Emil Nolde in Berlin: Der Künstler, der Nazi und das Kanzleramt
Emil Nolde war in den Nationalsozialismus verstrickt. Zwei seiner Gemälde hingen in Angela Merkels Büro - bis die Kanzlerin sie abhängen ließ.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kürzlich zwei Gemälde des Expressionisten Emil Nolde aus ihrem Arbeitszimmer an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurückgegeben, „Brecher“ und „Blumengarten“. Beide Bilder sind ab diesem Freitag in einer großen Berliner Ausstellung über Nolde zu sehen, die auch neue Erkenntnisse über die Verstrickung des Künstlers mit dem Nationalsozialismus thematisiert.
Der Maler war NSDAP-Mitglied und Antisemit, wurde aber zugleich als „entarteter Künstler“ diffamiert. Nach der Schau wird Merkel Nolde nicht wieder im Kanzleramt aufhängen. Sie verzichtet auch auf die zunächst vorgesehenen neuen Leihgaben der Stiftung : zwei Werke des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff. Dessen Geschichte ist ebenfalls zwiespältig.
Wer entscheidet, welche Kunst ins Kanzleramt kommt und was in den Büros von Ministern hängt?
Es gibt drei Optionen: Bilder aus der 1970 von Kanzler Willy Brandt (SPD) ins Leben gerufenen Bundeskunstsammlung der Bundesregierung auszusuchen, deren Fokus aber auf zeitgenössischer Kunst liegt. Oder es gibt – zweitens – Leihgaben entweder von privater Seite oder – drittens – von staatlichen Sammlungen wie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). „Die Kunstwerke werden durch die Verwaltung des Bundeskanzleramtes ausgewählt“, sagt ein Sprecher der Bundesregierung. Im Bundeskanzleramt befänden sich derzeit 110 Leihgaben, darunter zwölf Leihgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die beiden Noldes aus dem SPK-Besitz hatte schon Kanzler Helmut Schmidt (SPD) ausgesucht.
Auch der Bundestag hat eine große Kunstsammlung. Wird dort Nolde nun auch abgehängt?
Ein Bundestagssprecher betont, man habe von Emil Nolde lediglich die Lithografie, „Selbstbildnis“ von 1907 im Bestand. Die Sammlung des Bundestags umfasst rund 5100 Kunstwerke. Abgeordnete können sich in der Artothek auch leihweise Bilder für die Büros aussuchen. Laut einer Provenienzrecherche sind 610 Werke vor 1945 entstanden, laut Bundestag gab es bei zwei Werken Hinweise auf verfolgte Vorbesitzer, weshalb sie in die Datenbank „Lost Art“ eingestellt wurden. Der von Wolfgang Schäuble (CDU) geleitete Kunstbeirat des Bundestags entscheidet über den Ankauf neuer, in der Regel zeitgenössischer Bilder.
Ist der Fall der Kanzlerin ein Einzelfall?
Bisher ja. Die Linken-Politikerin Simone Barrientos, Mitglied im Kunstbeirat des Parlaments, meint: „Es muss nicht zwingend alles abgehängt und verbannt werden, Kommentierungen und Einordnungen von Werken sind meist eine bessere Möglichkeit zu sensibilisieren und eine politische Diskussion zu fördern.“ Die Rückgabe von NS-Raubkunst und kolonialer Raubkunst durch die Regierung sei wichtiger.
Ihr Beiratskollege Marc Jongen von der AfD sagt, er sei sich mit der Kunsthistorikerin Aya Soika, Kuratorin der Nolde-Ausstellung, einig, dass auch Arbeiten heute umstrittener Künstler im Bundestag oder Kanzleramt ihren Ort haben sollten. „Deren Biographien spiegeln die Irrungen und Wirrungen deutscher Geschichte wider.“ Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann (SPD) begrüßt, dass Merkel die Noldes abgehängt hat. „Ihre Entscheidung, dass im Büro der deutschen Regierungschefin keine Bilder eines Malers hängen sollten, der die nationalsozialistische Ideologie unterstützt hat, ist aus meiner Sicht richtig.“
Löst der Fall Nolde eine neue Debatte über Kunst und Moral aus?
Dass Emil Nolde früh NSDAP-Parteimitglied war und bis zum Endes des Krieges blieb, ist lange bekannt. Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde öffentlich auf Noldes Gesinnung hingewiesen. Schließlich thematisierte die Nolde-Retrospektive im Frankfurter Städel 2014 offen die Gesinnung des Künstlers. In der Ausstellung im Hamburger Bahnhof legen die Kuratoren Aya Soika und Bernhard Fulda nun Beweise dafür vor, dass Nolde nicht fernab der Politik in innerer Emigration lebte. Er habe sich vielmehr den Nationalsozialisten angebiedert, so die Forscher, war Opfer und Täter zugleich. Gerade diese Ambivalenz seiner Biografie löst Unbehagen aus.
Welche Rolle spielt die gewachsene Bedeutung der Provenienzforschung?
Lange Zeit hat in deutschen Museen niemand so genau hingeschaut, jetzt scheint die Zeit der Verdrängung vorbei zu sein. Der Ruf nach Provenienzforschung ist zuletzt immer lauter geworden, sei es bei NS-Raubkunst oder bei Kunst aus kolonialem Kontext. Seit der Unterzeichnung des Washingtoner Prinzipien 1998 verpflichtete sich auch die Bundesregierung dazu, Raubkunst in den Museen zu identifizieren und zurückzugeben. Kürzlich zog Kulturstaatsministerin Monika Grütters Bilanz: 5750 Kulturgüter wurden seitdem restituiert, 31 Millionen Euro in die Provenienzforschung investiert.
Diese intensive Beschäftigung mit dem Thema bringt vieles ans Licht. Etwa das zwiespältige Verhalten mancher Künstler, deren Werke zwar von den Nationalsozialisten offiziell nicht anerkannt wurden, die aber trotzdem Käufer unter ihnen fanden. Die neue Sensibilisierung für einen moralisch korrekten Umgang mit den schönen Künsten sorgt jetzt offenbar auch für ein genaueres Hinschauen bei den Künstlern selbst. Gefragt wird nicht mehr nur: Wer hat es gekauft? Sondern auch: Wer hat es gemalt?
Welche Künstler sind noch betroffen?
Die Ambivalenz den gesamten Expressionismus. Eine Ausstellung im Brücke Museum zeigt ab 14. April die schwierige Gemengelage anhand ehemaliger Brücke-Künstler: Maler wie Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner hegten um 1933 und in den Jahren danach noch die Hoffnung, mit ihrer Kunst Anerkennung unter den Nationalsozialisten zu finden. Auch der Architekt Mies van der Rohe versuchte zunächst mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten, bevor er verfolgt und vertrieben wurde. Genauso wie der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer, der ebenfalls aus seinem Lehramt gejagt wurde. Der geläufige Gegensatz von hier „entarteter Kunst“ und dort „Nazi-Kunst“ wurde in letzter Zeit vielfach angezweifelt und widerlegt.
Wie reagiert der Kunstmarkt?
„Man muss abwarten“, meint Micaela Kapitzky vom Auktionshaus Grisebach. Für eine Prognose sei es zu früh, doch werde die Diskussion von den Sammlern des Berliner Versteigerers sehr wohl wahrgenommen. Wer sich mit dem Maler auseinandergesetzt habe, der wisse um dessen ambivalenten, schwierigen Charakter. Grisebach wird während der Frühjahrsauktionen Ende Mai ein Aquarell anbieten, andere Pläne gibt es momentan nicht.
Für Robert Ketterer vom Münchner Auktionshaus Ketterer Kunst stellt sich die Frage nach den politischen Konsequenzen. „Was bedeutet es für die Museen, wenn ein Bild von Nolde im öffentlichen Raum abgehängt wird – werden sie dem Beispiel folgen?“ Den Kunsthandel habe man in der Vergangenheit immer wieder in die Pflicht genommen, deutsches Kulturgut zu hegen. „Wenn man uns nun zwingt, nicht mehr mit Nolde zu handeln, käme das einer sofortigen Enteignung gleich. Seine Bilder hätten dann keinen Wert mehr.“ Ketterer weist darauf hin, dass sich aus den Gemälden und Aquarellen keine antisemitischen Ansätze herauslesen lassen und plädiert für „etwas mehr Gelassenheit“ in der Diskussion.
Auch Kilian Jay von Seldeneck kann in Nolde keinen „Systemkünstler der NS-Zeit“ erkennen, mit dem das Auktionshaus Lempertz ab sofort nicht mehr handeln dürfe. Er glaube auch nicht, dass sämtliche Sammler nun ihre Bilder verkaufen wollen. Dass Merkel die beiden Werke nicht mehr ins Kanzleramt zurückkehren lassen möchte, findet er als politische Geste gleichwohl vollkommen richtig.
Künstler und Werk, kann man das trennen?
Nein. Die Kunst führt ein Eigenleben, sie hat ein Recht auf Betrachtung um ihrer selbst willen. Aber bei genauerem Hinsehen sind ästhetische und ethische Fragen oft untrennbar miteinander verwoben. Ob es sich nun um die durchsexualisierte Musik Michael Jacksons und die neuen Pädophilie-Vorwürfe gegen den Popstar handelt, um den Antisemitismus des „Meistersinger“-Komponisten Richard Wagner oder um Charakter-Stereotypen, mit denen auch der Expressionismus arbeitete. Wer die Kunst ergründen will, kommt nicht umhin, sich auch der Person dahinter zu nähern, sich mit ihrer Biografie und den historischen Umständen zu befassen.