Blühende Landschaften in Ostdeutschland: Helmut Kohl hatte Recht
Ostdeutschland sei eine Erfolgsgeschichte, sagt Angela Merkel. Und sie hat Recht - wie schon Helmut Kohl, als er von blühenden Landschaften sprach. Ein Kommentar.
Bald wählt der Osten. Nein, nicht der ganze, aber mit Sachsen (31. August), Brandenburg und Thüringen (14. September) ein beträchtlicher Teil davon. Und vor knapp einem Vierteljahrhundert, am 1. Juli 1990, prägte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den Begriff von den „blühenden Landschaften“. In seiner Fernsehansprache aus Anlass des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion prophezeite er: „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ Dafür bekam Kohl viel Prügel.
In rhetorisch leicht abgeschwächter Form hat Kohls Nachnachfolgerin, Angela Merkel, dieser Tage etwas Ähnliches gesagt. Ostdeutschland sei „alles in allem 25 Jahre nach der friedlichen Revolution eine Erfolgsgeschichte“, die neuen Bundesländer hätten sich trotz noch vorhandener struktureller Probleme gut entwickelt. Natürlich gibt es weiterhin Unterschiede. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist höher, die Arbeitsplatzsicherheit geringer, Einkommen, Rente, Wirtschaftsniveau sind weiterhin niedriger als im Westen. Dennoch hält auch der letzte Bericht zum Stand der deutschen Einheit fest: „Aus der einstigen Planwirtschaft ist eine wissensbasierte Industrieregion mit zunehmend wettbewerbsfähigen Unternehmen geworden.“
Die Abwanderung von Ostdeutschen ist praktisch gestoppt
Der Bericht listet mehrere Beispiele auf. „Im Hinblick auf Qualifikation, Engagement und Flexibilität“ gehörten die ostdeutschen Arbeitnehmer „zur weltweiten Spitzengruppe“, der Anteil des verarbeitenden Gewerbes liege im Osten über dem EU-Durchschnitt, weit vor Frankreich und Großbritannien. Außerdem sei die Abwanderung von Ostdeutschen praktisch gestoppt worden, die Geburtenrate im Osten liege inzwischen sogar wieder über West-Niveau.
Doch das ist längst nicht alles. Der Osten Deutschlands – Berlin sei einmal ausgeklammert – bildet heute in vielerlei Hinsicht eine Avantgarde. Beispiel Bildung. Da liegt Sachsen konstant vorn, gefolgt von Thüringen. Das belegen Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft. In diesen beiden Ländern wurden die durch den demografischen Wandel frei werdenden Mittel nicht zweckentfremdet, sondern blieben im Bildungssystem. Dadurch verbesserte sich der Betreuungsschlüssel, was wiederum eine gezieltere Förderung von Kindern und Jugendlichen ermöglichte.
Alle fünf neuen Bundesländer haben 2013 Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet
Beispiel Kinderbetreuung. Laut Statistischem Bundesamt hatten bereits 2012 mehr als 40 Prozent der Kleinkinder unter drei Jahren in ostdeutschen Kommunen einen Platz in einer Tageseinrichtung. Die Betreuungsquote habe in 52 der insgesamt 77 ostdeutschen Landkreise und kreisfreien Städte sogar bei mehr als 50 Prozent gelegen. Im Westen dagegen gab es in mehr als drei Viertel der Landkreise und kreisfreien Städte eine Betreuungsquote zwischen 15 und 30 Prozent.
Beispiel Schulden. Trotz sprudelnder Steuereinnahmen und historisch niedriger Zinsen haben alle 16 Bundesländer im ersten Halbjahr 2014 knapp 2,9 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Größter Defizitsünder ist Nordrhein-Westfalen: Hier betrug die Lücke allein rund 2,5 Milliarden Euro. Aber alle fünf neuen Bundesländer haben 2013 Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet. Allein Brandenburg konnte bei einem Haushaltsvolumen von rund zehn Milliarden Euro einen Rekordüberschuss von 710 Millionen Euro erzielen. Sachsen dürfte einer Studie zufolge bereits in sechs Jahren finanziell von allen 16 Bundesländern am besten dastehen und sogar Bayern abgehängt haben. Und das, obwohl das Steueraufkommen im Westen deutlich höher liegt als im Osten.
Vieles wurde mit Milliardensummen durch den Aufbau Ost neu gebaut
Beispiel Infrastruktur. Marode Brücken und Schienen, kaputte Autobahnen und poröser Asphalt: Auch solche Probleme plagen den Westen stärker als den Osten. Denn dort wurde in den vergangenen Jahren sehr vieles mit Milliardensummen durch den Aufbau Ost neu gebaut, während Landstraßen und Autobahnen im Westen verfielen.
„Wir haben blühende Landschaften in 20 Jahren geschaffen. Das ist die Wahrheit“, rief Merkel schon vor gut drei Jahren ihren Parteianhängern zu. Blühende Landschaften? Ja, die gibt es wirklich. Nur das „wir“ stimmt nicht, falls die Kanzlerin damit allein ihre Union gemeint haben sollte. Denn alle haben mitgemacht, Sozis wie Konservative. Das ist, pünktlich zu den Wahlen, ein guter Grund, stolz zu sein. Und froh.
Malte Lehming