Ärztepräsident gegen assistierten Suizid: „Der Arzt ist kein geschäftsmäßiger Sterbehelfer“
Frank Ulrich Montgomery zieht Bilanz als Ärztepräsident. Er warnt vor Änderungen bei der Sterbehilfe - und kritisiert den Spahns Aktivismus. Ein Interview.
Herr Montgomery, beim Ärztetag Ende Mai kandidieren Sie nicht wieder als Präsident. Als Sie vor acht Jahren antraten, haben Sie den Delegierten „sehr viel mehr politische Einmischung“ versprochen...
Ja, und wir müssen uns hier nicht verstecken. Wir haben vieles angestoßen, denken Sie nur an die Debatten über ethische Themen - von der Sterbehilfe bis zu pränatalen Tests. Wir haben die Skandale der Transplantationsmedizin bewältigt, das Organspendegesetz intensiv beeinflusst. Und wir sind gefragter Gesprächspartner der Politik, ob zum Umgang mit Cannabis oder zur Digitalisierung.
Sind die Ärzte selbstbewusster geworden?
Das ist so. Der Prozess der Emanzipation begann aber bereits 2005 mit den großen Ärztestreiks. Wir erreichen heute mehr, und das an den für die Versorgung entscheidenden Stellen.
Was haben Sie als Ärztepräsident nicht hingekriegt? Woran sind Sie gescheitert?
Kein Scheitern. Aber ich habe mein Versprechen, eine neue Gebührenordnung für Ärzte hinzubekommen, nicht halten können. Dafür gab es viele Gründe und wir sind mittlerweile auf einem gutem Weg. Aber ich bedauere sehr, dass wir damals eine politisch günstige Konstellation für die Umsetzung der GOÄ durch den Verordnungsgeber nicht nutzen konnten.
Wie schlimm ist das?
Der Status Quo ist eine Zumutung - für Ärzte wie Patienten: Wir arbeiten noch immer mit der gleichen Gebührenordnung wie vor 35 Jahren. Zahlreiche Leistungen sind darin nicht mehr abgebildet. Dabei ist eine neue GOÄ inhaltlich fertig, auch ausgehandelt mit den privaten Versicherern. Wenn es politischen Mut gäbe, könnte man das ganz schnell umsetzen.
Sie haben die Forderung des Gesundheitsministers an die Ärzte, sich stärker um Kassenpatienten kümmern, als unbotmäßige Einmischung kritisiert. Aber ist das nicht nötig, um die Akzeptanz für Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu erhalten?
Wir Ärzte kümmern uns intensivst um Kassenpatienten und haben es immer getan. Das sogenannte Terminproblem für Kassenpatienten ist kein echtes, sondern nur ein gefühltes. Jeder, der wirklich einen Termin braucht, kriegt auch einen. Aber nicht jeder braucht sofort einen Termin, dafür reichen die Kapazitäten nicht. Im Übrigen zeigen alle Umfragen, dass die Patienten mit unserem System sehr zufrieden sind.
Das Terminversorgungsgesetz von Jens Spahn hätte es also nicht gebraucht?
Nein, das TSVG und die Terminservicestellen sind reiner Populismus. Die Erhöhung des Pflichtpensums von Sprechstunden ist so überflüssig wie ein Kropf. Die Ärzte arbeiten schon jetzt deutlich mehr.
Kritiker sagen, unser Gesundheitssystem sei inzwischen zu marktwirtschaftlich ausgerichtet. In den Kliniken mit ihren Fallpauschalen und den Praxen mit geschäftstüchtigen Medizinverkäufern komme das ärztliche Ethos unter die Räder...
Keine Frage: Die Merkantilisierung der Medizin hat zugenommen. Das merken wir bei privaten Klinikkonzernen ebenso wie bei Krankenkassen, die ärztliche Diagnosen aus finanziellen Gründen zu manipulieren versuchen. Natürlich brauchen wir auch ökonomisches Handeln. Nichts wäre unsozialer und unsolidarischer, als das Geld der Versicherten zu verschwenden. Klar ist aber auch: Die Ökonomie muss den Zielen der Medizin dienen, und nicht umgekehrt. Und was die Fallpauschalen betrifft: Hier ist vor allem die zunehmende Komplexität ein Problem. Aber ich sehe keine ernsthafte Alternative. Sollen wir die Kliniken wieder für reine Liegezeiten bezahlen?
In der Debatte um Sterbehilfe haben Sie Politikern, die ein Recht auf ärztliche Suizidbeihilfe gefordert haben, vorgeworfen, auf Euthanasie hinzuarbeiten. Jetzt, wo das Thema beim Bundesverfassungsgericht ist: Bedauern Sie diese Zuspitzung?
Nein, ich habe das ja nicht auf die nationalsozialistische Zeit bezogen. Dort wurden Menschen ungefragt und gegen ihren Willen umgebracht. Wir reden heute aber von Euthanasie als Tötung auf Verlangen. Und ich bleibe dabei: Der ärztlich assistierte Suizid führt direkt dazu. Gute Mediziner würden ihren Patienten niemals unsichere, womöglich qualvoll wirkende Medikamentencocktails überlassen. Wenn wir Sterbehilfe als Ärzte betreiben sollten, müssten wir es qualitätsgesichert und nach allen Prinzipien der guten medizinischen Praxis machen. Das würde bedeuten: Sterbewilligen würde das Gift über einen Venenzugang injiziert. Wo ist da dann noch der Unterschied zur Euthanasie?
Die Grenze wäre fließend?
Mehr noch. Die Forderung ist bewusst darauf angelegt, die Grenzen zerfließen zu lassen. Daher bin ich dagegen, dass sich Ärzte in irgendeiner Form an Suizidbeihilfe beteiligen. Deshalb war das Bekenntnis des Gesetzgebers in der vergangenen Legislatur so wichtig, dass es ausreichend Palliativmedizin und Hospizplätze geben muss - und dass man den assistierten Suizid in unserer Gesellschaft nicht als Alternative und schon gar nicht als Spar-Alternative dazu verstehen darf.
Das bisherige Gesetz, das Suizidbeihilfe im Einzelfall erlaubt und nur geschäftsmäßige Sterbehilfe verbietet, ist aus Ihrer Sicht in Ordnung?
Ja. Die Behauptung, dass Palliativmediziner oder Onkologen, die regelmäßig mit Sterbenden zu tun haben, jetzt bei der Gabe von schmerzstillenden Medikamenten Gefahr liefen, sich strafbar zu machen, ist ja Quatsch. Da werden Gefahren beschworen, die nicht vorhanden sind. Das Gesetz richtet sich gegen gewerbsmäßige Sterbehilfe. Es richtet sich gegen Organisationen, die sich dadurch finanzieren oder ihre Befriedigung daraus ziehen, anderen Menschen beim Sterben zu helfen.
Das ist die Stoßrichtung. Aber Ärzte sind auch geschäftsmäßig Handelnde.
Das ist ein Problem der Definition. Da müssen uns eben die Juristen helfen. Wir wissen doch was gemeint ist: Der Arzt ist kein geschäftsmäßiger Sterbehelfer. Er ist geschäftsmäßiger Lebenshelfer. Auch Palliativmediziner haben nicht das Ziel, dass ein Patient stirbt, sondern dass seine Leiden gelindert werden und er sein Leben in Würde zu Ende bringen kann.
Ein zweites großes ethisches Thema ist die Organspende. Sie befürworten die sogenannte Widerspruchsregelung. Befürchten Sie nicht, dass das kontraproduktiv sein könnte, weil es das Misstrauen in die Transplantationsmedizin befördert?
Ja, das befürchte ich. Ich habe daher eine differenzierte Position. Ich halte die Widerspruchslösung zwar für richtig. Ich habe aber immer auch dazu geraten, diese Debatte nicht jetzt zu führen, sondern erst mal abzuwarten, wie die beschlossenen Verbesserungen in den Kliniken wirken. Das und nicht eine Widerspruchregelung ist der zentrale Baustein für mehr Organspenden. Wir merken ja, dass diese wichtige Debatte nun aufgrund des zusätzlichen Vorstoßes von Spahn schon wieder in Parteienstreit zerfällt. Ich bin entsetzt darüber, dass es bestimmte Politiker nicht schaffen, die großen ethischen Fragen auf anderer Ebene zu diskutieren.
War es ein Fehler von Spahn, sich neben der Änderung des Transplantationsgesetzes auch gleich noch für einen hochumstrittenen Systemwechsel stark zu machen?
Spahns Markenzeichen ist, vieles voranzubringen oder wenigstens anzustoßen. Ich finde es auch gut, dass er sich nicht nur den monetischen, sondern auch den ethischen Themen zuwendet. Aber auch hier wäre ein wenig mehr Zuwarten auf den Erfolg seines anderen Gesetzes zielführender gewesen.
Beunruhigt Sie der Aktivismus des Gesundheitsministers? Er mischt sich ja auch zunehmend in die Selbstverwaltung ein...
Spahn ist ein ungeduldiger Minister. Einer, der auch gern die Finger in die Wunden legt. Bei der Digitalisierung zum Beispiel. Die Betreibergesellschaft Gematik hat bekanntlich in den vergangenen Jahren nicht das geliefert, was sie hätte liefern sollen. Aber das lag auch an der Aufgabenstellung. Dass das dadurch besser wird, dass der Bund die Gematik übernimmt, wage ich zu bezweifeln. Und das ist kein Einzelfall: Spahn prescht vor und hat die Folgen nicht immer vor Augen. Dass so mancher das als Aktionismus empfindet, kann ich verstehen.
Was missfällt Ihnen denn besonders?
Ich denke an sein völlig verkorkstes Gesetz zur Psychotherapeutenausbildung. Er stellt auch bei der Hebammenausbildung alle bisherigen Prinzipien der Arbeitsteilung auf den Kopf. Er betreibt einen Direktzugang von Patienten zur Physiotherapie. Seine neuen Gesetze haben einen Generalnenner: Sie versuchen, ärztliche Tätigkeiten auf Berufe mit geringerer Qualifikation auszulagern.
Wäre das nicht hilfreich, angesichts des bestehenden Medizinermangels und der chronischen Überlastung vorhandener Ärzte?
Helfen würden mehr Studienplätze für Mediziner, mehr gute Ausbildung. Aber Spahn geht den preisgünstigeren Weg. Davor kann ich nur warnen.
Der Minister will nun auch eine Impfpflicht für Kinder durchsetzen. Was halten Sie davon?
Ich bin dafür. Wo wir Chancen haben, dadurch schwere Erkrankungen zu vermeiden, sollten wir das tun. In der DDR gab es eine Impfpflicht. Alle Bürger, die dort geboren sind, brauchen Sie nicht nach Impfpässen fragen. Die sind umfassend geschützt.
Was würde solcher Zwang denn bringen?
Man muss sich vor Augen führen, dass Pocken und Kinderlähmung für unsere Eltern noch ernstzunehmende Gefahren waren. Inzwischen sind diese Erkrankungen nahezu ausgerottet. Wenn wir das auch bei den Masern schaffen würden, wäre es ein Riesenerfolg. Deshalb sollten wir nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Älteren an eine Impfpflicht denken. Es kommt doch auch keiner auf die Idee, in Gelbfieber-Regionen zu fahren, ohne sich davor impfen zu lassen. Da setzt dann die Vernunft ein. Aber Masern sind für die Menschen hier eine Gefahr. Wenn wir durch mehr Impfschutz eine Herdenimmunität erreichen würden, wären auch diejenigen geschützt, bei denen die Impfung nicht anschlägt oder die so immunkrank sind, dass man sie nicht impfen kann.
Wer über Impfpflicht spricht, muss auch über Sanktionen reden. Aus Kitas kann man ungeimpfte Kinder fernhalten - wie Spahn das ja auch plant. Aber was ist mit Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen?
Das Problem beginnt ja schon bei der Schulpflicht. Dass man die Leute mit der Polizei zum Impfen vorführt, kann ich mir nicht vorstellen. Also nicht auf Biegen und Brechen, aber es braucht deutlich mehr Nachdruck. Man könnte etwa anfangen bei den Gesundheitsberufen. Oder bei Jobs mit viel Publikumsverkehr. Wenn sich jemand ungeimpft in der Notaufnahme eines Krankenhauses bewegt, geht das überhaupt nicht. Es ist für ihn und für alle anderen hochgefährlich.
Herr Montgomery, was sind die großen Herausforderungen für Ärzte in den nächsten Jahren? Was hinterlassen Sie Ihren Nachfolgern?
Ein Riesenthema ist die Digitalisierung mit ihren Folgen. Wie kriegen wir beides hin: vernünftigen Datenschutz und ausreichenden Datentransfer? Es ist beispielsweise das gute Recht der Patienten, nicht jedem Arzt Einsicht in alle Informationen ihrer elektronischen Patientenakte zu geben. Aber Ärzte, die nicht alles sehen, können auch nicht verantwortlich gemacht werden für das Behandlungsergebnis. Die Telemedizin bietet Chancen, aber auch neue Herausforderungen. Natürlich wird es Konflikte gebe, und diese müssen wir intensiv und gesamtgesellschaftlich diskutieren. Und natürlich werden uns die großen ethischen Fragen erhalten bleiben. Da müssen wir Haltung zeigen – auch wenn der Zeitgeist manchmal ein anderer ist.