Vor der zweiten Hälfte von Steinmeiers Amtszeit: Der Bewahrer
Frank-Walter Steinmeier will Europa stärken helfen und nimmt immer wieder Stellung gegen Rechts. Jetzt beginnt Teil zwei seiner Amtszeit.
Als er kürzlich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Deutschland als Gäste im Schloss Bellevue hatte, da übernahm der Bundespräsident selbst die Moderation. Und es zeigte sich, dass es keinen weiteren Profi brauchte. Frank-Walter Steinmeier hakte, zusammen mit seiner Ehefrau Elke Büdenbender, ein, wo er mehr wissen wollte, bremste ab und zu freundlich Redner, die allzu ausführlich wurden. Und hörte sonst einfach zu. Das Bild, das da entstand, war dramatisch: Kommunalpolitikerinnen, die verbal und tätlich angegriffen werden, aber auch Stadt- und Gemeindegesellschaften, deren Mitglieder über die engere Familie hinaus praktisch keine sozialen Verbindungen mehr haben, und die selbst weit offene Rathäuser nicht betreten, weil sie nicht glauben, dass Ämter und Politik etwas mit ihnen zu tun haben könnten.
Er will das Land zum Sprechen bringen
Wenn die Macht des Bundespräsidenten die des Wortes ist, dann heißt das nicht zuletzt auch: das Wort der andern, derer, die er trifft und denen er zuhört. Steinmeier hat dafür seit seinem Amtsantritt im März 2017 gleich mehrere Formate erfunden: An der „Kaffeetafel“, zu der er Ende August 2018 zum ersten Mal ins Schloss lud, kommt neben Kaffee erklärtermaßen „alles auf den Tisch“. Der Präsidenten-Kaffe, der kein Kränzchen sein will, soll unterschiedlichste Menschen und Perspektiven zum zivilisierten Reden und Streiten um den Tisch versammeln und dazu bringen, „Meinungen und Argumente seines Gegenübers anzuhören und sich darauf einzulassen.“ Der demokratische, unzensierte und respektvolle Dialog wird, sozusagen beispielhaft, seither im ganzen Land geübt. Den Tisch ließ Steinmeier in Frankfurt am Main und Chemnitz decken, in Leipzig und in Neumünster, einmal auch im alten Amtssitz der Bundespräsidenten, der Villa Hammerschmidt in Bonn. Auch im Zentrum des Programms zu 30 Jahren Mauerfall steht der Dialog. Zum Auftakt am 13. August, dem 58. Jahrestag des Mauerbaus, erzählten sich zwei Journalisten aus Ost und West, die die Grenzöffnung aus der Nähe erlebten und filmten, wie sie die Tage um den 9. November erlebten. „Geteilte Geschichte(n)“ hat Steinmeiers Stab die Reihe getauft, die noch ein reichliches Jahr lang, bis zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober 2020, Ost- und Westperspektiven miteinander ins Gespräch bringen wird.
"Nicht Nationalismus und Abschottung siegten 1989"
Aber die Macht, die der Bundespräsident hat, ist vor allem auch die des eigenen Wortes. Steinmeier hat es von Anfang an gegen Rechts erhoben – sehr zum Ärger der AfD, die dem Staatsoberhaupt vorwarf, die Grenzen seines Amts und der parteipolitischen Neutralität zu übertreten. Während Amtsvorgänger Gauck seit dem Auszug aus dem Schloss immer wieder einmal für „Toleranz nach rechts“ plädiert, kürzlich die Anwesenheit von Nazis in der AfD zwar kritisierte, aber ihr bescheinigte, sie könne sich noch „demokratisch entwickeln“, macht Steinmeier die Schotten nach rechts dicht, in fast jeder Rede. Schon über die am 9. November, als er einen leisen Patriotismus forderte, urteilte die Süddeutsche Zeitung, deutlicher könne ein Staatsoberhaupt kaum werden“. Konnte er aber doch: Am Gedenktag des Mauerbaus am 13. August sagte Steinmeier: „Wer die Menschenwürde mit Füßen trat, der stand 1989 auf der falschen Seite der Geschichte. Wer Mitmenschen verunglimpft oder bedroht, wer das Gift des Hasses in die Sprache und in die Gesellschaft trägt, der steht auch heute auf der falschen Seite!“ Vor dreißig Jahren hätten „Demokratie und Freiheit“ gesiegt, „nicht Nationalismus und Abschottung“. Inzwischen ist er noch einmal deutlicher geworden. Den Anspruch der AfD, sie sei eine bürgerliche Partei, quittierte Steinmeier im Gespräch mit dem „Spiegel“, mit den Worten, das Bürgerliche gehöre eng zu Rechtsstaat und Freiheitsrechten: "Wer sich in dieser Tradition sieht, der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen. Das ist das Gegenteil von bürgerlich: Es ist antibürgerlich."
Zwei Präsidenten mit Macht
An diesem Donnerstag und Freitag ist Steinmeier dort, wo man Bundespräsidenten am häufigsten öffentlich wahrnimmt, auf Staatsbesuch. Wieder in Italien. Es ist die dritte offizielle Visite dort und die zweite binnen kurzem – erst vor gut drei Wochen gedachte er mit dem italienischen Kollegen Sergio Mattarella in der toskanischen Kommune Fivizzano eines NS-Massakers von 1944, das 170 Zivilisten das Leben kostete. Sechsmal hat Steinmeier Mattarella bereits gesehen, so oft wie kein anderes Staatsoberhaupt, wie man im Bundespräsidialamt betont. Was nicht nur mit dem ausgezeichneten Beziehungen der beiden Länder zu tun hat, von denen seit Jahrzehnten während jedes offiziellen Kontakts routiniert die Rede ist. Obwohl die Reise seit Januar geplant war, als Mattarella den deutschen Kollegen einlud, und sie eine Zeitlang wegen Italiens Regierungskrise infrage stand, hält man den Zeitpunkt im Präsidialamt gerade jetzt für „besonders günstig“. Man wolle deutlich machen, dass auf „zwei große und EU-Gründerstaaten“ in Zeiten des Brexit ein Mehr an Verantwortung zukommt. Ein Schlaglicht auf die sehr ähnliche Rolle beider Präsidenten ist der Besuch in Rom und Neapel außerdem. So wie Steinmeier seine SPD im Frühjahr 2018 in eine erneute große Koalition redete, so hat jetzt Mattarella den Koalitionsbruch von Salvinis extremer Rechter – und sein eigenes Recht, das Parlament nicht aufzulösen – genutzt, um eine Regierung zusammenzubringen, die programmatisch mitte-links liegt. Präsidenten haben manchmal echte Macht.
Der Mann hinter der letzten GroKo - und deren Risiko
Steinmeier nutzt seine dafür, was ihn vor allem antreibt: Das ist nicht allein eine erstarkende radikale Rechte, sondern der Frontalangriff auf die parlamentarische Demokratie, den sie führt. Nicht nur sie und nicht nur in Deutschland oder Italien. Er schaut auch nach Großbritannien, wo Premier Boris Johnson gerade das vom Volk gewählte Parlament gegen das Volk ausspielt und sich als dessen wahren Anwalt ausgibt – nicht weit von der AfD, die sich mit 12,6 Prozent bundesweit berechtigt sah, von „ihrem Land“ zu sprechen, das man „zurückholen“ wolle.
Man wird den Druck des Präsidenten auf die SPD, noch einmal in eine große Koalition zu gehen, auch vor dem Hintergrund dieser Sorge verstehen müssen. Eine seiner Gäste im Schloss hat Anfang dieser Woche auch die Gefahr formuliert, an der er damit womöglich mitgewirkt hat. Der Erfolg der AfD habe zu einer begrüßenswerten Politisierung geführt, auch zu einem demokratischen „Aufbruch auf den Straßen“, sagte die Autorin Jana Hensel. Nach den Wahltagen sei das Ergebnis allerdings oft genug „politischer Stillstand“. Es gehe „so viel Energie dahin, die Rechten von der Macht fernzuhalten“.