeber schützen, die ehrlich den Mindestlohn zahlen. Den Aufwand halte ich für überschaubar.

Blicken wir zum Schluss noch einmal auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Die Europäische Union hat 2013 jungen Menschen in den Krisenländern das Versprechen gegeben, dass sie innerhalb von vier Monaten einen Job, eine Ausbildung, eine Weiterbildung oder zumindest ein Praktikum bekommen sollen. Warum funktioniert diese Jugendgarantie nicht?
Die Jugendgarantie wurde damit begründet, dass wir nicht nur einen Schutzschirm für Banken brauchen, sondern auch für die vielen jungen Leute, die im Moment nach der Schule ohne eine Chance auf Arbeit auf der Straße stehen. Die Idee finde ich nach wie vor richtig. Mit dem Geld, das die EU zur Verfügung stellt, sollen die einzelnen Staaten Strukturen schaffen, mit denen sie ihren Jugendlichen Mindeststandards bieten können. Das reicht von einer funktionierenden Arbeitsmarktverwaltung bis zu einer anständigen Berufsberatung in den Schulen. Dafür braucht man einen langen Atem.

Sie leiten den Rat der europäischen Arbeitsagenturen, der über die Bewilligung der Gelder für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit mitentscheidet. Merken Sie denn schon Fortschritte?
Die baltischen Länder haben das unglaublich gut gemacht. Andere Länder haben bisher nicht einmal ein Konzept vorlegen können, bei dem man selbst mit gutem Willen Geld hätte genehmigen können. Da liegt gemeinsam noch viel Arbeit vor uns.

Frank Jürgen Weise ist seit Februar 2004 Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit. Nach dem Skandal um geschönte Vermittlungsstatistiken hat Weise die Nürnberger Behörde in den vergangenen zehn Jahren schrittweise umgebaut und stärker auf Effizienz ausgerichtet. Zuvor war er in der Wirtschaft tätig. Sein Studium der Betriebswirtschaft absolvierte Weise bei der Bundeswehr. Der Fallschirmjäger und heutige Oberst der Reserve übernahm 2010 die Leitung einer Kommission, die Vorschläge für eine Reform der Bundeswehr-Strukturen machte. Weise ist CDU-Mitglied. Der 63-Jährige ist Vater zweier Kinder.

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