zum Hauptinhalt
Ein kämpferischer Kanzler: Olaf Scholz in der Generaldebatte des Bundestags.
© Kay Nietfeld/dpa

„Herr Merz, Sie tänzeln fragend durch die Landschaft“: Der Kanzler kämpft – und räumt mit Legenden auf

Nach harter Kritik ist ein neuer Olaf Scholz zu erleben. Der Kanzler macht etwas, was er selten tut, und wird eindeutig. Ein Feature aus dem Bundestag.

Friedrich Merz ist mit sich im Reinen, er hat dem Kanzler mal wieder kräftig einen eingeschenkt. Er nimmt zufrieden lächelnd den Applaus seiner Unions-Abgeordneten entgegen. „Legen Sie doch mal Ihre vorgefertigte Rede aus dem Kanzleramt zur Seite“, hat der CDU/CSU-Fraktionschef Olaf Scholz aufgefordert, endlich ein paar Fragen zu beantworten.

Welche Waffen liefert Deutschland der Ukraine nun wirklich und was er zusätzlich liefern wolle. „Warum sagen Sie nicht ganz klar, die Ukraine muss den Krieg gewinnen?“ Gebe es da etwa eine zweite Agenda?

[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]

Warum telefoniere er 80 Minuten mit Wladimir Putin? Er zitiert einen FAZ-Text: „Scholz ruiniert das Ansehen Deutschlands“, laute der Titel. „Sie reden in letzter Zeit etwas mehr als sonst, aber sagen unverändert nichts.“ Merz erwartet offensichtlich wieder eine typische Scholz-Rede, ohne klare Antworten, einen Punktsieg in diesem Rededuell für sich und in den Folgetagen noch mehr Kritik am Kanzler.

Olaf Scholz hört ganz entspannt zu, er kennt ja seine Rede, die er gleich halten wird. Drei Monate nach der Zeitenwende-Rede will er heute mit einigen schiefen Bildern aufräumen, in der Generaldebatte über den Kanzleretat 2022. Seine Leute haben ihn seit Tagen gedrängt, mal öffentlich so zu reden, wie er es intern tun kann.

Sie wissen, er muss jetzt mal klare Antworten liefern. Und der Kanzler entschlüpft an diesem Tag der Rolle des präsidialen Kanzlers, der Merz‘ Attacken einfach ignoriert. Er ist nicht länger bereit, die Schießbudenfigur abzugeben, an der sich einige ohne Wissen der Dinge - so sieht Scholz das - lautstark abarbeiten. Das Land erlebt einen Tag lebhafter Demokratie.

Der Kanzler macht etwas, was er selten tut

Und er macht etwas für ihn Ungewöhnliches, er antwortet direkt auf Merz, frei, das Manuskript legt er in der Tat erst einmal zur Seite. "Verehrter Herr Merz, Sie haben sich ja mit dem Manuskript, mit dem Text, den Sie vorbereitet haben, sehr viel Mühe gegeben." Allerdings habe Merz nur Fragen gestellt, ohne selbst mal konkret zu werden. „More Beef (mehr Fleisch) wäre wirklich sehr vernünftig gewesen.“ Großer Applaus bei SPD, Grünen und FDP, so etwas würden sie scheinbar gern öfter von Scholz hören.

Doch der Konter geht weiter. Merz positioniere sich ja selten. „Und wenn Sie es machen, dann wird’s peinlich.“ Er kritisiere, dass er, Scholz, mit dem russischen Präsidenten telefoniere, sage, dass er sich da lieber eng mit dem französischen Präsidenten abstimmen solle. Das letzte Telefonat mit Putin habe er aber zusammen mit Emmanuel Macron geführt. „Eine europäische Aktion“ sei das gewesen. Es werde immer europäisch abgestimmt, was da vorgetragen werde.

Forderte klare Antworten vom Kanzler und bekam sie: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz
Forderte klare Antworten vom Kanzler und bekam sie: Unions-Fraktionschef Friedrich Merz
© IMAGO/Future Image

Und dann habe Merz ja noch vorgeschlagen, dass die Steuern für fast alle Bürger erhöht werden sollen, um über einen Bundeswehr-Soli die bessere Ausrüstung zu bezahlen. „Was für ein merkwürdiger Einfall.“ Einen ganzen Bundestagswahlkampf habe die Union damit geführt, dass der Soli auch für Spitzenverdiener weg muss, um jetzt den Soli wieder einzuführen.

„Das ist keine gute Idee“, sagt Scholz. „So ist es“, wird im Plenum gerufen, Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner nickt grinsend Richtung Merz, der Angriff hebt bei Ampel-Fraktionen und auf der Regierungsbank die Stimmung. Übrigens werde er gleich die anderen Fragen noch beantworten, „oder sie sind längst beantwortet“.

Die Vergangenheit mit Karl-Theodor zu Guttenberg

Aber eins sei noch zentral. Als ein Oppositionsführer der CDU/CSU müsse man schon auch erwähnen, dass die Verteidigungsminister der letzten Jahre von der CDU und der CSU waren, die Kanzlerin von der CDU. „Darüber hätten Sie wenigstens ein Wort verlieren können, Herr Merz.“

Die schlechte Zeit für die Bundeswehr habe begonnen, als „ein presseaffiner, viel kommunizierender, sich selten in seinem Amt befindlicher Minister zu Guttenberg“ begonnen habe, kräftig einzusparen und die Wehrpflicht abzuschaffen. „Manchmal ist Sacharbeit wirklich eine nützliche Sache, Herr Merz“, sagt der Kanzler, dann greift er zum Manuskript. Und auch hier setzt er einen anderen Ton. Erstmals seit seiner Regierungserklärung mit Ausrufen der Zeitenwende startet der Kanzler nicht mit dem Krieg.

[Der Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leserinnen und Leser informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Seine Botschaft: Es darf der Regierung nicht passieren, dass alles andere hinter dem Krieg zurücksteht. Auch das adressiert er später an Merz, der nur darüber gesprochen habe. Die SPD hat intensiv die Gründe für die schwere Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen studiert und verstanden, dass die gewaltigen Preissteigerungen für viele Bürger die noch größere Sorge sind.

„Millionen Bürgerinnen und Bürger fragen sich jeden Tag: Komme ich hin mit meinem Geld? Reicht es noch am Monatsende? 20 Minuten legt Scholz die Entlastungen dar, der Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket sind ja längst nicht das einzige im 30-Milliarden-Paket. Aber er betont auch: Die Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden.

Grünen-Vizekanzler Robert Habeck mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), bei der Rede von Friedrich Merz (CDU).
Grünen-Vizekanzler Robert Habeck mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), bei der Rede von Friedrich Merz (CDU).
© Kay Nietfeld/dpa

Der Grund für die Inflation sei der von Russland angezettelte Krieg. Lachen bei der AfD. Scholz ignoriert das, nun stoppt er, blickt in deren Reihen. „Was lachen Sie da?“ Und wiederholt in Richtung der AfD: „Der von Russland angezettelte Krieg.“

Und er betont, der Umbau von Industrie und Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz, für ihn eine neue industrielle Revolution, Ausbau der Windkraft, Wasserstoff, die Digitalisierung, weg von russischem Gas und Öl, alles werde wie versprochen gemacht. So wie diese Woche auch 12 Euro Mindestlohn im Bundestag beschlossen würden. „Dieses Jahr ist das Jahr der Entscheidungen.“

Scholz macht auf Schiller

Und Scholz greift eine Idee von Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) aus dem Jahr 1967 auf, als man auch in einer ökonomisch schwierigen Phase war. Er will eine Neuauflage der „Konzertierten Aktion“, Gewerkschaften und Arbeitgeber an einem Tisch, um über gemeinsame Maßnahmen gegen die hohe Inflation zu beraten.

Dabei gehe es nicht um Lohntarifverhandlungen. "Hier muss erneut zusammengestanden werden und herausgefunden werden, wie wollen wir mit dieser Preisentwicklung umgehen?" Scholz verweist auf die chemische Industrie, die mit einer einmaligen Sonderzahlung für die Beschäftigten einen interessanten Weg gewählt habe.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Merz muss lange warten, bis Scholz sich zur Seite 26 in seinem Manuskript vorgearbeitet hat. Der vergisst nicht den Dank an die Union, für die Zustimmung zum 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, süffisant weist er indirekt darauf hin, dass Merz bei den finalen Verhandlungen nicht dabei war.  

Dann kommt Scholz auf eine der von Merz aufgeworfenen Fragen zu sprechen. Es werde ja viel nach seinen Kriegszielen gefragt. „Unser Ziel ist, dass Putin nicht gewinnt. Unser Ziel ist es, dass die Ukraine sich verteidigen kann und damit erfolgreich ist.“

Aber er wolle ausdrücklich auch mal sagen, „es ist überheblich und es ist unangemessen, und es ist völlig fehl am Platze, wenn hierzulande darüber diskutiert wird, was die Ukraine zu entscheiden hat“. Er sage so wie US-Präsident Joe Biden: „Über die Ukraine entscheiden die Ukrainerinnen und Ukrainer und niemand sonst.“

Der Kanzler empfiehlt Merz die Lektüre eines New-York-Times-Artikels

Und dann wird Scholz' Stimme ganz leise, es kommt der überraschendste Part, die Rede von Friedrich Merz, der wieder eine Standard-Rede von Scholz erwartet hatte, fällt nun langsam wie ein Soufflé zusammen.

Ja, und dann sei da ja noch das Thema der Waffen. „Deutschland muss sich nicht verstecken“, betont er. „Und weil sie ja fragend durch die Landschaft getänzelt sind, Herr Merz“: Dass Deutschland erstmals in so einem Krieg Waffen an eine Kriegspartei liefere, sei ein Bruch langer deutscher Staatspraxis.

Habe es so eine Wende unter CDU-Führung gegeben? „Ich verstehe nicht, wie von Ihnen da vorgetragen werden kann, es sei nichts passiert.“ Wie er ohnehin staune über manche Talkshow, was da ohne eigenes Wissen erzählt werde. „Ganz naseweiß“ würde da behauptet, die Ukraine wolle das gar nicht. „Wo leben wir eigentlich?“, fragt ein sichtlich erzürnter Kanzler. Überall dürften Leuten „diesen Krams erzählen“.

Zu Merz sagt er an diesem Tag zu dessen Kaskade an Vorwürfe auch folgenden Satz: "Das ist doch einfach dahergeredetes Zeug, das Sie da vortragen." Merz versucht in seinem Sitz zu lächeln, nun ist er in der Defensive.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht mit Christine Lambrecht (SPD), Verteidigungsministerin. Sie muss nun die Anschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr organisieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht mit Christine Lambrecht (SPD), Verteidigungsministerin. Sie muss nun die Anschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr organisieren.
© Michael Kappeler/dpa

Das Problem für den Kanzler ist, dass er vieles nicht allzu offensiv kommunizieren will. Nun macht er es dann doch mal, die Lage ist danach. Er empfiehlt Merz, mal den an dem Tag erschienen Beitrag von US-Präsident Biden in der „New York Times“ zu lesen, der darin sehr exakt umschreibt, wo die Grenzen liegen.

Wladimir Putin wird versichert, dass man keine Kriegspartei werde, die Ukraine werde auch keine Waffen bekommen, mit der sich russisches Territorium angreifen lässt. Letztlich gehe es darum, durch die Lieferungen die Verhandlungsposition der Ukraine im Falle eines Kriegsendes zu stärken.

Die Waffenliste des Kanzlers

Scholz kann das alles unterschreiben, er hält engen Kontakt zu Joe Biden. Und dann listet er erstmals detailliert auf, was geliefert wird: Flugabwehrraketen und Panzerabwehrwaffen, mehr als 15 Millionen Schuss Munition, 100.000 Handgranaten, über 5000 Panzerabwehrminen, umfangreiches Sprengmaterial, Maschinengewehre.

„Gemeinsam mit Dänemark haben wir der Ukraine auf ihren Wunsch hin 54 modernisierte, gepanzerte Truppentransporter geliefert.“ Über einen Ringtausch mit Tschechien bekäme die Ukraine vertrautes Gerät sowjetischer Bauart – zunächst 20 Kampfpanzer T 72.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlässt nach der Generaldebatte der Haushaltswoche den Plenarsaal im Bundestag. Sein schwarze Aktentasche begleitet ihn seit über 30 Jahren, darin ist auch immer das SPD-Parteibuch.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlässt nach der Generaldebatte der Haushaltswoche den Plenarsaal im Bundestag. Sein schwarze Aktentasche begleitet ihn seit über 30 Jahren, darin ist auch immer das SPD-Parteibuch.
© Michael Kappeler/dpa

Griechenland liefere Schützenpanzer aus ehemaligen NVA-Beständen und bekomme dafür ebenfalls deutsche Panzer als Ersatz. Zudem seien übrigens auch 168 besonders schwer verwundete ukrainische Soldaten ausgeflogen und in Deutschland versorgt worden.

Auch sei nun der Vertrag über die Lieferung von Gepard-Flakpanzern mit der Ukraine unterschrieben, man werde auch genug Munition besorgen. Übrigens, auch das sei ja falsch insinuiert worden, habe die Ukraine den Gepard zur Flugabwehr explizit gewollt. Die Ausbildung von ukrainischen Soldaten an zwölf Panzerhaubitzen 2000 sei in Kürze beendet – wenn das alles keine schweres Gerät sei, wisse er es auch nicht.

Neu dabei: Ein Flugabwehrsystem und vier Raketenwerfer

Mit Blick auf die schwierige Lage im Donbass kündigt er zudem neues an: Man will das System IRIS-T des Herstellers Diehl, laut Kanzler das modernste Flugabwehrsystem, über das Deutschland verfüge, liefern. „Damit versetzen wir die Ukraine in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen.“ Ferner werde der Ukraine ein hochmodernes Ortungsradar geliefert, das feindliche Haubitzen, Mörser und Raketenartillerie aufkläre.

Und ganz frisch ist eine Absprache mit den USA, Scholz deutet es in der Rede nur an, später wird bekannt, dass man aus eigenen Beständen zudem vier Mehrfachraketenwerfer vom Typ MARS II des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei-Wegmann liefern will. Aber es soll sichergestellt werden, dass diese nicht für Angriffe auf russisches Gebiet genutzt werden, mit maximal 40 Kilometer Reichweite. Es soll bis Ende Juni möglichst in der Ukraine einsetzbar sein.

"Wenn das alles schnell ankommt und wenn es ankommt, liefern wir ziemlich viel Wumms", meinte der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München. 

Wird das die Ukraine zufriedenstellen?

Sicher, viele Fragen sind offen, vor allem, wann das alles wirklich ankommt und ob die Ukraine damit wirklich zufrieden ist. Und was aus den von der Ukraine gewünschten 100 Marder-Schützenpanzern wird, dazu hat er wieder nichts gesagt. Will er diese nur für die Ringtauschgeschäfte nehmen? Die Ukraine hätte gerne auch Marder-Panzer, als nur die alten Sowjet-Panzer, bei den T-72 steht das 72 für "1972".

Aber Merz hat er heute erstmal einiges an Angriffsfläche genommen. Zumindest das Ende der Rede ist dann wieder ganz Scholz-Klassisch. „Schönen Dank“, sagt der Kanzler, klappt die Redemappe zu, geht zurück zum Kanzlerplatz, grinst Robert Habeck und Christian Lindner an. Mehrfach nickt er dankend, ob des großen Applauses.

Zur Startseite