Scholz' TV-Ansprache: Der Kanzler erklärt seine Politik der vier Grundsätze im Ukraine-Krieg
Viel Kritik gab es zuletzt an der Kommunikation des Bundeskanzlers. In seiner TV-Ansprache versucht Olaf Scholz nun, Klarheit zu schaffen. Mit Erfolg?
Olaf Scholz will so klar wie möglich sein. Vier Grundsätze, sagt der Bundeskanzler, gebe es für die deutsche Politik im Ukraine-Krieg. Erstens: Keine deutschen Alleingänge. Zweitens: Deutschland müsse immer darauf achten, seine eigene Verteidigungsfähigkeit zu erhalten. Drittens: „Wir unternehmen nichts, was uns und unseren Partnern mehr schadet als Russland.“ Und viertens: Man tue nichts, was die Nato Kriegspartei werden lasse. „Dabei bleibt es“, sagt Scholz. Im Manuskript steht ein Ausrufezeichen.
Diese vier Punkte sind der Kern von Scholz’ TV-Ansprache am Sonntagabend. Der Kanzler blickt ernst die Kamera, hinter ihm der Bundestag. Es ist das erste Mal seit dem 24. Februar, dem ersten Tag des russischen Angriffs gegen die Ukraine, dass sich Scholz auf diese Weise an die Bürger wendet.
Nun ist der Anlass der Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945. Es sei schmerzhaft „mitzuerleben, wie heute, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erneut rohe Gewalt das Recht bricht, mitten in Europa“, sagt Scholz. Dieser 8. Mai sei keiner wie jeder andere. „Deshalb wende ich mich heute an Sie.“
Doch neben diesem Anlass gibt es auch einen Grund für diese Rede, die inhaltlich wenig Neues bietet. Scholz will ein Defizit ausräumen. Er will sich und seinen Kurs endlich besser erklären. Denn auch im Umfeld des Kanzlers wissen sie: Seine holprige Kommunikation wird mehr und mehr zum Problem für die Bundesregierung.
Eines der markantesten Beispiele dafür war sein kurzfristig angesetztes Pressestatement Mitte April. Nach dem vorangegangenen Streit um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine war die Erwartung groß. Verkündet der Kanzler eine Kurswende? Doch Scholz’ Statement bleibt so unklar, dass selbst die Journalisten vor Ort zunächst nicht wissen, was eigentlich die Botschaft war. Erst kurz darauf wird bekannt, dass die Bundesrepublik bereits einen Ringtausch plant, bei dem Slowenien der Ukraine Panzer aus sowjetischer Produktion liefern soll und dafür von Deutschland Ersatz erhält.
Auch danach wirkte Scholz’ Kommunikation widersprüchlich. In einem „Spiegel“-Interview verteidigte der Kanzler seine Zurückhaltung und warnte vor einem Atomkrieg. „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“, sagte er. Wenige Tage später dann die Wende: Es wird bekannt, dass Deutschland nun doch selbst schwere Waffen liefert: etwa Gepard-Luftabwehrpanzer aus Restbeständen der Industrie.
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Scholz gilt als einer, der seine Entscheidungen gerne genau abwägt. Doch er macht – anders als etwa sein Kabinettskollege Robert Habeck – diesen Abwägungsprozess nicht sichtbar. Nach außen wirkt Scholz’ Handeln dann inkonsistent.
Im Kanzleramt ist deshalb klar: Olaf Scholz muss seine Entscheidungen besser erklären. In den vergangenen Tagen gab es bereits Versuche. So war er vergangene Woche bei „Was nun?“ im ZDF. „Mein Kurs ist schon, dass wir besonnen und mit klarem Verstand handeln“, sagt er dort. Die Regierung treffe keine Entscheidung im Stil einer PR-Abteilung – „immer noch was drauf oder niemals etwas“.
Stolz sind sie in der SPD auch auf den Auftritt von Scholz am 1. Mai in Düsseldorf. Dort gab es „Kriegstreiber“-Rufe gegen Scholz. Gegendemonstranten forderten: „Frieden schaffen ohne Waffen“. Scholz rief ihnen zu: „Es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen.“
Die TV-Ansprache soll grundsätzlich sein Handeln erklären
Doch die TV-Ansprache soll mehr sein, sie soll nun noch einmal ganz grundsätzlich sein Handeln erklären. „Aus der katastrophalen Geschichte unseres Landes zwischen 1933 und 1945 haben wir eine zentrale Lehre gezogen. Sie lautet: ,Nie wieder!’“, sagt Scholz. „Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft.“ In der aktuellen Lage könne das nur bedeuten: „Wir verteidigen Recht und Freiheit – an der Seite der Angegriffenen. Wir unterstützen die Ukraine im Kampf gegen den Aggressor.“ Tue man das nicht, heiße das zu kapitulieren vor „blanker Gewalt“.
Deutschland, sagt Scholz, habe in den letzten Wochen „weitreichende und schwierige Entscheidungen“ getroffen. Scholz zählt die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft auf, die Aufnahme hunderttausender Ukrainerinnen und Ukrainer. „Und – wir haben erstmals überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik Waffen in ein solches Kriegsgebiet geschickt, in großem Umfang – und immer sorgfältig abwägend auch schweres Gerät. Das setzen wir fort.“
Dem Kanzler geht es in seiner Rede aber auch darum, jene mitzunehmen die Angst vor einer Ausweitung des Krieges haben. In der vergangenen Woche gab es Aufregung um den offenen Brief der Feministin Alice Schwarzer und anderer Intellektueller, die vor der Lieferung schwerer Waffen und einem dritten Weltkrieg warnten. Neben inhaltlicher Kritik an dem Brief sahen sich die Initiatoren auch einer Welle des Hasses ausgesetzt. Experten warnten vor einer Polarisierung der Debatte.
Ob die Rede zum Befreiungsschlag taugt, wird sich zeigen
„Aus vielen Äußerungen, die ich dieser Tage höre, spricht ernste Sorge“, sagt Scholz nun. „Sorge auch davor, dass sich der Krieg ausweitet, dass der Frieden auch bei uns in Gefahr geraten könnte.“ Solche Sorgen dürfe man nicht einfach abtun. Sie müssten ausgesprochen werden dürfen. „Gleichzeitig gilt: Angst darf uns nicht lähmen“, sagt der Kanzler. Man tue viel, um der Ukraine zu helfen. Aber man tue auch nicht einfach alles, was gefordert werde. „Ich habe in meinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.“
Es ist eine Rede, mit klaren, einfachen Sätzen, vom Kanzler mit ruhiger, fast monotoner Stimme vorgetragen. Ob sie zum Befreiungsschlag für Scholz’ Kommunikation taugt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.