Haushaltsausschuss des Bundestags: Der Klub der kleinen Könige
Der Etat 2018 geht in die Endrunde - der Haushaltsausschuss des Bundestags demonstriert sein Selbstbewusstsein. Ein Porträt.
Im Berliner Politikbetrieb gibt es viele Schaltzentralen. Der Raum 2.400 im Paul-Löbe-Haus gehört dazu. Es ist der Saal des Haushaltsausschusses des Bundestags. Es gibt Ausschüsse, die haben mehr Öffentlichkeit, wenn bestimmte Gesetzgebungsverfahren laufen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses stört das nicht. Denn in ihm konzentriert sich das Selbstbewusstsein des Parlaments, in dieser Runde mit ihren 44 Mitgliedern wird das parlamentarische Königsrecht wahrgenommen: das Haushaltsrecht und damit die Letztentscheidung darüber, was die Regierung mit dem Geld der Steuerzahler anstellt. Demnächst ist es wieder so weit – der Haushalt 2018 wird mit einigen Monaten Verspätung am 4. Juli beschlossen.
Eine Woche vorher kommt der Haushaltsausschuss zusammen und gibt dem Haushaltsgesetz den letzten Schliff – Bereinigungssitzung nennt sich das Treffen im Raum 2.400, ein Ritual, ein Höhepunkt der parlamentarischen Arbeit, der öffentlich kaum wahrgenommen wird. Alle Minister dürfen nochmals antanzen, wenn es um ungeklärte Details geht, um übrige Mittel, die untergebracht werden müssen, um verbliebene Unklarheiten, um letzte Veränderungen.
Es geht nicht mehr um große Milliardensummen, aber auch nicht nur um Peanuts. Die Regierung habe zwar das Privileg der Haushaltsvorlage, meint einer aus dem Ausschuss, aber es sei keineswegs so, dass die Minister immer und allein vorgeben könnten, wo es lang gehe. Bis weit in die Nacht gehen diese Bereinigungssitzungen, halb zwei, halb drei kann es werden.
Boehringers Bewährungsprobe
Und am 28. Juni vielleicht noch deutlich später. Wenn er die Ausschussleitung nicht in den Griff bekomme bis dahin, dann werde es wohl halb neun morgens werden, ahnt ein Mitglied des Ausschusses schon voraus. Mit „er“ ist Peter Boehringer gemeint. Der AfD-Politiker ist seit Januar Ausschussvorsitzender, weil die größte Oppositionsfraktion traditionell diesen Posten bekommt. Das hat damit zu tun, dass der Haushaltsausschuss weniger die Einzelgesetzgebung mitgestaltet wie die Fachausschüsse, sondern mehr ein Instrument der Regierungskontrolle ist. Und Kontrolle ist eben vor allem Sache der Opposition.
Boehringer ist jener AfD-Abgeordnete, der damit leben muss, die Kanzlerin mal in einer privaten Mail als „Merkel-Nutte“ bezeichnet zu haben und den Bundestag als „real existierende Volkszertretung“. Als Volkszertreter scheint ihm das nun unangenehm zu werden, einem Bericht in der „Zeit“ war unlängst jedenfalls zu entnehmen, dass er gern anders wahrgenommen würde. Die Umstände dieses Artikels hat Boehringer auf seiner Webseite dokumentiert, so kann sich die Öffentlichkeit ein gutes Bild von ihm machen.
Boehringer schwimmt in jenem Milieu, das seit Jahren den Zusammenbruch des Euro voraussagt, im Gold den einzigen Rettungsanker sieht und glaubt, die Regierung verheimliche dem Volk die wahre Verschuldung aus den Rettungsprogrammen für Banken und Gemeinschaftswährung. Die Kosten der Euro-Rettung liegen laut Boehringer im „Billionen-Bereich“, auch vom möglichen Staatsbankrott ist die Rede. Früher hat er offenbar als Vermögensberater gearbeitet.
Zentralorgan der Regierungskontrolle
Und nun leitet er das Zentralorgan der Regierungskontrolle. Jedenfalls dann, wenn er im Ausschuss nicht als haushaltspolitischer Sprecher der AfD auftritt, der er auch ist, um kritische Fragen zu stellen oder Kommentare abzugeben. Dann verliert Boehringer auch mal leicht die Contenance, etwa in der Sitzung, in der Staatssekretär Jörg Kukies aus dem Bundesfinanzministerium vortrug.
Als Vorsitzender sei er formal korrekt, heißt es, aber auch unsicher und manchmal schlecht vorbereitet (nun ja, er ist Parlamentsneuling). Bei EU-Themen sei er fanatisch, er dominiere seine Fraktionskollegen im Ausschuss. Politisch ist er in den anderen Fraktionen allen suspekt. In der Bereinigungssitzung werde sich jetzt zeigen, ob er das Handwerk beherrsche, meint ein erfahrenes Ausschussmitglied. Ansonsten gilt, was der grüne Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler angesichts der Aufregung um den AfD-Mann nüchtern feststellt: „Man sollte die Rolle des Vorsitzenden auch nicht überschätzen.“
Dass es im Haushaltsausschuss kollegialer zugeht als anderswo, berichtet nicht nur Kindler (andere sprechen sogar von einem Korpsgeist), und das will man sich von den AfD-Leuten auch nicht vermiesen lassen. Der Grüne aus Niedersachsen kam als junger Abgeordneter in die Runde, er hatte sich in der Fraktion für den Ausschuss gemeldet, und weil die Konkurrenz gar nicht so groß war, sitzt er nun seit 2009 im mächtigsten Gremium des Bundestags.
Victor Perli ging es ähnlich, als er im vorigen September in den Bundestag einzog. Der junge Linke hob den Finger, und jetzt ist er „erster Wessi der Linken im Haushaltsausschuss“, wie er vergnügt feststellt. Er mag Haushaltspolitik, er hat sie schon im niedersächsischen Landtag gemocht, weil sie vor allem eine breite Möglichkeit zur Regierungskontrolle bietet.
Interessant ist, dass viele Haushälter betonen, sie seien von Herzen Parlamentarier, sie hätten kein großes Interesse an Posten und Pöstchen in der Regierung. „Jeder kann gern in die Exekutive gehen, aber ich will nicht“, sagte zum Beispiel Johannes Kahrs, der SPD-Platzhirsch im Ausschuss, seit 2002 dabei. „Ein Posten in der Regierung macht bewegungsunfähig.“ Und kostet Zeit, Kahrs dagegen ist gern in seinem Hamburger Wahlkreis unterwegs.
"In Zahlen gegossene Politik"
„Ein Haushalt ist auf den ersten Blick dröge, aber er ist in Zahlen gegossene konkrete Politik und daher spannend“, sagt Perli, der in den kommenden Jahren mit dem breiten Etatwissen sein Faible für die Befragung der Regierung ausleben will. Etwas weiter rechts im Spektrum sieht das Otto Fricke ganz ähnlich, der vielleicht erfahrenste Haushaltspolitiker, weil er schon 1996 im Ausschuss saß – damals allerdings noch als Fraktionsmitarbeiter. „Zahlen sind real“, sagt der Freidemokrat vom Niederrhein, er habe schon als junger Rechtsanwalt in seiner Kanzlei ganz gern die Buchführung gemacht. Von 2005 bis 2009 war er Ausschussvorsitzender.
Dass der Haushaltsausschuss sich als Speerspitze des parlamentarischen Regierens betrachtet, hat er in der vorigen Wahlperiode in aller Deutlichkeit vorgeführt. Es waren die Haushälter, allen voran einige Koalitionsabgeordnete, die den Regierungsplan einer privatisierungsfreundlichen Autobahnpolitik und der dazu ersonnenen Infrastrukturgesellschaft durchkreuzten und (im Verein mit dem Bundesrechnungshof) für eine angemessene Parlamentskontrolle sorgten. Die verantwortliche Ministerriege – Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel, Alexander Dobrindt - war stinksauer.
Die beiden Köpfe der Fronde waren Norbert Brackmann von der CDU und Bettina Hagedorn von der SPD. Sie sind jetzt nicht mehr im Ausschuss, sondern in der Exekutive, es kamen Angebote, die man nicht ablehnen kann oder will. Hagedorn ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium geworden, wo Olaf Scholz die beamteten Staatssekretärsstellen nur mit Männern besetzt hatte und ein bisschen weiblichen Ausgleich im Führungsteam brauchte. Brackmann wurde unlängst zum Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft ernannt, eine staatssekretärsähnliche Position.
Kindler betont allerdings, dass die Widerstandsaktion ein Werk des ganzen Ausschusses gewesen sei (auch gegen die Verkehrspolitiker in den Koalitionsfraktionen): „Bei der Abwehr des Versuchs der Regierung, im Zusammenhang mit der Infrastrukturgesellschaft des Bundes die Autobahnen zu privatisieren, hat der Ausschuss in Gänze gute Arbeit geleistet.“
Rehberg und Kahrs sind die Zampanos
Die beiden Zampanos im Ausschuss sind Kahrs und der CDU-Mann Eckhardt Rehberg. Kahrs ist eigenwillig und kann knarzig werden. Er mache gern Geschäfte, heißt es im Bundestag über ihn. Als Kopf des Seeheimer Kreises, der „Rechten“ in der SPD-Fraktion, ist er einflussreich. Er ist einer der Twitter-Könige des Bundestags. Manchen ist sein Gebaren nicht ganz geheuer. Mit dem Hamburger CDU-Kollegen Rüdiger Kruse bildete Kahrs jahrelang ein berüchtigtes Duo („K.u.K.“), das gern auch mal zugunsten der Hansestadt zusammenwirkte, wie Kollegen sagen.
Beide saßen als Mitberichterstatter für den Etat des Kanzleramtes zusammen, in dem auch ein Teil der Kulturausgaben des Bundes steckt. Da entwickelten sie einen gewissen Gestaltungsehrgeiz. Kahrs und Kruse waren so auch Teil der Komödie um die Frage „Kolonnaden oder Einheitswippe“ vor dem Berliner Stadtschloss, als unter unklaren Umständen Mittel zugunsten der historischen Lösung umgewidmet wurden. Das Duo wurde jetzt aber gesprengt, auch auf dem Weg der Beförderung, Kruse ist jetzt, als Nachfolger Brackmanns, Berichterstatter für den Verkehrsetat.
Berichterstatter sind jene Abgeordneten, die sich zusammen mit jeweils einem Kollegen aus jeder Fraktion um einen bestimmten Einzelplan im Haushalt kümmern. Kahrs zum Beispiel erledigt das für den Bundestagsetat, Oberkontrolleur für das Kanzleramt ist Fricke. Zu den jeweiligen Berichterstattergesprächen mit diesen Sechserrunden rücken die Minister in aller Regel selber an (außer der Kanzlerin, sie muss nicht kommen), sie bringen Staatssekretäre mit und weitere Spitzenbeamte. Dazu kommt immer ein Vertreter des Bundesrechnungshofes, der vorab einen Ressortbericht für den Ausschuss verfasst, und ein Beamter aus dem Finanzministerium.
Die Sache mit den Korvetten
Dass Kahrs und Rehberg zwei wie Pech und Schwefel seien, ist ein Geschichtchen, das im Bundestag kursiert, aber allenfalls halb stimmt. Es geht unter anderem zurück auf eine gemeinsame Aktion der beiden, der Bundesmarine zusätzliche Korvetten zukommen zu lassen, was natürlich auch der Wirtschaft im Norden helfen sollte. Rehberg ist Mecklenburger und damit werftennah, Kahrs Oberst der Reserve.
Rehberg, der 2002 gern Ministerpräsident in seinem Heimatland geworden wäre, ging danach in den Bundestag und hat in der zweiten Reihe der Fraktion Karriere gemacht. Er ist mittlerweile ein Machtfaktor, vor allem als Chef der „Teppichhändlerrunde“, wie der Kreis der Landesgruppenvorsitzenden heißt, der auch bei vielen Personalien mitredet. „Rehberg ist der Igel, der immer schon da ist“, sagt sein FDP-Kollege Fricke über ihn. Als haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion pflegt auch Rehberg seine Eigenwilligkeiten gegenüber dem Finanzministerium, und auch er gehört zu denjenigen, die es nicht in die Exekutive drängt.
Als er in der Haushaltsdebatte unlängst leise Zweifel an der geplanten Grundgesetzänderung für eine stärkere Bund-Länder-Kooperation beim Wohnungsbau anmeldete, wirkten Scholz und Innenminister Horst Seehofer auf der Regierungsbank leicht erschrocken. Kommt da die nächste Rebellion?
Wo bleibt Scholz?
Zwischen dem neuen Finanzminister und dem selbstbewussten Ausschuss gibt es seit Wochen einen kleinen Machtkampf. Noch immer ist Scholz nicht im Raum 2.400 erschienen, es hat nur einmal eine kurze Runde via Telefonkonferenz gegeben. Fricke spottet mit Blick auf Scholz (und dessen bisweilen wegen dringlicher SPD-Angelegenheiten verkürzten Reisen): „In 80 Tagen um die Welt, aber noch nie im Haushaltsausschuss.“ Perli hält das Verhalten des Ministers für „skandalös“, und auch Kindler ist verärgert.
Er ist ohnehin von Scholz wenig überzeugt, er mache da weiter, wo Wolfgang Schäuble aufgehört habe. Und er sagt: „Olaf Scholz scheut Entscheidungen und geht ungern Risiken ein, er scheut Konflikte mit der Wirtschaft, aber die Bundesrepublik ist nicht der Stadtstaat Hamburg.“ Selbst Rehberg fasst den Koalitionspartner und Vizekanzler beim Portepee: „Es wäre schlauer gewesen, wenn er eher gekommen wäre.“ An diesem Mittwoch nun steht der Minister dem gesamten Ausschuss Rede und Antwort, es kann länger dauern. Da der Haushalt 2018 ein „Etat im Schnelldurchgang“ ist, wie Perli sagt, und der Blick der Abgeordneten schon weiter in die Zukunft reicht, dürfte das Interesse vor allem auf die europapolitischen Vorhaben der Regierung gerichtet sein – und deren mögliche Folgen für den Etat.
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