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Reform des Finanzausgleichs: Der Bundestag hat keine Eile

Die Ministerpräsidenten der Länder wollen eine zügige Neuregelung des Finanzausgleichs. Aber die Kritik an ihrem Modell wächst. Und das Parlament war nicht eingebunden.

Der Bundestag - erleuchtet.
Der Bundestag - erleuchtet.
© Paul Zinken/dpa

Carsten Schneider ist sauer. Die Verhandlungen über einen neuen Bund- Länder-Finanzausgleich ab 2020 führten die Ministerpräsidenten der Länder weitgehend unter sich, auf Seiten des Bundes war nur Finanzminister Wolfgang Schäuble beteiligt. Aber nicht der Bundestag. Das hat den Fraktionsvize der SPD, zuständig für das Finanzielle, immer geärgert. Und nicht nur ihn.  Im Bundestag stößt der im Dezember vorgelegte Kompromissvorschlag  der Ministerpräsidenten (von Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff als „mathematisches Glanzstück“ bezeichnet) auf deutlich weniger Begeisterung als im Bundesrat, der Kammer der Länder. Am Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten wieder mit der Kanzlerin. Der Finanzausgleich dürfte Thema sein, die Länder werden darauf dringen, nun schnell zu einem Abschluss zu kommen.

Schneider hält das nicht für geboten. Er sagte dem Tagesspiegel: „Ist der Gesetzgeber eigentlich noch von Bedeutung? Glauben die Regierungen, den Bundestag völlig übergehen zu können – nach dem Motto ,friss oder stirb’? Ich glaube nicht, dass die Koalitionsfraktionen das mitmachen.“ Ganz ähnlich sieht das der zuständige Unions-Fraktionsvize Ralf Brinkhaus. „Das Kompromissmodell der Länder ist teuer, belastet einseitig den Bund und bringt keine strukturellen Verbesserungen“, lautet seine Einschätzung.

Länderfinanzausgleich würde abgeschafft

Die Ministerpräsidenten hatten sich auf ein detailreiches Modell verständigt, dessen Kernstück die Reduzierung der vier Stufen des Finanzausgleichs auf drei ist. Der Länderfinanzausgleich, also der horizontale Ausgleich zwischen den Landeshaushalten, der immer wieder für Streit zwischen „Gebern“ und „Nehmern“ sorgte, wird abgeschafft. Die kompletten Transfers zwischen den Ländern sollen nun in der bisherigen zweiten Stufe, der Umsatzsteuerverteilung, durch Zu- und Abschläge stattfinden. Zudem wird eine Art Deckelung der Lasten der stärkeren Länder eingeführt. Zum Kompromiss gehört auch eine stärkere „Vertikalisierung“ des Ausgleichs – was letztlich auf zusätzliche Belastungen des Bundes hinausläuft. Zu denen gehört eine neue Sonderzuweisung für Forschungsförderung. Wachsen die Finanzkraftunterschiede der Länder wie bisher weiter, wächst nach diesem System auch der Zuschussbedarf des Bundes. Das Ländermodell basiert auf einer Zahlung des Bundes von zunächst 9,6 Milliarden Euro im ersten Geltungsjahr – Schäuble hatte dagegen nur 8,5 Milliarden angeboten.

Um diese Differenz, ein reines Geldproblem, dreht sich die Debatte bisher vor allem. Aber dabei wird es wohl nicht bleiben. Schneider sieht „gravierende verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Fragen, über die man sprechen muss“. Wie viel der Bund letztlich gebe, ob 8,5 oder 9,6 Milliarden, „ist für mich nicht die entscheidende Frage“ - sondern die „Gefahr einer immer stärkeren Vertikalisierung des Finanzausgleichs, die zwar den Einfluss des Bundes erhöht, aber die schwächeren Länder auch in eine stärkere Abhängigkeit vom Bund bringen könnte“. Auch Brinkhaus denkt über die eine Milliarde hinaus. Er vermisst den großen Wurf und sieht bloß eine „Fortsetzung des Klein-Klein“. „Die Möglichkeit, Aufgaben und Zahlungsverantwortlichkeiten zu entflechten, wird verpasst.“

"Selbstentmachtung der Länder"

Unter Wissenschaftlern hat schnell eine Diskussion des Länder-Modells begonnen. Der Verfassungsjurist Hans-Günther Henneke, auch Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, merkte an, es handele sich eher um Klempnerei als um Architektur, auch wenn der Vorschlag positive Elemente enthalte wie die höhere Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft. Der Staatsrechtsprofessor Stefan Korioth aus München, der die Stellungnahme von zehn Ländern zur bayerisch-hessischen Klage gegen den Finanzausgleich in Karlsruhe verfasst hat, sagte dem Tagesspiegel: „Das Modell der Ministerpräsidenten ist eine grundsätzliche Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung und kommt einer Selbstentmachtung der Länder gleich.“ Es nütze vor allem dem Bund, der dadurch „erhebliche neue Steuerungsmöglichkeiten“ bekommen würde. Auf Länderseite würden allenfalls die bisherigen Geberländer gestärkt, zu Lasten vor allem der schwächeren Flächenländer. Korioth:  „Damit wird der Weg des solidarischen Ausgleichs zwischen den Ländern verlassen. Aber die Ländergesamtheit läuft begeistert in diese Richtung.“ Dabei sei das neue Modell genauso konfliktträchtig wie das alte. „Spätestens 2025 werden die Streitereien wieder beginnen.“

"Starke stärker, Schwache schwächer"

Kritisch beurteilt das Länder-Modell auch der Leipziger Finanzwissenschaftler Thomas Lenk: „Der Preis der Einigung, der zwar die finanziellen Interessen der Länder zunächst erfüllt, ist die stärkere Abhängigkeit von Bundesmitteln, die – insbesondere aus ostdeutscher Sicht – eigentlich vermieden werden sollte.“ Es komme zu einem Bedeutungsverlust des Ausgleichs der Länder untereinander und somit zu einer Entsolidarisierung. „Der Vorschlag stärkt die Starken und schwächt die Schwachen.“ Zudem bringe die Verringerung von vier auf drei Stufen nur vordergründig mehr Transparenz. Denn in dem neuen Umsatzsteuerausgleich kämen, abgesehen vom geänderten Tarifverlauf, "alle Parameter wieder zur Anwendung, die den jetzt abgeschafften Länderfinanzausgleich undurchsichtig und auch streitanfällig gemacht haben". Dazu gehören die Gemeindefinanzkraft und die die höhere Einwohnerwertung zu Gunsten der Stadtstaaten.

Sechzehnerlösung nicht einfach

Die „Klempner“ in den Ländern betonen, es sei darum gegangen, einen pragmatischen Konsensvorschlag zu erzielen, den alle Länder mittragen können. Darauf sind sie erkennbar stolz – Sechzehnerlösungen beim Geld sind nicht einfach. Ihr Vorgehen war vor allem am Ergebnis orientiert - kein Land sollte schlechter dastehen. Dafür wurden, nachdem die Hauptforderungen der großen Länder Bayern (Entlastung um eine Milliarde Euro im Jahr) und Nordrhein-Westfalen (Status als Zahlerland) erfüllt waren, einige Komponenten hinzugefügt, die letztlich nur dazu dienten, das Zahlentableau hinzubiegen. Die Zusatzbelastung des Bundes wird nicht zuletzt mit den auch nach 2019 fließenden Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag begründet, die allein dem Bund zukommen –  den die Länder aber nach dem Auslaufen des Solidarpakts gerne geteilt hätten. Das Argument, der Bund bekomme durch das Länder-Modell mehr Macht, wird mit dem Hinweis gekontert, auch der neue Finanzausgleich habe klare Regeln. Willkürliche Maßnahmen des Bundes seien nicht möglich, und ohne Zustimmung des Bundesrats gehe nichts. Es gebe keine „goldenen Zügel“, betont einer der Beteiligten. Ein anderer sagt, das Länder-Modell sei stabiler als das geltende System und komme den schwächeren Ländern entgegen.

Lösung im ersten Quartal?

Angesichts der kritischen Stimmen und des  Unmuts im Bundestag hoffen  die Ministerpräsidenten, dass die Koalitionsspitzen im Bund die schnelle Lösung unterstützen. Die sei noch im ersten Quartal möglich, sagt etwa Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Aber werden sich die Kanzlerin und ihr Finanzminister dem anschließen? Nach Informationen des Tagesspiegels war es auch die Bundesregierung, die eine frühere Einbindung des Bundestags verhinderte.

Der Bund gewinne nichts, sagt Brinkhaus, „noch nicht einmal Ruhe und Planungssicherheit“, denn die Länder würden schnell neue Forderungen stellen. Schneider plädiert für eine längere Debatte. Das Länder-Modell hätten vor allem die Geberländer ausverhandelt, „das sieht man am Ergebnis“. In den weiteren Beratungen müsse geklärt werden, „ob wirklich alle Länder diesen Wechsel des Systems wollen“. Und es müsse auch darum gehen, „ob der Bund auf Dauer die Leistungsfähigkeit hat, die man künftig von ihm verlangen wird“. Insbesondere dieser Punkt wird in der Unions-Fraktion geteilt. „Ich jedenfalls habe keine Eile, zu einem Abschluss zu kommen“, sagt der SPD-Fraktionsvize. „Wir haben Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode.“

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