„Fridays for Future“ nicht am Ziel: Der Klimabewegung steht die wichtigste Auseinandersetzung noch bevor
Alle reden über das Klima. Aber die Fridays-for-Future-Bewegung muss sich schon jetzt um ihr Vermächtnis kümmern. Eine Kolumne.
Meist offenbaren sich Wendepunkte erst in der Rückschau. Davor sind sie nicht klar identifizierbarer Teil von Umwälzungen. Zwei dieser Zäsurmomente haben diesen Monat Jubiläum: Vor 30 Jahren bäumte sich die chinesische Jugend auf dem Tiananmen-Platz gegen die Unterdrückung und Korruption im eigenen Land auf. Zwanzig Jahre zuvor läutete der Stonewall-Aufstand in den USA eine Zeitenwende im Gleichberechtigungskampf der LGBT+- Community ein.
Mittlerweile sind Stonewall und Tiananmen zu festen Bestandteilen der Ikonographie des gesellschaftlichen Aufruhrs geworden. Obwohl beide Aufstände schnell verebbten, wirkt ihre Strahlkraft bis heute. Tiananmen wird immer noch als Blaupause der chinesischen Demokratiebestrebungen empfunden, die Proteste wie die Regenschirm-Bewegung 2014 in Hongkong ermöglichte. Stonewall wird jedes Jahr mit dem Christopher Street Day ein farbenfrohes Monument gesetzt. Gefeiert wird der Startpunkt eines Wandels, durch den heute auch in den religiös geprägten USA die gleichgeschlechtliche Ehe Realität ist.
Eine Ikone ist schon gefunden: Greta Thunberg
Stonewall und Tiananmen entstanden aus sehr unterschiedlichen Situationen heraus, aber was sie eint, ist ihre langanhaltende Wirkmacht, die sich nicht aus dem direkten Erfolg des Aufstands speist, sondern aus dem Mythos, der sie umgibt. Jede Bewegung braucht ihren Wendepunkt, um sich nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft zu verankern. An genau diesem steht nun auch die Klimabewegung und muss sich an der Mythenbildung versuchen.
Eine Ikone hat sie in Greta Thunberg schon gefunden und spätestens seit der Europawahl auch deutlich an Dynamik gewonnen. Im Gegensatz zu Tiananmen, Stonewall oder vielen anderen gesellschaftlichen Aufständen hat die Klimabewegung die Politik und Bevölkerungsmehrheit auf ihrer Seite – zumindest dem Anschein nach.
In den USA wird über einen revolutionären „Green New Deal“ diskutiert, das britische Parlament rief kürzlich den Klimanotstand aus, und in Deutschland ist eine grüne Kanzlerschaft längst kein Fantasiedenken mehr. Es sind Erfolge, die auf dem jahrzehntelangen Engagement gegen den Klimawandel beruhen, aber erst durch den Schüleraufstand und Bewegungen wie Extinction Rebellion die nötige Dringlichkeit erhielten.
Die wichtigste Auseinandersetzung? Die mit sich selbst
Es ist unbestreitbar, dass der Klimaschutz durch die jugendliche Revolte zum politischen Thema der Stunde avanciert ist und Parteien nun versuchen, sich einen grünen Anstrich zu verpassen. Man könnte glauben, dass die Klimabewegung endlich am Ziel angelangt sei, dabei steht ihr die wichtigste Auseinandersetzung noch aus: die mit sich selbst.
Greta und die streikenden Schüler haben einen Wendepunkt eingeläutet, der die Voraussetzungen für einen wirkungsvollen Klimaschutz ermöglicht hat, aber diesen längst nicht garantiert. Die größte Gefahr für die Bewegung ist das Scheitern an den eigenen Forderungen.
Sensibilität für ökologische Probleme zu wecken, wird nicht ausreichen, um diese auch zu lösen. Dazu bedarf es einer konkreten und vor allem länderübergreifenden Politik. Diese wird aber nur sehr schwer und mit etlichen Kompromissen zu erreichen sein, denn ein effektiver Klimaschutz ist nicht weniger als ein kompletter Systemwechsel, ein Kraftakt gegen die menschlichen Gewohnheiten.
Je länger konkrete Resultate auf sich warten lassen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Frustrationsgefühl einschleicht, das die amerikanische Essayistin Rebecca Solnit als "naiven Zynismus" bezeichnet. Die ist durch die Annahme charakterisiert, dass historische Ereignisse entweder unmittelbare und eindeutig messbare Resultate erzielen - oder schlicht keine Rolle spielen. Dadurch, so Solnit, werde den Menschen der Sinn für das Mögliche und für die Verantwortung ausgesaugt.
Das Problem: die Konsumgewohnheiten
Die grüne Erfolgswelle schmälert nicht die Notwendigkeit der außerparlamentarischen Klimabewegung, sondern macht sie sogar unabdinglich, um das Gefühl der Dringlichkeit zu bewahren.
Die Grünen preschen derzeit mit Radikalitätsversprechen vor, sollten aber antizipieren, dass viele davon dort enden, wo Konsumgewohnheiten beschnitten werden. Es braucht deshalb Druck von außen, der den Fortschritt gegen das Kompromissdenken verteidigt und wahre Radikalität erhält. Stonewall und Tiananmen haben gezeigt, wie lange ein Aufstand nachwirken kann und wie viel Macht in seinem Mythos liegt. Den Wendepunkt hat die Klimarebellion erreicht, um ihr Vermächtnis muss sie sich nun selber kümmern.