Interview mit Extremismus-Experte: „Eine Tat inspiriert die andere“
Rechtsextremistische Einzeltäter haben oft eine hohe IT-Kompetenz, durch die sie sich vernetzen. Ihre Ideologien basieren oft auf Verschwörungstheorien.
Florian Hartleb ist Extremismus-Experte und hat das Buch "Einsame Wölfe - Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter" geschrieben.
Herr Hartleb, Sie haben das Manifest des Täters von Hanau gelesen. Welche Ideologie liegt seiner Tat zugrunde?
Das Manifest ist durchtränkt von Verschwörungstheorien, basierend auf einem Verfolgungswahn: Die Einteilung der Welt in Gut und Böse, die Suche nach Feindbildern. Der Täter geht davon aus, dass es eine anonyme Macht, also einen Geheimdienst gibt, der ihn und auch tausende weitere Bürger überwacht. Er spricht davon, dass eine ganze Reihe von Staaten eliminiert werden sollten. Der Täter war offenbar psychisch gestört und schizophren.
Ein weiteres für die sogenannten „Einsamen Wölfe“ typisches und auch hier wiederzufindendes Motiv ist der Frauenhass, bedingt durch persönliche Frustration. Das war auch beispielsweise bei Breivik und dem Täter von Halle der Fall.
Wie entsteht dieses Gedankengut?
Über Radikalisierung im Internet, also virtuelle Radikalisierung. Der Täter von Hanau war offenbar auch extrem viel im Internet. Wir sprechen hier von 18 bis 20 Stunden am Tag. Es zeigt sich außerdem ein gewisser Narzissmus, der für diese Täter typisch ist: Er verweist in seinem Manifest auf seine eigene Website.
Wie stellt sich der Täter selber dar?
Als jemand, der verfolgt wird und – typisch für den Terrorismus – alleine losschlagen will. Interessanterweise wendet er sich dabei an zwei Völker: In seinem schriftlichen Manifest an das deutsche Volk und in seinem auf Englisch verfassten YouTube-Video an die Amerikaner.
Was sind die Unterstützer dieser Ideologie tatsächlich für Menschen?
Das sind Menschen, die – ähnlich wie Sektenmitglieder – von der Idee fasziniert sind, dass es eine Verschwörung gibt.
Wo liegt Ihrer Meinung nach die Grenze zwischen Extremismus und Wahnsinn?
Das eine schließt das andere nicht aus. Psychisch Gestörte können Extremisten sein und Extremisten können psychisch gestört sein. Das Erschreckende an den Taten ist das planhafte und akribische Vorgehen. Es zeigt letztendlich eine gewisse Rationalität des Irrationalen. Letztendlich vermischen sich hier also Wahn und Realität.
Wie charakterisieren Sie das Attentat von Hanau?
Meiner Meinung nach muss man die Tat als Rechtsterrorismus werten, denn es liegt ein Bekennerschreiben mit politischem Hintergrund vor, das zum Ziel hat, Angst und Schrecken zu verbreiten, was typisch für Terrorismus ist. Es wird eine politische Botschaft deutlich. Der Täter macht sich Gedanken über die Zukunft der Welt.
Man muss außerdem bei Rechtsterrorismus immer die Auswahl der Opfer und Tatorte betrachten. Die Besonderheit hier ist, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, also einen sogenannten „Einsamen Wolf“.
Wie gewinnen rechtsterroristische Gruppen ihre Anhänger?
Wir stellen eine deutliche Zunahme an Individualterroristen fest. Es fällt auf, dass die Täter bisher immer Männer sind und die meiste Zeit ihres Lebens im Internet verbringen. Sie bauen sich dort Feindbilder auf und radikalisieren sich über einen längeren Zeitraum politisch.
Ihre Ideologie entsteht durch eine Vermischung der persönlichen Frustration mit einer politischen Motivation. In rechtsextremistischen Zirkeln ist oft die Rede davon, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen die Welt beherrschen und alles überwachen.
Der Staat wirkt oft hilflos gegenüber Rechtsextremisten. Ist er das wirklich, oder gibt es Handlungsmöglichkeiten?
Es gab kürzlich eine Herbsttagung vom Bundeskriminalamt, wo gesagt wurde, dass viele neue Stellen geschaffen werden müssen. Das Problem ist allerdings, dass die Einzeltäter häufig für die Sicherheitsbehörden völlig unbeschriebene Blätter und noch dazu sozial isoliert sind. Allerdings lassen sich häufig im Internet Spuren und Auffälligkeiten finden. Nur ist es eben dann meistens schon zu spät. Die hohe IT-Kompetenz ermöglicht den Tätern eine vielseitige Vernetzung.
Das heißt, Ihrer Meinung nach sollte in der Politik der Fokus stärker auf die Internetüberwachung gelegt werden?
Aktuell ist der Fokus noch sehr stark im realen Raum, aber die Umweltanalyse muss sich an die neuen Begebenheiten anpassen. Die Täter sind den Sicherheitsbehörden dadurch, dass sie so viel Zeit im Internet verbringen, oft voraus.
Solche Taten haben sich gehäuft: Jetzt ist es nach Christchurch, dem Mord am Regierungspräsidenten Lübcke und dem Anschlag in Halle die vierte Tat nach diesem Muster. Man sieht, dass der rechtsterroristisch motivierte Einzeltäter eine große Gefahr ist.
Welches Muster verbindet die von Ihnen genannten Taten?
Das einheitliche Muster ist, dass es sich um im sozialen Leben gestörte und extrem radikalisierte Täter handelt, die über einen längeren Zeitraum (also mehrere Monate bis Jahre) eine solche Tat planen. Die Planung unterscheidet den Terrorismus von einem Amoklauf, der willkürlich und spontan ist.
Finden Sie, dass sich nach den letzten Anschlägen in etwas in der Politik getan hat?
Diese Taten müssen erstmal zu Ende aufgearbeitet werden. Man muss für die erfolgreiche Bekämpfung von Rechtsextremismus aber international denken und kooperieren.
In Ihrem Buch „Einsame Wölfe – Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ beschäftigen Sie sich vor allem mit der Vernetzung der radikalen Einzeltäter. Was sind die Grundprinzipien dieser Vernetzung?
Die Täter sind Teil eines größeren ideologischen Rudels. Die Verschwörungstheorien grassieren im Internet, was für sie den Vorteil hat, anonym zu sein und andere Leute kennenzulernen, ohne sich persönlich treffen zu müssen.
Müssen wir zeitnah noch mit weiteren Anschlägen rechnen? Animiert der Fall von Hanau zur Nachahmung?
Es ist immer so, dass es eine Kettenreaktion gibt und eine Tat immer auch eine andere inspiriert. Es gibt in diesen Kreisen sogar virtuelle Ahnengalerien, ähnlich wie Wikipedia.
Wie soll Ihrer Meinung nach mit dem Anschlag umgegangen werden?
Die Medien stehen vor der Herausforderung, im Nachgang den Blick nicht zu stark auf die Täterfigur zu richten. Letztendlich ist es nämlich genau das, was der Täter will: berühmt zu werden. Man muss jetzt vorsichtig damit sein, gleich nach Gegenmaßnahmen zu rufen. Eine Antwort auf eine solche Tat kann auch mehr Offenheit sein.
Welche Auswirkungen hat der Anschlag auf unsere Gesellschaft?
Unsere Gesellschaft wird weiter eingeschüchtert und es ist natürlich auch eine ordentliche Portion Ohnmacht mit dabei.
Trägt die allgemein aufgeheizte Stimmung, die sich zum Beispiel in vermehrten Morddrohungen äußert, zu solchen Taten bei?
Ich sehe hier keinen direkten Kausalzusammenhang. Es ist aber generell so, dass es natürlich eine Verrohung des politischen Diskurses gibt und sich Einzeltäter durch die virtuellen Möglichkeiten individuelle Verschwörungstheorien zusammenbasteln können.
Was kann jeder Einzelne von uns alltäglich gegen Rechtsextremismus tun?
Wir müssen versuchen, so gut es geht argumentativ dagegen zu halten.
Jana Marie Bertermann