Beihilfe zum Suizid: Der Gesundheitsminister muss aufklären, warum er das Sterbehilfe-Urteil ablehnt
Assistenz beim Suizid? Niemals. Die Regierung widersetzt sich einem Bundesrichterspruch, der in Notfällen zur Abgabe tödlicher Medikamente zwingt. Nach einer Tagesspiegel-Klage muss dazu jetzt mehr Transparenz geschaffen werden.
Das Bundesgesundheitsministerium von Minister Jens Spahn (CDU) muss über die Hintergründe seiner fortgesetzten Weigerung aufklären, das umstrittene Sterbehilfe-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu befolgen. Das Verwaltungsgericht Köln hat das Ministerium auf Tagesspiegel-Antrag verpflichtet, Leitungsvermerke und behördeninternen E-Mail-Verkehr nach Erlass des höchstrichterlichen Urteils offenzulegen (Az.: 6 L 261/18). Damit könnte nachvollzogen werden, wie es zu der Haltung an der Spitze des Ministeriums kam und ob ihr neben rechtlichen vorrangig politische Motive zugrunde liegen. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Minister Spahn kann Beschwerde einlegen.
Die Leipziger Bundesrichter hatten das dem Ministerium nachgeordnete Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im März 2017 dazu verurteilt, die Abgabe tödlicher Medikamente an schwer leidende Patienten zu genehmigen, wenn diese einen entsprechenden Antrag stellen. Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) empfand dies als Zumutung und signalisierte, das Urteil zu ignorieren; der Staat dürfe „niemals Helfershelfer einer Selbsttötung werden“.
Wie sich zeigt, nimmt Spahn jetzt Gröhes Linie auf. Am Freitag vergangener Woche verschickte sein Staatssekretär Lutz Stroppe ein Schreiben an das BfArM mit der Ansage, die Anträge abzulehnen. „Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, Selbsttötungshandlungen durch die behördliche, verwaltungsaktmäßige Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb des konkreten Suizidmittels aktiv zu unterstützen“, schreibt Stroppe in dem Brief. Ein derartiges Handeln sei mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes unvereinbar, mit den Medikamenten ausschließlich die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Die Patienten erhielten Formbriefe. 21 sind schon tot.
Genau dies hatte das Bundesverwaltungsgericht jedoch anders gesehen und die Abgabe unter engen Voraussetzungen prinzipiell genehmigt. Das Gesundheitsministerium setzt sich damit über ein rechtskräftiges, für vergleichbare Fälle bindendes Urteil hinweg. Die bisher gestellten Anträge, derzeit sind es 108, ließ das BfArM liegen. Die Absender erhielten nur Formbriefe zurück. 21 Patienten sind nach Angaben des BfArM während der Wartezeit bereits verstorben.
Im Bundesgesundheitsministerium sowie im BfArM hatte man die Strategie, die eigene Rechtsmeinung über die des höchsten Verwaltungsgerichts zu setzen, offenbar frühzeitig ersonnen. Einige Wochen nach dem Urteil wurde der prominente Verfassungsrechtler und Ex-Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio mit einem Gutachten beauftragt. Der Jurist ist bekennender Katholik und warnt seit Langem vor einer „Gesellschaft, die ihre Hand zur Selbsttötung reicht“. Entsprechend fielen die Ergebnisse aus. Di Fabio identifizierte den Richterspruch als Eingriff in gesetzgeberische Freiheiten und riet zu einem Nichtanwendungserlass, wie es ihn gelegentlich bei finanzgerichtlichen Urteilen gibt.
Die Behörden hoffen auf das Parlament
In diese Richtung geht nun auch das Schreiben des Staatssekretärs, selbst wenn dieser förmlich nur eine Bitte ausspricht. Den Betroffenen bleibt nur, erneut Gerichtsverfahren anzustrengen. Einige sogenannte Untätigkeitsklagen gegen das BfArM sind bereits eingereicht. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss kann es jedoch Jahre dauern.
Die Bundesbehörden hoffen derweil auf das Parlament. Minister Spahn will gesetzlich klarstellen lassen, dass dem Staat die Abgabe von Medikamenten zu Suizidzwecken verboten ist. Unterstützer für diese Sichtweise gibt es quer durch die Parteien. Allerdings gibt es auch Fachpolitiker wie Karl Lauterbach (SPD), die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die richtige Leitlinie sehen. Orientierung könnte auch das Bundesverfassungsgericht bieten, dem Beschwerden gegen das 2015 eingeführte strafrechtliche Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe vorliegen. Doch ist bislang dazu noch keine Verhandlung geplant.
Bis auf Weiteres werben die politischen Akteure um Unterstützung. Mitunter auch bei der Presse. So hat das Gesundheitsministerium eingestanden, das Di-Fabio-Gutachten gezielt an die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ durchgestochen zu haben. Wie erwartet wurde es dort rundweg positiv besprochen. Andere Medien blieben trotz Anfrage außen vor. Freiwillig machte das Ministerium diese Angaben ebenfalls nicht – erst nach einer Klage.