Wie die Politik auf den rassistischen Terror reagiert: Der Kampf um die Deutungshoheit
Juden wie Muslime beklagen, der Rechtsterrorismus werde unterschätzt. Die AfD versucht, Hanau als Tat eines „Irren“ darzustellen – und wird scharf attackiert.
Der Mord an Walter Lübcke, das versuchte Blutbad in einer Synagoge in Halle, jetzt Hanau. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte im Januar in Yad Vashem: „Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse.“
Das Staatsoberhaupt muss nun wieder die richtigen Worte finden. Er äußert sich noch vor der Kanzlerin zu Hanau und spricht sofort „von der terroristischen Gewalttat“. Er sei überzeugt: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland verurteile diese Tat und jede Form von Rassismus, Hass und Gewalt. „Wir werden nicht nachlassen, für das friedliche Miteinander in unserem Land einzustehen.“ Er reist wenig später bereits nach Hanau, um abends an der dortigen Mahnwache auf dem Marktplatz teilzunehmen.
Das Narrativ der AfD an diesem Tag ist ein anderes. Der Vorsitzende Jörg Meuthen versucht die Tat als die eines psychisch Gestörten darzustellen. „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren.“ Jede Form politischer Instrumentalisierung dieser schrecklichen Tat sei ein zynischer Fehlgriff. „Es sollen stattdessen alle Menschen unseres Landes gemeinsam mit den Angehörigen um die Opfer trauern“, betont Meuthen. Beatrix von Storch spricht von einem „psychotischen Amokläufer“. Co-Parteichefin Alice Weidel äußert Anteilnahme und twittert das Bild einer Kerze. Der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski meint als erste Reaktion: „Ist das wirklich noch das 2017 von der Merkel- CDU beschworene Deutschland, ,in dem wir gut und gerne leben‘?“ Er schlägt eine Verbindung zu Kanzlerin Angela Merkel, die er mitverantwortlich zu machen scheint für die Stimmung im Land nach ihrem Agieren in der Flüchtlingskrise. Nach massiver Kritik schiebt er zwei Stunden später nach: „Meine Gedanken sind bei den Opfern von Hanau, deren Familien und Freunden! Unfassbar, dieses schreckliche Verbrechen.“
Und der frühere Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, der 2018 die Vorgänge in Chemnitz relativierte und seit seiner Entlassung mit fragwürdigen Aussagen auffällt, twittert, als die Tat bekannt ist, gegen 8.30 Uhr morgens: „Sozialistische Logik: Täter sind immer rechts, Opfer immer links.“ Das CDU-Mitglied bezieht dies jedoch nicht auf die Ereignisse in Hanau, sondern auf eine Auseinandersetzung mit einem Journalisten. Später löscht er den Tweet.
Angela Merkel: "Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift"
Maaßens scheidende CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ist an dem Morgen in Paris zu Besuch bei ihrer französischen Amtskollegin – sie ist auch gestolpert über das Verhalten der Thüringer CDU, die mit Hilfe der AfD den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Sie betont in Richtung der AfD, für die CDU dürfe es niemals eine Zusammenarbeit mit jener Partei geben, die Rechtsextreme und Nazis in ihren Reihen dulde. „Diese Partei schafft damit eine Grundlage für genau jenes Gedankengut, das zu Hanau geführt hat“, sagt Kramp- Karrenbauer, diese Brandmauer müsse immer stehen.
Kanzlerin Merkel hätte einen Termin in Halle gehabt, zur Amtsübergabe an den neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug. Sie lässt ihn absagen und sich durch Staatsminister Hendrik Hoppenstedt vertreten. Um 12.15 Uhr tritt sie vor die Kameras im Kanzleramt: „Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift. Und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft. Und es ist schuld an schon viel zu vielen Verbrechen“, sagt sie mit starrer Miene. Der frühere SPD-Chef Martin Schulz, der im Bundestag AfD- Fraktionschef Alexander Gauland in einem Wutausbruch auf den Misthaufen der Geschichte gewünscht hatte, betont: „Ich bin fassungslos über den Terroranschlag. Noch fassungsloser über die Debatte, ob es einer ist.“ Deutschland erlebe eine Welle des rechten Terrors. „Hass und Gewalt in der Sprache der Hetzer sind auch der Nährboden solcher Taten.“ Und Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) fordert Klarstellungen statt Nebelkerzen: „Nach NSU, dem Mord an Walter Lübcke und Halle wird erneut deutlich: Nach dem Sagbaren kommt das Machbare, dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen. Rechter Terror ist Realität in Deutschland. Rechtsextreme Netzwerke sind Realität in Deutschland. Nennen wir sie beim Namen, statt beschwichtigend von ,Schießereien‘ oder ,Einzeltätern‘ oder ,Fremdenfeindlichkeit‘ zu reden.“
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, betont: „Polizei und Justiz scheinen häufig auf dem rechten Auge eine Sehschwäche zu haben.“ Und der andere Zentralrat, der der Muslime, ruft zum Selbstschutz auf. Man müsse die Frage stellen, „ob der Politik und den Sicherheitsbehörden der Schutz seiner deutschen Muslime wichtig ist“, sagt der Vorsitzende Aiman Mazyek. Der Täter möge ein Einzeltäter gewesen sein, „aber seine mörderische, rassistische Ideologie ist beileibe kein Einzelfall“.
Georg Ismar