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In Hamburg kam es in der Nacht zu Mittwoch zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen radikalen Muslimen und Kurden.
© dpa

Krawalle zwischen Kurden und Salafisten: Der IS-Konflikt schwappt nach Deutschland über

Nicht nur in der Türkei kommt es bei Demonstrationen zwischen Kurden und Islamisten zu Ausschreitungen. Auch in Hamburg und Celle gab es in den vergangenen Tagen mehrere Verletzte. Mitten drin: die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK.

Der Konflikt schwappt nach Deutschland über, die Emotionen kochen hoch. Am Dienstagabend gingen in Hamburg Kurden und Salafisten aufeinander los, laut Polizei waren sie „zum Teil mit Schlag- und Stichwaffen bewaffnet". Mindestens 14 Randalierer wurden verletzt, vier davon schwer. Die Polizei musste Wasserwerfer einsetzen, um die Krawalle zu beenden. Schon am Abend zuvor hatten Kurden in der Hansestadt ihre Wut an Autos und einem türkischen Imbiss ausgelassen.

Ein weiterer Brennpunkt ist die niedersächsische Stadt Celle. Erst kam es am Montag zu einer Massenschlägerei zwischen kurdischen Jesiden und tschetschenischen Muslimen, am Dienstag attackierten beide Lager dann massiv die Polizei, die sich zwischen die Fronten gestellt hatte. Auslöser war offenbar ein privater Streit, der aber womöglich vor dem Hintergrund des Konflikts in Nordsyrien eskalierte. Auch andernorts heizt sich die Stimmung auf.

Mittwochmittag verkündete die Gruppierung „Perspektive Kurdistan“ auf ihrer Facebook-Seite in einer „Eilmeldung“, die CDU-Geschäftsstelle in Hannover sei besetzt, „alle hin da!“ Außerdem hätten „Genoss*innen“ die SPD-Geschäftsstelle in Bielefeld besetzt, wegen der angeblich „opportunistischen Politik“ der Partei im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Und die Proteste in deutschen Städten dürften noch zunehmen, sagen Sicherheitskreise – erst recht, wenn das von der Terrormiliz IS angegriffene Kobane fällt.

"PKK wittert Morgenluft"

Mit wachsender Sorge blicken Polizei und Verfassungsschutz auf die Sicherheitslage in der Bundesrepublik. „Wir sind hier ein Spiegelbild der Situation in der Türkei“, sagt ein Experte, „schon weil in Deutschland viele Kurden leben“. Die genaue Zahl weiß niemand, da es keine kurdische Staatsangehörigkeit gibt. Schätzungen reichen bis zu einer Million. An den Protesten in Hamburg, Berlin, Hannover, Bremen, Herford, Frankfurt/Main, Stuttgart und weiteren Städten beteiligen sich allerdings nur je ein paar hundert Kurden. Und es gibt aus Sicht der deutschen Behörden meist einen Drahtzieher: die PKK, die seit 1993 wegen militanter Aktivitäten in der Bundesrepublik verbotene Arbeiterpartei Kurdistans. Ihre 13.000 Mitglieder in Deutschland halten die illegale Struktur hartnäckig aufrecht.

„Die wittern Morgenluft“, heißt es in Sicherheitskreisen, „wegen ihres Widerstands gegen den IS halten sie sich für die Guten.“ Die PKK hoffe, das Verbot werde nun aufgehoben und in der Türkei ihr Anführer, Abdullah Öcalan, aus der Haft entlassen. Mit den Protesten in Deutschland und anderen Staaten der EU wolle die PKK Aufmerksamkeit erregen und moralischen Druck ausüben. Aber genau deshalb werde die PKK auch die Mittel dosieren, meinen Experten.

Experten sehen Gefahr einer gewaltsamen Eskalation

Bombenanschläge auf türkische Einrichtungen oder salafistische Moscheen seien nicht zu erwarten. „Da würde die PKK ja ihr Image wieder verschlechtern“, sagt ein Fachmann. Doch weitere, scheinbar spontane Demonstrationen und Besetzungen von Parlamenten, Funkhäusern und anderen Institutionen seien wahrscheinlich. Zum „Instrumentarium“ der PKK zählten zudem Selbstverbrennungen. 1994 hatten sich in Mannheim zwei Kurdinnen angezündet, eine starb. Hinweise auf einen bewaffneten Kampf der PKK in der Bundesrepublik haben die Experten nicht – und sehen dennoch die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation.

Die PKK ist in Deutschland Teil eines Konfliktszenarios, in dem mehrere extremistische Spektren mitmischen. Durch Demonstrationen von Kurden fühlen sich die leicht reizbaren Salafisten provoziert. Bei den Ultrafrommen bewundern viele den IS wegen seiner militärischen Erfolge. Bis zu 700 der 6600 Salafisten in Deutschland seien gewaltorientierte Anhänger der Terrormiliz, warnen Sicherheitsexperten.

Auf Aktionen der Salafisten reagieren zudem Neonazis und andere Rechtsextremisten. Als im September eine „Scharia-Polizei“ durch Wuppertal lief, antwortete die braune Kleinpartei „Die Rechte“ mit einer Patrouille, die sich als „Stadtschutz“ begriff. Außerdem haben rechtsextreme und unpolitische Hooligans eine Art Einheitsfront gegen Salafisten formiert, mit dem martialisch klingenden Namen „GnuHonnters“. Das soll „neue Jäger“ bedeuten.

Kompliziertes Konfliktszenario

Die Salafisten ihrerseits reagierten 2012 auf provokative Demonstrationen der rechtsextremen, islamfeindlichen Partei Pro NRW mit Ausschreitungen in Solingen und Bonn. Ein Trupp soll sogar ein Attentat auf den Vorsitzenden der Partei vorbereitet haben. Im September begann am Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess gegen die vier Bärtigen, von denen einer auch 2012 eine Bombe am Bonner Hauptbahnhof abgelegt haben soll.

Damit ist das deutsche Szenario der in sich verbissenen Extremisten aber noch nicht komplett. Denn die PKK hat nicht nur die Salafisten und natürlich die deutschen Rassisten gegen sich, sondern auch die türkischen Nationalisten. Vor allem im Internet überziehen sich junge PKK-Anhänger und ebenso heißblütig pubertierende Aktivisten der Ülkücü-Bewegung mit obszönen Hasstiraden. Sie münden manchmal in Handgreiflichkeiten auf der Straße. Unterstützung bekommt die PKK hingegen von türkischen und deutschen Linksextremisten.

Deutschland, so scheint es angesichts der explosiven Mischung innerer und äußerer Konflikte, steht vor einem heißen Herbst.

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