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Geballter Zorn. In Teheran haben Demonstranten vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen protestiert.
© Atta Kenare/AFP

Iran und Saudi-Arabien: Der gefährliche Kalte Krieg am Golf

Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hat tiefer liegende Ursachen. Er begann bereits 1979 – und hat viel mit dem Verhalten der USA tun. Ein Essay.

Ein Essay von Guido Steinberg

Das Jahr 2016 begann im ohnehin von Krisen geplagten Nahen Osten mit einer dramatischen Konfrontation zweier wichtiger Länder, Saudi-Arabien und Iran. Den Anlass lieferte Riad, indem es 47 Terroristen und Oppositionelle hinrichten ließ, von denen vier Schiiten waren, unter ihnen der bekannte Prediger Nimr an-Nimr. In Teheran wurden daraufhin am 3. Januar Teile der saudi-arabischen Botschaft gestürmt und abgebrannt, woraufhin die saudi-arabische Führung die diplomatischen Beziehungen abbrach.

Die Saudis und Barack Obamas Untätigkeit

Die Ereignisse machten einer erschrockenen Weltöffentlichkeit in dramatischer Art und Weise deutlich, dass der Nahe Osten nicht nur von Staatszerfall, Bürgerkriegen und Terrorismus in Ländern wie Syrien, Libyen oder dem Jemen heimgesucht wird, sondern auch die Auseinandersetzung zwischen zwei regionalen Führungsmächten dazu beiträgt, dass sich die Krise verschärft und immer mehr religiös auflädt. Tatsächlich befinden wir uns lediglich in einer neuen Phase eines Konfliktes zwischen Saudis und Iranern, der seit der Islamischen Revolution von 1979 anhält und sich seit 2011 dramatisch zuspitzt und längst Züge eines regionalen Kalten Krieges angenommen hat.

Ende 2010/Anfang 2011 brachen in weiten Teilen der arabischen Welt Proteste und Volksaufstände aus, in deren Verlauf autoritäre Regime in der gesamten Region unter Druck gerieten. Die am stärksten betroffenen Länder waren Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Syrien und Bahrain, aber auch ihre Nachbarn erlebten Demonstrationen und Unruhen. Die saudi-arabische Führung war zunächst besonders aufgrund der Ereignisse in Ägypten beunruhigt, wo Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 zurücktreten musste. Riad hatte in ihm immer einen Verbündeten im Konflikt mit dem revolutionären Iran gesehen und reagierte schockiert auf den Sturz und die Tatsache, dass die US-Regierung nichts unternommen hatte, diesen zu verhindern. Obamas Untätigkeit warf aus Sicht der Saudis die Frage auf, ob die USA auch sie im Fall einer Krise fallenlassen würden.

Da die US-Regierung den Eindruck mangelnder Verlässlichkeit nicht ausräumen konnte, wurden König Abdallah und seine Gefolgsleute selbst aktiv und wurden zum Anführer der Gegenrevolution. Sie stellten sich an die Spitze einer Gruppe von Staaten, die trotz der Proteste stabil blieben und die wenn nötig finanzielle Hilfe erhielten. Dabei handelte es sich vor allem um die Monarchien des Golfkooperationsrates, Jordanien und Marokko. Der sichtbarste Erfolg dieser Koalition waren der Militärputsch gegen die Muslimbruderschaft in Ägypten und die Machtübernahme von General Abdalfattah al-Sisi im Juli 2013, der von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait massiv unterstützt wurde.

Aus saudi-arabischer Sicht noch wichtiger als Ägypten war aber das kleine Inselkönigreich Bahrain. Dort waren im Februar 2011 Unruhen ausgebrochen, die schnell einen offen konfessionellen Charakter annahmen. Denn in Bahrain fordert die schiitische Bevölkerungsmehrheit politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichberechtigung, die ihnen das sunnitische Herrscherhaus vorenthält. Die saudi-arabische und die bahrainische Führung hingegen sahen in den Protesten den Versuch iranhöriger Gruppierungen, mithilfe Teherans eine legitime Regierung zu stürzen. Als sich die Situation zuzuspitzen drohte, marschierten Truppen des Golfkooperationsrates unter saudi-arabischer Führung in Bahrain ein und halfen den einheimischen Sicherheitskräften, die Proteste niederzuschlagen.

Das Vertrauen der saudischen Herrscher in die USA schwand

Geballter Zorn. In Teheran haben Demonstranten vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen protestiert.
Geballter Zorn. In Teheran haben Demonstranten vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen protestiert.
© Atta Kenare/AFP

Die Ereignisse in Bahrain waren für die saudische Herrscherfamilie auch deshalb wichtig, weil Bahrain direkt vor der Küste der saudi-arabischen Ostprovinz liegt. Genau dort aber leben die meisten der zwei bis drei Millionen saudi-arabischen Schiiten. Sie werden von der sunnitischen Herrscherfamilie massiv benachteiligt. Als auch dort Proteste einsetzten, reagierte Riad mit massiver Repression und machte die iranische Führung verantwortlich. Dass mit Nimr an-Nimr die wichtigste Symbolfigur dieser Protestbewegung hingerichtet wurde, zeigt, für wie bedrohlich Saudi-Arabien die Schiiten im eigenen Land hält.

Was sich heute vor allem als Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran darstellt, war lange Zeit einer unter drei Staaten, in dem der Irak unter Saddam Hussein die Schlagzeilen der Weltpolitik dominierte, indem er besonders aggressiv versuchte, zur Vormacht der Golfregion zu werden. Folge dieses Bestrebens waren drei Kriege, der irakisch-iranische 1980 bis 1988, der Kuwait-Krieg 1990/91 und die amerikanische Invasion von 2003, die damit endeten, dass der Irak beinahe auseinanderfiel und nicht mehr in der Lage war, mit seinen beiden Nachbarn zu konkurrieren.

Den Golfkrieg 2003 hielt die saudi-arabische Führung für einen schweren Fehler

Saudi-Arabien hatte den Irak im Krieg gegen Iran in den 1980er Jahren massiv unterstützt. Die Islamische Revolution unter Führung von Ayatollah Khomeini hatte Schiiten in der gesamten Region mobilisiert und auch in Saudi-Arabien kam es 1979 und 1980 zu Unruhen. Die Herrscherfamilie hoffte darauf, dass es Saddam Husseins Truppen gelingen würde, die junge Islamische Republik zumindest so sehr zu schwächen, dass sie ihre Politik des Revolutionsexports aufgeben würde. Zwar fürchtete sie auch den Expansionsdrang des Irak, doch schien der damals das weitaus kleinere Übel zu sein. Erst nach dem Ende des Krieges zeigte sich, dass diese Hoffnung eine trügerische war, als irakische Truppen im August 1990 in das Golfemirat Kuwait einfielen und auch ein Angriff auf die saudi-arabische Ostprovinz möglich schien. Sofort rief König Fahd die USA zu Hilfe, die schon nach wenigen Tagen die ersten Truppen entsandten und im Frühjahr 1991 Kuwait befreiten. Den Krieg von 2003 hingegen hielt die saudi-arabische Führung für einen schweren Fehler, denn aus ihrer Sicht stellte der Irak schon seit dem Zweiten Golfkrieg von 1990/91 keine unmittelbare Gefahr mehr dar. Vielmehr fürchtete Riad bereits vor der Invasion, dass nach einem Regimewechsel im Irak ein Bürgerkrieg ausbrechen und das Land vielleicht sogar auseinanderfallen würde. Außerdem drohte ein Sturz Saddam Husseins den Iran zu stärken, weil damit der wichtigste regionale Gegner Teherans ausfallen würde.

Als sich alle diese Befürchtungen nach der amerikanischen Invasion in dramatischer Weise bewahrheiteten und im Irak 2005 schiitische Islamisten die Wahlen gewannen, protestierten die Saudis. Wie verstimmt sie waren, zeigte eine viel beachtete Rede des damaligen Außenministers Prinz Saud al-Faisal in Washington vom September 2005, als er sagte: „Die Iraner gehen nun in dieses befriedete Gebiet , das die amerikanischen Truppen befriedet haben, und sie gelangen in jede Regierung im Irak, zahlen Geld, setzen ihre eigenen Leute ein, (...) bauen sogar Polizeieinheiten für sie auf, bewaffnen Sicherheitskräfte und Milizen, die dort sind, und bauen ihre Präsenz in diesen Gegenden aus. Und sie werden dabei von den britischen und amerikanischen Truppen in diesen Gebieten beschützt. Uns erscheint es vollkommen weltfremd, dass Sie das tun. Wir haben gemeinsam einen Krieg geführt, um den Iran davon abzuhalten, den Irak zu besetzen, nachdem der Irak aus Kuwait vertrieben worden war. Jetzt aber überlassen wir das ganze Land ohne Grund dem Iran.“

Die Sorge, Teheran könnte die Golfstaaten ungehindert unter Druck setzen

Tatsächlich nahm der iranische Einfluss auf die Regierung in Bagdad in den folgenden Jahren noch zu, insbesondere nachdem die USA ihre Truppen bis Ende 2011 abzogen. Der von Riad wahrgenommene zunehmende Einfluss Irans in der arabischen Welt führte dazu, dass Saudi-Arabien schon ab 2006 zu einer aggressiveren Regionalpolitik überging, die aber erst nach 2011 in einen regelrechten Kalten Krieg umschlug.

In diesen Jahren wurde auch das iranische Atomprogramm zu einem wichtigen Faktor in der saudi-arabischen Politik. Als im Jahr 2002 Informationen über ein militärisches Atomprogramm Irans öffentlich wurden, war Saudi-Arabien sofort alarmiert. Denn unter dem im Iran regierenden Reformer Präsident Mohammed Khatami hatten sich die Beziehungen in den Jahren zuvor deutlich entspannt. Dass die Islamische Republik trotzdem an der Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet hatte, prägte die saudische Sicht auf den Nachbarn in den nächsten Jahren. Dass im Sommer 2005 mit Mahmud Ahmadinedschad ein ausgesprochener Hardliner das Amt des iranischen Präsidenten übernahm, verschärfte die Sorge auf saudi-arabischer Seite. Riad war fortan fest überzeugt, dass das iranische Nuklearprogramm in erster Linie militärischen Zwecken diente und sich darüber hinaus primär gegen die unmittelbaren Nachbarn des Iran in der Golfregion richtete. Größer als die Furcht vor einem Angriff mit Atomwaffen war dabei die Sorge, dass Teheran einen nuklearen Schutzschild nutzen könnte, um die Golfstaaten ungehindert unter Druck zu setzen und durch Unterstützung militanter Schiiten zu destabilisieren.

Trotz allem bleibt Saudi-Arabien ein verlässlicher Partner

Geballter Zorn. In Teheran haben Demonstranten vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen protestiert.
Geballter Zorn. In Teheran haben Demonstranten vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen protestiert.
© Atta Kenare/AFP

Riad baute in dieser Phase trotz aller Enttäuschung über die amerikanische Irak-Politik in erster Linie auf das Bündnis mit den USA und versuchte diese zu einer kompromisslosen Politik gegenüber Teheran zu bewegen. Geradezu legendär ist mittlerweile die Forderung König Abdallahs an die US-Regierung, „den Kopf der Schlange abzuschlagen“, sprich die iranischen Nuklearanlagen mit einem Militärschlag zu zerstören und das iranische Regime zu stürzen. Dass die USA trotzdem begannen, Verhandlungen mit dem Iran zu führen und diese im Juli 2015 in das Atomabkommen mündeten, sah die saudi-arabische Führung äußerst kritisch. Ihre Sorge war, dass Iran das Ende der Sanktionen und die dann zu erwartenden steigenden Einnahmen zu einer noch aggressiveren Regionalpolitik nutzen würde. Enttäuscht davon, dass die Obama-Administration so gar nicht auf sie hörte, ergriff der neue saudi-arabische König Salman die Initiative.

Saudi-Arabiens Eingreifen in Syrien und der Zusammenhang mit dem Atomprogramm

Es ist kein Zufall, dass er den Konflikt 2015 eskalieren ließ, als sich die Übereinkunft über das Atomprogramm bereits deutlich abzeichnete. In Syrien unterstützte das Königreich seit Anfang 2015 gemeinsam mit der Türkei eine islamistische Rebellenkoalition, die prompt große Erfolge gegen das Assad-Regime – immerhin der wichtigste Verbündete Teherans – feierte und damit die russische Militärintervention vom Sommer provozierte. Im Jemen intervenierte die saudi-arabische Luftwaffe seit März sogar direkt, um den Siegeszug der mit Teheran lose verbündeten schiitischen Huthi-Rebellen zu beenden.

Zwar zeigten sich Politiker in den USA und Europa teils sehr verstimmt über die saudi-arabische Politik im Jemen und über die Entscheidung, Nimr an-Nimr und seine Glaubensgenossen hinzurichten. Und tatsächlich ist besonders der Krieg im Jemen ein schwerer Fehler, der nicht nur die im Jemen operierende Al Qaida erstarken lässt, sondern auch einen Krisenherd schafft, der Saudi-Arabien und vielleicht auch die Welt auf Jahrzehnte hinaus beschäftigen könnte. Doch ändern diese und ähnliche Fehlleistungen nichts daran, dass Saudi-Arabien für die USA und damit auch indirekt für Europa ein wichtiger Partner bleibt, auf den niemand verzichten will und kann und dessen Stabilität im Interesse fast der ganzen Welt liegt.

Dies gilt für die weiterhin enorm wichtige Rolle Saudi-Arabiens in der Versorgung der Welt-Erdölmärkte, für seine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung islamistischer Terroristen, aber eben auch für die Lösung regionaler Konflikte wie in Syrien oder im Jemen. Dass das Königreich hier immer auch einen Teil des Problems darstellt, ändert nichts daran, dass es sich oft als verlässlicher Partner erwiesen hat und weiterhin erweisen wird. Die USA versuchen deshalb seit Jahren, der saudischen Herrscherfamilie zu verdeutlichen, dass das seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Bündnis zwischen den beiden Ländern trotz aller Meinungsverschiedenheiten intakt ist.

Das Land braucht keine Kampfpanzer, aber durchaus eine funktionierende Grenzsicherung

Deutschland ist gut beraten, eine ähnliche Politik zu verfolgen, denn die Ereignisse des Jahres 2015 zeigen, dass nur eine aktivere Politik im Nahen Osten helfen wird, die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen und die Gefahr durch islamistische Terroristen zu verringern. In der Region aber hat Deutschland nur wenige zuverlässige Partner und vor allem keine von großem regionalpolitischem Gewicht.

Wie die USA haben auch Deutschland und Europa darüber hinaus ein großes Interesse daran, dass Saudi-Arabien stabil bleibt. Dazu braucht das Königreich keine Kampfpanzer, mit denen es seinen unseligen Krieg im Jemen führen kann. Dazu braucht es aber durchaus eine funktionierende Grenzsicherung, für die deutsche Firmen richtigerweise Patrouillenboote und Technik liefern. Die gegenwärtige Rüstungsexportpolitik spiegelt so das deutsche Interesse an Saudi-Arabien ebenso wie die gegenwärtigen Grenzen der Zusammenarbeit sehr gut wider.

Der Autor ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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