Haushaltsdebatte im Bundestag: Schicksalsbuch à la Olaf Scholz
Der Bundesfinanzminister eröffnet mit einem emotionslosen Referat die Bundestagsdebatte zum Etat. Die Koalitionsberatungen könnten heftiger werden.
Ein Scherz rettet nicht immer alles, aber jedenfalls ein bisschen. Also probierte es Johannes Kahrs am Dienstag im Bundestag mit Humor: „Die Rede, die Olaf Scholz gehalten hat, war für seine Verhältnisse relativ lebhaft“, sagte der Ober-Haushälter der SPD-Fraktion über den eigenen Vizekanzler und Finanzminister. Zuvor hatte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP, Scholz getadelt wegen zu wenig „Emotion“ in einer Rede, in der es immerhin um den Bundeshaushalt gehe, „das Schicksalsbuch der Nation“.
Aber der Auftakt zur viertägigen Etatdebatte war eben á la Scholz: Es war eher ein Referat als eine Rede, und es war mehr ein staatstragender und europapolitisch weit blickender Vizekanzler, der da vom Blatt las, als ein Finanzminister, der seine Zahlen präsentierte. Irgendwie wirkt Scholz, dem die ersten Wochen im neuen Amt so richtig nicht gelungen sind, wie einer, der seine Rolle noch sucht.
Scholz betonte nochmals, dass die große Koalition trotz der ersten Planzahlen, die einen gegenteiligen Eindruck vermittelt hatten, durchaus höhere Investitionen vorsehe. Und er wiederholte seine Ankündigung aus der Vorwoche, mit dem Abbau der kalten Progression, also dem Anpassen des Einkommensteuertarifs an die Inflation im kommenden Jahr, würden „kleine und mittlere“ Einkommen entlastet. Aber da fuhr ihm selbst die eigene Abteilung in die Parade, in Gestalt des SPD-Haushaltspolitikers Lothar Binding, der feststellte, die „Schwachen“ hätten davon nichts. Daher solle man die kalte Progression nicht so sehr in den Mittelpunkt der Diskussion stellen (die Entlastungswirkung durch die Anpassung wird für 2019 auf überschaubare 1,5 Milliarden Euro geschätzt), sondern eher die weitere Senkung der Sozialabgaben.
Die hatte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles in der vorigen Woche angesichts einer guten Steuerschätzung zur Entlastung der Bürger vorgeschlagen, ohne dass Scholz sich ihr öffentlich angeschlossen hätte. Er schaut weiter voraus ins Jahr 2021, wenn der Solidaritätszuschlag für Klein- und Mittelverdiener abgeschafft werden soll; das Gesetz dazu will er jetzt „frühzeitig“ auf den Weg bringen.
Konfliktherd Wehretat
Dass es in der Koalition noch Krach geben wird um die Haushaltspolitik, es war schwer zu überhören. Scholz zweifelte andeutungsweise an, ob die nochmalige Erhöhung der Verteidigungsausgaben, die Ministerin Ursula von der Leyen mit der Unterstützung der Unions-Fraktion durchsetzen will, wirklich nötig ist. Schon jetzt ist das Plus im Wehretat das höchste, auf 173 Milliarden Euro addieren sich die Kosten der Bundeswehr bis 2021. Scholz meint wohl, dass das reicht. Ein verteidigungspolitisches Konzept sei nicht schon gut, weil es teuer sei, sagte er.
Lieber will die SPD das Mitfinanzieren von Aufgaben der Länder und Kommunen durch den Bund ausweiten. Scholz kündigte hier sogar eine „Trendwende“ hin zu mehr Kooperation an. Weswegen auch einige Grundgesetzänderungen zum Haushaltspaket gehören, von denen eine – die Wiedereinführung der 2006 abgeschafften Mischfinanzierung beim sozialen Wohnungsbau – in der Union offenbar noch mit einem Fragezeichen versehen ist. Jedenfalls drückte sich der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg, seit Jahren ein Kritiker der finanziellen Zugeständnisse an die Länder, entsprechend aus. Immerhin, so Rehberg, machten auch Länder und Kommunen Überschüsse.
Konfliktherd Verfassungsänderung
Und er kam auf ein Kernproblem zu sprechen: „Nicht zufriedenstellend“ ist aus seiner Sicht die Entwicklung bei den beiden Kommunalprogrammen mit zusammen sieben Milliarden Euro, welche die alte Groko nicht zuletzt für Schulsanierungen bereitgestellt hat. Da sind zwar gut 40 Prozent der Gelder mittlerweile durch Planvorhaben gebunden, doch nur ein Zehntel ist tatsächlich schon abgerufen worden. Rehberg sieht das Problem beim komplizierten Planungsrecht, das entrümpelt werden müsse. Andere verweisen auf Personalmangel in den Ämtern und in den Ingenieurbüros. Es sei nicht zu wenig Geld da, sagte der CDU-Haushälter Ralph Brinkhaus, aber es könne nicht „verbaut“ werden. Binding sagte, man dürfe nicht einfach in einer Hochkonjunkturphase „hektisch Geld heraushauen“ und damit nur die Baupreise nach oben treiben. Eine Frage, die im Bundestag niemand stellte: Ist der Sanierungsbedarf am Ende vielleicht doch nicht ganz so hoch?
Konfliktherd Investitionsquote
Die Investitionspolitik der neuen Groko wird jedenfalls das Parlament noch länger beschäftigen. Die Opposition ist sich von links bis rechts einig, dass die Investitionsquote (gemessen an den Gesamtausgaben) der Maßstab zur Bewertung der Koalition ist. In den Planungen von Scholz bis 2022 sinkt sie leicht, auch wenn die Mittel wachsen. Der Finanzminister ist aber sicher, dass auch die Quote am Ende steigen wird. Er will alle Spielräume nutzen, „um zu mehr Investitionen zu kommen“.
Zunächst aber muss die Koalition sich einigen über die Verwendung der Mehreinnahmen, die sich aus der jüngsten Steuerschätzung ergeben. Es werden wohl zehn Milliarden Euro sein, und die vorsichtige Etatplanung wird noch weitere freie Milliarden zutage fördern. Unter anderem, weil der Finanzminister die Zinsausgaben wohl zu hoch angesetzt hat. Es könnten intensive Wochen werden: Denn wenn der verspätete Haushalt für 2018 Anfang Juli verabschiedet ist, geht es nahtlos über in die Beratungen des Etats für 2019, der noch vor der Sommerpause das Kabinett passieren soll.