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Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, im Januar in Halle.
© Hendrik Schmidt/ZB/dpa

Umfrage-Höhenflug: Wollen die Grünen überhaupt Kanzler?

Als 20-Prozent-Partei wecken die Grünen hohe Erwartungen. Der K-Frage weichen die Vorsitzenden lieber aus. Ist die Partei bereit für eine Regierung?

Die Frage nach den Ambitionen der Grünen aufs Kanzleramt will Annalena Baerbock partout nicht beantworten. Ob sie überhaupt Lust habe, Bundeskanzlerin zu werden, wird die Grünen-Chefin nach den Beratungen des Parteivorstands gefragt. „Ich habe auf vieles Lust“, sagt Baerbock. „Aber die Menschen wählen uns nicht dafür, dass wir die Kanzlerfrage stellen“, sagt sie. Ihre Partei sei auch deswegen erfolgreich, weil sie nicht um sich selbst kreise.

Mit der K-Frage werden die Grünen seit ihrem Höhenflug konfrontiert. Der Parteiführung rund um Annalena Baerbock und Robert Habeck ist bewusst, dass es strategisch klüger ist, diese erst einmal zu ignorieren. Und doch stellt sich für die Partei im Moment die Frage nach der Regierungsfähigkeit noch einmal ganz neu.

Höhere Erwartungen an eine 20-Prozent-Partei

Das liegt zum einen an den jüngsten Ergebnissen bei der Europawahl, an eine 20-Prozent-Partei werden höhere Erwartungen gestellt als an eine Nischenpartei. Gleichzeitig steigt die Gefahr, Menschen wieder zu enttäuschen. Mit der Führungskrise der SPD ist außerdem ein vorzeitiges Ende der großen Koalition näher gerückt. Gut möglich also, dass die Grünen schon bald als möglicher Regierungspartner gefragt sein könnten.

Doch sind die Grünen auch dazu bereit? Nach der letzten Bundestagswahl hat die Partei zumindest gezeigt, dass sie willens gewesen wäre, auch schmerzhafte Kompromisse in einer Koalition zu schließen. Noch heute bedauert Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, dass er nach dem Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Gesprächen nicht mehr den Parteitag organisieren musste, bei dem ein Sondierungsergebnis gegen Widerstände aus der eigenen Partei hätte durchgeboxt werden müssen. Doch tatsächlich unter Beweis stellen mussten die Grünen sich in diesem Bündnis am Ende nicht.

Sollte die große Koalition platzen, spricht Parteichefin Baerbock sich für Neuwahlen aus. Die Grünen seien nicht „das Reserverad“, sagt sie. Zwei Jahre nach der letzten Bundestagswahl, mit anderen Personen an der Spitze von CDU und SPD, hätten die Wählerinnen und Wähler das Recht, eine neue Regierung zu wählen. Eine Neuwahl sei in diesem Fall schon „demokratietheoretisch“ geboten, sagt Baerbock. Dahinter dürfte allerdings auch das Kalkül stehen, dass die Grünen bei einer Neuwahl wohl deutlich besser abschneiden würden als im Herbst 2017, als sie mit 8,9 Prozent als fünftstärkste Kraft in den Bundestag einzogen.

Mit guten Umfragewerten haben die Grünen ohnehin ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 wurden die Grünen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg so stark, dass sie erstmals mit Winfried Kretschmann einen Ministerpräsidenten stellen konnten. Doch das bundesweite Hoch war schon bald wieder vorbei, auch in Berlin scheiterte Renate Künast bei der Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin. Bei der Bundestagswahl 2013 kam die Ökopartei lediglich auf ein einstelliges Ergebnis – für viele in der Partei eine herbe Enttäuschung.

 „Zweite Kraft zu bleiben, ist möglich“

In der jetzigen Situation gehe es deshalb vor allem darum, die Werte zu stabilisieren, sagt ein Grünen-Stratege. „Zweite Kraft zu bleiben, ist möglich“, sagt er. Aber es gebe trotz der aktuellen Krise der SPD keinen Grund, diese abzuschreiben. „Stabil ist das alles nicht“, analysiert er. Angesichts der neuen Rolle im Parteienspektrum schwanken die Grünen deshalb auch zwischen Euphorie und einem leichten Erschrecken. „Wir wissen, dass wir eine Hoffnung wecken, die erfüllt werden muss“, sagte Grünen-Chef Habeck am Tag nach der Europawahl. Und Kerstin Müller, zu rot-grünen Regierungszeiten Staatsministerin im Auswärtigen Amt, trifft die Gemütslage der Partei ganz gut, wenn sie von der „großen Verantwortung“ spricht, diesen Erwartungen nun auch gerecht zu werden.

Zumal es einfacher ist, den Gegenpol zu einer müden großen Koalition zu geben, als selbst Verantwortung zu übernehmen. „Im Moment können wir vieles versprechen“, sagt eine Grünen-Politikerin, die lange im Geschäft ist. „Aber wir werden das nicht alles einlösen können“, sagt sie. Allein in der Sozialpolitik summieren sich die Kosten für die Garantiesicherung, die Hartz IV ersetzen soll, und für die Garantierente, die weiter als die SPD-Grundrente geht, auf mehr als 30 Milliarden Euro. Bei den Jamaika-Sondierungen mussten die Grünen außerdem feststellen, wie groß die Widerstände gegen ihre Forderungen zum Klimaschutz sind.

Weniger Mitglieder, weniger Geld für Wahlkämpfe

Hinzu kommt, dass die Grünen für den Wettstreit mit SPD und Union materiell schlechter ausgestattet sind. Sie haben weniger Mitglieder, weniger Geld für Wahlkämpfe und eine Bundesgeschäftsstelle, die bei Weitem nicht über solche Ressourcen verfügt wie die Parteizentralen von SPD und CDU. Als Partei, deren Strukturen eher auf Wahlergebnisse von zehn bis zwölf Prozent ausgelegt seien, sei man da „notorisch überfordert“, sagt ein Grüner.

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