Deutsche Einheit: Der Aufholprozess des Ostens stagniert
Noch immer zu wenig Steuereinnahmen, noch immer zu viele Arbeitslose - mit der Angleichung der Lebensverhältnisse im Osten an die des Westens geht es nicht mehr so richtig voran.
Die Sozialdemokratin Iris Gleicke ist seit Herbst die Ost-Beauftragte der Bundesregierung – und in dieser Rolle alles andere als eine Schönrednerin. Als sie am Mittwoch den eben vom Bundeskabinett verabschiedeten Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vorstellt, verschweigt die Politikerin aus Thüringen naturgemäß nicht die erreichten Verbesserungen. Doch sie ist auch souverän genug, die „großen Aber“ der gut 100 Seiten starken Bilanz hervorzuheben, von denen es „eine ganze Reihe“ gebe.
Dazu zählt, dass Ostdeutschland in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten mehr als ein Zehntel seiner Bevölkerung verloren hat. Auch diese Zahl täuscht noch ein wenig über die realen Verhältnisse in der Provinz, denn in dieser Zeit hat Berlin als Hauptstadt überdurchschnittliche Sogkraft entfaltet. Große Probleme bereitet vor allem der deutliche Überschuss an Männern im ländlichen Raum zwischen Ostsee und Erzgebirge. Zugleich gibt es laut dem Bericht aber auch Hinweise darauf, dass die kontinuierliche Abwanderung von Ost nach West im vergangenen Jahr erstmals gestoppt werden konnte.
Gleicke, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, erwähnt auch, dass die Steuerkraft in Ostdeutschland nur knapp zwei Drittel der von Westdeutschland erreiche. „Ganz klar: Der wirtschaftliche Aufholprozess ist in den vergangenen Jahren nur noch sehr langsam vorangeschritten“, sagte sie. „Pessimisten würden sogar sagen, er ist zum Erliegen gekommen.“ Das weitgehende Fehlen von Großunternehmen bleibe „ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Arbeitsproduktivität in Ostdeutschland nach wie vor deutlich niedriger ausfällt“.
Auch bei der Präsentation der Arbeitslosenzahlen kommt die SPD-Politikerin nicht ohne ein „großes Aber“ aus. Zwar sei auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt im Jahresdurchschnitt 2013 mit 10,3 Prozent die niedrigste Quote seit der Wiedervereinigung registriert worden, doch auch diese sei gegenüber den sechs Prozent im Westen noch „unverhältnismäßig hoch“.
Die Opposition zeigt sich von dem gut 102-seitigen Werk ernüchtert. „Eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland wird sich nur entwickeln können, wenn die Solidarpaktmittel konsequenter als bisher in Köpfe statt in Beton gelenkt werden“, sagt der Grünen-Abgeordnete Stephan Kühn. Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch meint, der Verfassungsauftrag „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ für die Menschen in Ost und West sei noch lange nicht Lebenswirklichkeit. „Bei vielen Strukturdaten zeichnen sich auf der Deutschlandkarte die Umrisse der DDR ab.“