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Und wie geht’s jetzt weiter? Adam und Eva sinnieren auf Emil Noldes Ölgemälde „Verlorenes Paradies“ aus dem Jahr 1921.
© Nolde Stiftung Seebüll, Elke Walford, Dirk Dunkelberg

Ausstellung im Hamburger Bahnhof: Emil Nolde, der Abgehängte

Die Berliner Ausstellung "Emil Nolde – Eine deutsche Legende" zeigt die Nähe des Malers zum Nationalsozialismus. Er stilisierte sich zum verkannten Künstler.

Als Emil Nolde im August 1937 siebzig Jahre alt wurde, schenkten ihm Verehrer einen Silberleuchter. Auf der Glückwunschkarte schrieben sie, seine Kunst diene „dem Vaterland zum hohen Ruhme“. Die damaligen Machthaber sahen das anders. Wenige Wochen zuvor war in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet worden, mit der die Nationalsozialisten gegen die Werke der als „undeutsch“ geschmähten Expressionisten, Dadaisten, Surrealisten und anderer Avantgardisten zu Felde zogen. Einer der Hauptangeklagten dort: Nolde. Im Hamburger Bahnhof ist nun der Silberleuchter zu sehen und eine wandgroße Reproduktion eines Schwarz-Weiß-Fotos, auf dem sich Besucher, teilweise in SA- und SS-Uniform, vor Noldes neunteiligem Gemälde „Das Leben Christi“ drängen. „Gemalter Hexenspuk“, lautet der höhnische Kommentar dazu.

Die Ausstellung „Emil Nolde – Eine deutsche Legende“, die an diesem Freitag beginnt, untersucht mit einer bislang beispiellosen Fülle von Belegen und vielen neu entdeckten Dokumenten die Rolle des Künstlers im Nationalsozialismus. An seiner eigenen Legende hat Nolde zeitlebens gestrickt, er stilisierte sich zum übersehenen Genie, zum Kunsterlöser und Außenseiter. Der Schmerzensmann, der im Zentrum von „Das Leben Christi“ am Kreuz hängt, das ist er selbst. Doch Nolde gelang es als einzigem Künstler durch Interventionen, unter anderem beim Reichspressechef und dem Auswärtigen Amt, dass seine Werke aus der Entartete-Kunst-Schau entfernt wurden, die bis 1941 durch weitere Städte wanderte. Aus der dritten Auflage der Ausstellungsbroschüre verschwand sein Name. Nolde betonte seine ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus, einige Formulierungen hatten einen antisemitischen Tenor. In einem Schreiben an Goebbels forderte er seine privaten Leihgaben zurück und bekam den baldigen Rückerhalt bestätigt.

Mythos des dissidenten Künstlers

Hervorgegangen ist die Ausstellung im Hamburger Bahnhof aus der Arbeit der Kuratoren Bernhard Fulda und Aya Soika, die, unabhängig finanziert, vier Jahre lang in der Nolde Stiftung in Seebüll forschen konnten. Dort, direkt an der deutsch-dänischen Grenze, hatte der Maler in seinem selbst errichteten Backsteinhaus ab 1930 gelebt und gearbeitet. Nach seinem Tod 1956 wurde von Seebüll aus der Mythos des im „Dritten Reich“ unangepassten, vermeintlich dissidenten Künstlers verbreitet. Erst ein neuer Stiftungsdirektor öffnete 2013 den Zugang zum Archiv mit den zwischen 25.000 und 30.000 Dokumenten aus dem gewaltigen Nachlass. „Nolde sah sich als Deutschlands wichtigster Vorkämpfer gegen die angebliche jüdische Dominanz in der deutschen Kunst“, sagt Bernhard Fulda. „Er stilisierte sich zum ewig verkannten Künstler – vor 1933 durch die Juden, nach 1945 durch die Nazis.“

Begrüßt wird der Besucher in der Ausstellung von der „Sünderin“, einer gelb strahlenden, archaisch vibrierenden Darstellung von Jesus’ Begegnung mit einer „gefallenen“ Frau. Das Gemälde, auf dem sich die Innerlichkeit des deutschen Protestantismus manifestiert, markiert einen Höhepunkt in Noldes Karriere. Es wurde 1928 von der Berliner Nationalgalerie erworben. Museumsdirektor Ludwig Justi hielt das Bild für ein Hauptwerk Noldes, „der für manche Beurteiler, und nicht die schlechtesten, sogar als der wichtigste“ Künstler Deutschlands gelte. Ein Jahr zuvor war der Maler mit einer Retrospektive mit 455 Werken geehrt worden, eine der größten Einzelausstellungen in der Geschichte der Moderne.

Anfeindungen von rechts

Aber Nolde wurde auch angefeindet, vor allem von rechtsaußen. „Erkennen wir uns wirklich in dem wieder, was heute als große Kunst gepriesen wird?“, fragte der völkische Theoretiker Paul Schultze-Naumburg in seinem Pamphlet „Kampf um die Kunst“ und zeigte eine Abbildung von Noldes Adam-und-Eva-Gemälde „Verlorenes Paradies“. In Berlin besuchten Emil Nolde und seine Ehefrau Ada einen Lichtbildervortrag des Polemikers und waren entsetzt. Ada beschwerte sich in einem Brief über die „Unanständigkeit“ des Gesagten. Nolde schien seine Lektion gelernt zu haben. In „Das eigene Leben“, dem 1931 erschienenen ersten Teil seiner Autobiografie, betont er seine ländliche Herkunft, distanziert sich vom „weichen, süßlichen“, undeutschen Impressionismus und schildert seine Berliner Jahre mit antiurbanen Klischees. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 weht über dem Künstlerhaus in Seebüll die Hakenkreuzfahne, 1934 tritt er in die NSDAP ein.

Zu den herausragenden Stücken der Ausstellung zählen die „Reifen Sonnenblumen“, die nach Ende der „Entarte Kunst“-Aktion in Luzern versteigert worden waren und nun aus Detroit ausgeliehen werden konnten. Noch bis Juli 1937 hing das Gemälde zusammen mit anderen Werken im „Nolde-Saal“ der Berliner Nationalgalerie. Nach 1933 hatte es Bemühungen gegeben, den „nordischen“ Expressionismus aus Gotik und Romantik abzuleiten und zur Staatskunst des neuen Reichs zu erklären. Einem Mitarbeiter der Nationalgalerie gelang es sogar, die „Sonnenblumen“ in die Münchner Privatwohnung des NSDAP-Auslands-Pressechefs Ernst Hanfstaengl zu schleusen, wo Hitler sie bei einem Besuch sah. Der „Führer“ sagte nichts dazu, was Nolde als gutes Omen nahm.

Ein Missverständnis. Hitler hielt nichts vom Expressionismus und erst recht nichts von Nolde, über den er schimpfte: „Was er malt, sind doch immer Misthaufen.“ 1052 Werke Noldes wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, eine Rekordzahl. Allerdings waren darunter 455 Bilder, die vom Essener Folkwang-Museum erst 1935 angekauft worden waren. Im Hamburger Bahnhof ist ein halbes Dutzend Grafiken aus diesem Bestand zu sehen, vor einer Wand voller Inventarnummern aus den Beschlagnahmeakten. Während Nolde sich als Verfolgtester der Verfolgten empfand, machten Galerien in Berlin, Mannheim und München mit seiner Kunst weiter glänzende Geschäfte. Der Malerkollege Karl Hofer verspottete ihn als „Märtyrer mit 20 000 Reichsmark“.

Anpassungsfähig. Emil Nolde trat 1934 in die NSDAP ein.
Anpassungsfähig. Emil Nolde trat 1934 in die NSDAP ein.
© Nolde Stiftung Seebüll

Auf die Verfemung reagierte Nolde mit Anpassung. Er wollte jetzt noch nordischer werden und malte, inspiriert von alten Sagen und bislang wenig beachtet, bärtige, behelmte Wikingerkrieger und blonde Mädels. Weltanschaulich hatte Nolde keine Berührungsängste gegenüber den Nationalsozialisten, er teilte ihren Antisemitismus. Nach dem antijüdischen Boykott vom 1. April 1933 schrieb er: „Ich möchte gern, dass eine reinliche Scheidung erfolgt, zwischen jüdischer u. deutscher Kunst“. Bislang unbekannt waren die Notate, die Nolde seiner Frau Ada schickte, als sie 1943 im Krankenhaus Hamburg-Eppendorf lag. Eine „Handvoll Juden hinter den Regierungen“, heißt es da, schüre und finanziere „diesen weltumspannenden grausamen Krieg“.

Aquarelle als Ideenskizzen

Im August 1941 wurde Nolde „wegen mangelnder Zuverlässigkeit“ aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Fortan durfte er seine Kunst nicht mehr ausstellen oder publizieren, aber ein „Malverbot“ hat es, anders als oft behauptet, nie gegeben. Nolde malte weiter, vor allem Aquarelle, die er nach dem Krieg „ungemalte Bilder“ nannte, was zum Mythos vom furchtlos dem Regime trotzenden Eremiten beitrug. In Wirklichkeit bezieht sich der Begriff auf das Format. Die kleinen Aquarelle dienten als Ideenskizzen, einige von ihnen machte er mittels eines in der Ausstellung gezeigten Leica-Episkops zur Vorlage von Ölgemälden.

Abgeschlossen wurde das, was die Kuratoren Noldes „Transfiguration“ nennen, seine Eingemeindung auf der hellen Seite der Moderne, im Rebellionsjahr 1968, als Siegfried Lenz seinen Roman „Deutschstunde“ veröffentlichte. Dort muss der Maler Max Ludwig Nansen, Noldes literarischer Doppelgänger, seine Bilder vergraben, um sie zu retten. Die Ausstellung endet mit Noldes Gemälde „Brecher“, einer bewegten Meereslandschaft. Um das Bild ist viel Wind gemacht worden, weil Angela Merkel es in ihrem Arbeitszimmer abhängte und nun von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht mehr zurückhaben will. Mit welcher Kunst eine Demokratie sich schmücken sollte, dazu liefert Nolde den Denkstoff.

Hamburger Bahnhof, bis 15. September. Di, Mi, Fr 10–18, Do 10–20, Sa/So 11–18 Uhr. Der Katalog kostet 39 €.

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