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Schwierige Zeiten;: Finanzminister Christian Lindner in der Haushaltswoche im Bundestag.
© IMAGO/Future Image

Schuldenbremse „nicht verhandelbar“: Lindners rote Linie für die Ampel-Koalition

Die Zukunft der Koalition hängt für den FDP-Chef vom Einhalten der Schuldenbremse 2023 ab. Aber selbst Ökonomen haben große Zweifel. Wegen der Inflation.

Wenn man so will, hat Christian Lindner die Sollbruchstelle dieser Koalition definiert. Dem FDP-Chef und Finanzminister entgeht nicht, wie bei Grünen und SPD die ersten Abgeordneten die Schuldenbremse deutlich in Frage stellen. Im ZDF-heute-journal hat er das Wiedereinhalten der Bremse im kommenden Jahr für „nicht verhandelbar“ erklärt.

Nach interner Kritik an seiner Schuldenpolitik und dem drohenden Verlust des FDP-Markenkerns – solide Staatsfinanzen und keine Subventionspolitik mit der Gießkanne – zieht Lindner eine klare rote Linie ein, denn so ist es auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Das heißt im Umkehrschluss: Fällt er hier um, muss er eigentlich die Ampel-Koalition aufkünden.

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Aber das Ziel will gerade gar nicht zur Lage passen. In der SPD-Parteizentrale blicken sie mit sehr mulmigem Gefühl auf den Herbst. Die Heiz- und Stromkosten sind die größte Last, aber auch die Lebensmittelpreise steigen, der Sprit wird sehr teuer bleiben, mit knapp acht Prozent ist die Inflation auf den höchsten Stand in 50 Jahren gesprungen.

Preissteigerungen sorgen die Bürger am meisten

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war es das Sorgenthema Nummer für die Bürger, nicht die Berliner Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. Und Lindners Ansage wird zu harten Verteilungskonflikten führen. Denn seit dem ersten Pandemiejahr 2020 hat man sich wieder an das Schuldenmachen gewöhnt.

[Lesen Sie auch: Unmut in der FDP über Christian Lindner: „Die Götterdämmerung hat längst begonnen“ (T+)]

Derzeit läuft die Aufstellung für Lindners Schuldenbremsenhaushalt 2023, er kommt kaum noch hinterher, Ausgabenwünsche einzufangen, wie von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) nach einem Klimageld für Einkommen bis 4000 Euro brutto und einem deutlich höheren Hartz-IV-Satz (das künftig Bürgergeld heißen soll). Er selbst will vor allem die Effekte der kalten Progression, die die Mittelschicht stark treffen, ausgleichen.

Da ist aber noch gar nicht darüber gesprochen worden, wie Industrie- und Mittelstand ob der enorm hohen Energie- und Rohstoffpreise stärker unterstützt werden können. Es ist eine toxische Melange gerade.

Vom Ampel-Aufbuch ist bei Grünen, SPD und FDP nicht viel geblieben.
Vom Ampel-Aufbuch ist bei Grünen, SPD und FDP nicht viel geblieben.
© Michael Kappeler/dpa

Doch das bisherige Geben und Nehmen – hier ein 9-Euro-Ticket, da 300 Euro Energiepauschale und dort ein Tankrabatt -, wird an ein Ende kommen. Lindner pocht intern für jeden Ausgabenwunsch auf Einsparvorschläge an anderer Stelle, ihn unterstützt Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer, ein SPD-Mitglied, aber bekannt als harter Hund, der jedem Ressort vorlegt, wieviel Geld es noch zur Verfügung hat, wenn man wieder zurück zur Schuldenbremse will. Das wird zum Lakmustest für die Koalition.

139 plus 100 Milliarden neue Schulden macht Lindner

Doch zunächst einmal steht diese Woche im Bundestag noch die Verabschiedung des Etats für das laufende Jahr an, wegen der Bundestagswahl und der neuen Regierungsbildung mit etwas Verzögerung. Der Bundes- und ein Ergänzungshaushalt 2022 sehen noch einmal zusätzliche Schulden von insgesamt knapp 139 Milliarden Euro vor.

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Dafür muss der Bundestag das dritte Jahr in Folge die Schuldenbremse aussetzen. Hinzu kommt das schuldenfinanzierte Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Dafür soll am Freitag mit Stimmen der Unions-Fraktion das Grundgesetz geändert werden, damit die Schuldenbremse für den Bundeswehrfonds nicht gilt.

Wegen der dafür notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit braucht es die größte Oppositionspartei, trotz einiger angekündigter Nein-Stimmen im linken Lager von SPD und Grünen sollte die Mehrheit stehen.

CDU hält Lindner den großen Stellenzuwachs in der Regierung vor

Lindner treibt die Sorge um, dass einige „süchtig“ werden könnten nach immer mehr Schulden. Gute Wirtschaftspolitik bedeute nicht, alles auf Dauer vom Staat zu fördern. Er ist am Dienstag im Bundestag in der Defensive, vor allem der CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg spart nicht mit Kritik.

„Wir erleben eine denkwürdige Haushaltswoche mit einem Rekordhaushalt von fast 500 Milliarden“, sagt Middelberg und betont Richtung des Bundesministers der Finanzen: „Herr Lindner, Sie satteln nur drauf.“ Netto gebe es 6000 zusätzliche Stellen im Personalbereich. Darüber könne man ja mit Blick auf Bundespolizei und anders diskutieren.

„Aber Sie lassen es auch selbst richtig gut gehen in der Regierung“, kritisiert Middelberg eine „Rekordzahl von 37 Parlamentarischen Staatssekretären“. Und auch bei den Beamten in den höchsten Besoldungsstufen in den Ministerien gebe es starke Zuwächse.

Zu Beginn der großen Koalition, als es in der Summe weniger Stellenzuwächse gegeben habe, habe die FDP gewettert: „Wer so anfängt, macht aus einer schwarzen Null ein schwarzes Loch.“ Es sind Worte, die Linder auf der Regierungsbank schmerzen dürften.

Guten Nachrichten? FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag.
Guten Nachrichten? FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag.
© Hannibal Hantschke/Reuters

Lindner: Sparen bremst die Inflation

Lindner selbst versucht den Schalter, vor allem mit Blick auf Grüne und SPD etwas umzulegen. Er will sich gar nicht mit der Corona- und Kriegsbedingten Schuldenpolitik über Gebühr aufhalten, sondern richtet den Blick nach vorn. Man dürfe nicht durch immer neue Schulden und Sozialprogramme die Inflation weiter nähren.

„Die Rückkehr zur Schuldenbremse bedeutet: Druck von den Preisen nehmen, indem wir nicht immer umverteilen und immer mehr Subventionen erfinden.“  Er klagt, es habe halt ständig neues, Unvorhergesehenes gegeben.

Zuletzt allein eine Milliarde Liquiditätszuschuss an die Ukraine, „damit sie ihre Staatsfunktionen erhalten kann“, sagt Lindner im Bundestag. Und ordnet das ganz staatsmännisch in einen ganz großen Kontext ein. Ohne die Entscheidung wäre nicht gesichert, „dass die Ukraine ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann“. Dazu natürlich die beiden Bürger-Entlastungspakete mit über 30 Milliarden Euro, ein höherer Grundfrei- und Pauschbetrag.

Der umstrittene Tankrabatt - Lindner sieht einen FDP-Mann in der Pflicht

Aber ausgerechnet eines der teuersten Projekte, die Steuersenkung von bis zu 35 Cent je Liter Benzin, könnte verpuffen. Alles hängt in diesen Tagen mit allem zusammen. Unter anderem auch der EU-Beschluss für ein weitgehendes Ölembargo der EU gegen Russland, lässt den Ölpreis weiter steigern, zudem gibt es Knappheiten – und keine Garantie, dass die Ölkonzerne und Tankstellen den Rabatt eins zu eins weiterreichen.

„Es ist kein Geheimnis, ich hätte ein anderes Modell bevorzugt, wo man wie in Italien direkt auf die Mineralölkonzerne hätten einwirken können“, sagt Lindner.

Er wollte, dass der Rabatt direkt beim Bezahlen mit 40 Cent je Liter abgezogen wird, statt eine Steuersenkung, die in einer etwas intransparenten Preisbildung verpuffen kann. „Diese Steuersenkung muss jetzt auch durchgesetzt werden. Das ist jetzt eine Aufgabe des Kartellamtes“, sagt Lindner. Dieses wird geleitet von Andreas Mundt, einem FDP-Mitglied.

Es regiert in diesen Tagen irgendwie das Prinzip Hoffnung, so erwähnt Lindner auch, dass ja jetzt auch mit dem vielen Geld 1400 zusätzliche Stellen beim Zoll geschaffen würden, um Finanzkriminalität, Geldwäsche und Schwarzarbeit stärker zu bekämpfen.  Es gehe darum die Steuerzahler zu schützen, „indem wir die schwarzen Schafe dingfest machen.“

Diese Woche entscheidet der Bundestag über den Haushalt 2022 und das Bundeswehr-Sondervermögen.
Diese Woche entscheidet der Bundestag über den Haushalt 2022 und das Bundeswehr-Sondervermögen.
© Michael Kappeler/dpa

Ökonom hält Einhalten der Bremse kaum für möglich

Der Experte für Öffentliche Finanzen am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, Tobias Hentze, ist sehr skeptisch was Lindners Projekt 2023 anbelangt. „Es ist eine enorme Herausforderung, von 140 Milliarden Euro neuen Schulden auf etwa acht Milliarden Euro im kommenden Jahr zu kommen, das ist der Spielraum, den die Schuldenbremse dem Bund erlaubt“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Man dürfe nicht vergessen, dass der Bund auch bei Einhaltung der Bremse noch neue Schulden im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts machen dürfe. Aber was passiert, wenn die Krise weiter geht oder schlimmer wird? Die Energiepreise bleiben voraussichtlich sehr hoch.

Verteidigt seine Rekordschulden - und mahnt: 2023 muss wieder die Schuldenbremse gelten: Christian Lindner.
Verteidigt seine Rekordschulden - und mahnt: 2023 muss wieder die Schuldenbremse gelten: Christian Lindner.
© Hannibal Hantschke/Reuters

Staat verdient an Inflation mit

„Natürlich erhöht die Inflation erst einmal auch das Steueraufkommen nominal. Deshalb gibt es die Erwartung, dass der Staat etwas zurückgibt“, sagt Hentze. „Ich denke, der politische Handlungsdruck wird bleiben, auch aufgrund der hohen Inflation, die bei steigenden Löhnen auf den Steuertarif durchschlägt, Stichwort kalte Progression.

Zudem müssen Milliarden investiert werden, um beim Klimaschutz voranzukommen und die Industrie entsprechend umzubauen.“ Ökonomisch seien die Verwerfungen durch den Krieg immens. „Da könnte die Politik argumentieren, dass eine Notsituation vorliegt, also eine Ausnahme von der Schuldenbremse gemacht werden kann.

Ein Grundproblem ist dann aber, dass die Gefahr besteht, dass gar nicht mehr gespart oder an anderer Stelle gekürzt wird“, beschreibt Hentze das Dilemma, das auch Lindner sieht. „Es entsteht das Gefühl, es sei doch egal, ob man jetzt 100, 130 oder 180 Milliarden an neuen Schulden macht.“

Ein Kern des Übels sei, dass die 0,35-Prozent-Grenze der Schuldenbremse sehr streng und restriktiv sei. §Es wäre sinnvoller, sie zumindest ein bisschen zu lockern, ein bisschen moderater zu gestalten und zu flexibilisieren", sagte Hentze.

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