Kanzlerkandidat Martin Schulz: Bloß nicht über Rot-Rot-Grün reden
Der SPD-Kanzlerkandidat will sich mit frühzeitigen Koalitionsaussagen nicht angreifbar machen. Doch Schulz und seine Partei sondieren längst. Nach Tagesspiegel-Informationen traf er sich kürzlich mit Gregor Gysi.
Wenn Martin Schulz am Sonntag in der Treptower „Arena“ seine Rede hält, bevor ihn die SPD zum Parteichef und Kanzlerkandidaten kürt, ist ihm Jubel sicher. Wie kein anderer Sozialdemokrat seit Willy Brandt weckt Schulz große Gefühle und noch größere Hoffnungen: Martin, der Erlöser. Bei Auftritten an der SPD-Basis wird der Mann aus Würselen seit Wochen gefeiert wie ein Messias. Vor allem bei einem Schulz-Satz geraten die Genossen völlig aus dem Häuschen: „Ich will Kanzler werden.“
Wer genau ihm zur Kanzlermacht verhelfen soll, lässt der Kandidat geflissentlich offen. Will er sich notfalls mit den Stimmen der Linken zum Regierungschef eine rot-rot-grünen Koalition wählen lassen? Der Frage will Schulz ausweichen – und zwar konsequent bis zur Bundestagswahl. Bis dahin sollen sich die Wähler mit der Formel zufriedengeben, wonach er antritt, um die SPD zur stärksten Partei zu machen. Andere Parteien könnten sich bei Interesse an einer Koalition nach der Wahl dann gerne melden.
Auf diese Weise will der frühere Präsident des EU-Parlaments möglichst wenig Angriffsfläche für einen Lagerwahlkampf gegen Rot-Rot-Grün bieten, mit dem CDU und CSU ihre Anhänger für eine weitere Amtszeit von Angela Merkel mobilisieren könnten. Schulz weiß zudem: Auch bei manchen SPD-Anhängern löst die Aussicht auf eine Koalition mit Sahra Wagenknecht keine Begeisterung aus.
Allerdings könnte sich die Frage nach Rot-Rot-Grün im Bund bald mit neuer Wucht stellen. Schon am Sonntag kommender Woche wählt das kleine Saarland. Dort hat die Landes-SPD dank dem Schulz-Effekt gegenüber der CDU von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer erheblich aufgeholt. Zwar liegt die CDU mit 37 Prozent immer noch fünf Punkte vor den Sozialdemokraten, wie die aktuelle Umfrage des Politbarometers im Auftrag von ZDF und Tagesspiegel ergab. Gemeinsam mit der Linkspartei von Oskar Lafontaine, die bei zwölf Prozent liegt, könnte es am Ende aber knapp für Rot-Rot reichen.
Für Schulz wäre die Ablösung von Kramp-Karrenbauer ein weiterer Schub
Für den Kandidaten und seinen Wahlkampf wäre die Ablösung der Merkel-Vertrauten Kramp-Karrenbauer ein weiterer Schub – der „Schulzzug“ würde noch an Tempo zulegen. In SPD-Kreisen gilt es außerdem als ausgemacht, dass die Genossen an der Saar alles versuchen werden, um ihre Spitzenkandidatin Anke Rehlinger zur Ministerpräsidentin zu machen. Rot-Rot in Saarbrücken wäre also aus der Parteizentrale in Berlin heraus ohnehin kaum zu verhindern.
Als Signal für den Bund soll die erste rot-rote Landesregierung im Westen keinesfalls gedeutet werden – wenn es nach Martin Schulz geht. Die Parteistrategen reden das mögliche Bündnis schon jetzt nach Kräften herunter. Erklärte Anhänger von Rot-Rot-Grün im Bund sind da weniger zurückhaltend. Sie hoffen, dass die Chancen für ihr Projekt im Bund dann steigen. „Wenn Lafontaine im Saarland Rot-Rot möglich macht, wird Frau Wagenknecht auf Bundesebene eher an einem Bündnis mit der SPD arbeiten, anstatt uns weiter rückwärtsgewandt zu beschimpfen“, sagt der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer. Und der Wortführer der SPD-Linken, Matthias Miersch, stellt ganz grundsätzlich fest: „Die Chancen für einen echten Politikwechsel mit Rot-Rot-Grün werden immer besser.“ Allerdings sei diese Entwicklung kein Selbstläufer, warnt er: „Alle drei Parteien werden sich bewegen müssen."
Bei der SPD ist die Bewegung im vollen Gang. Sogar die SPD-Netzwerker, die sich in der Mitte der Partei verorten, knüpfen jetzt Kontakte: Kurz vor der Saar-Wahl haben sie am kommenden Donnerstag den Ko-Chef der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, zum Gedankenaustausch geladen.
Auch Schulz selbst sondiert bereits Chancen und Risiken von Rot-Rot-Grün im Bund. Nach Tagesspiegel-Informationen traf er sich kürzlich mit dem früheren Linksfraktionschef Gregor Gysi, um Gemeinsamkeiten auszuloten. Beide sollen zu dem Schluss gekommen sein, dass nicht die Außenpolitik und die Auslandseinsätze der Bundeswehr das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit seien. Viel entscheidender sei eine Annäherung bei den großen sozialen Themen wie etwa der Zukunft der Rente.