Anteil binnen einer Woche mehr als verdoppelt: Delta-Variante breitet sich jetzt auch in Deutschland rasant aus
Schlechte Zahlen vom RKI: Die Variante breitet sich aus. Lauterbach warnt: Im Herbst wird es eine 4. Welle geben, die besonders Kinder und Ungeimpfte trifft.
Die in Indien entdeckte Deltavirus-Variante macht einigen Ländern auf der Welt zu schaffen. Darunter Großbritannien und Israel, zwei Länder, die es durch schnelle und erfolgreiche Impfkampagnen aus der Coronakrise geschafft zu haben schienen. Nun aber hat das Vereinigte Königreich erneut eine Inzidenz von 100 überschritten. In Israel verzeichnete man jüngst 100 Neuinfektionen pro Tag. Die Angst vor der Delta-Variante wächst auch dort. Und in Deutschland?
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Die aus Indien stammende Delta-Variante wird allen Experten-Meinungen zufolge auf der gleichen Erfolgsspur durch Deutschland ziehen und aller Wahrscheinlichkeit nach im Herbst eine vierte Infektionswelle auslösen.
Wie schnell sie sich verbreitet und durchsetzt, wird von Medizinern und Gesundheitspolitikern aufmerksam beobachtet. Der aktuelle, am Mittwoch,23. Juni, veröffentliche 15. Bericht zu Virusvarianten von Sars-CoV-2 lässt wenig Gutes ahnen: Er zeigt die von Experten erwartete wöchentliche Verdoppelung des Delta-Anteils am Infektionsgeschehen. Es ist sogar noch mehr.
Bei 6,2 Prozent lag der Anteil der Delta-Variante in der letzten RKI-Veröffentlichung zu den Mutationen. Die Zahl bezog sich auf den Zeitraum von 31. Mai bis 6. Juni. In der Woche zuvor war noch ein Anteil von 3,7 Prozent am Infektionsgeschehen registriert worden. Und nun: 15 Prozent beträgt der Anteil der ansteckenden Virusvariante - eine sprunghafte Steigerung in der Zeit vom 7. bis 14. Juni.
Als gesichert gilt, dass diese deutlich ansteckender ist als alle anderen bekannten Varianten. Immer wieder werden zudem neue oder veränderte Virusvarianten entdeckt, deren Ausbreitung vom RKI genau beobachtet und deren Eigenschaften genau untersucht werden.
Jüngste Meldungen über die Delta-Variante aus der Bundesrepublik kamen aus Hessen. Dort verbreite sich die Variante besonders schnell, teilte der hessische Gesundheitsminister Kai Klose bei einer Pressekonferenz am Dienstag mit. „Wir haben doch deutliche Anzeichen, dass Delta auch in Hessen mittlerweile schon über 20 Prozent der Fälle dominiert“, sagte er. Umso wichtiger sei es, sich so schnell wie möglich impfen zu lassen, appellierte der Grünen-Politiker.
Delta-Fallzahlen in Deutschland
Wie die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet, breite sich die Delta-Variant auch im Südwesten rasant aus – allerdings auf geringem Niveau. Nach Angaben des Landesgesundheitsamtes vom Montag liege die Zahl dieser Variante (Stand 21. Juni, 16 Uhr) bei 368. In den vergangenen zwei Wochen belief sich ihr Anteil an allen gefährlichen Varianten auf 6,73 Prozent. In der ersten und zweiten Juni-Woche hatte sich der Prozentsatz noch auf 2,74 Prozent belaufen. Darin sind noch nicht einmal Zahlen enthalten, die nicht ganz sicher der Delta-Variante zugeordnet werden können.
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Auch im Freistaat Bayern sei die Delta-Variante angekommen. Besonders stark betroffen sei München, wie der „Münchener Merkur“ berichtet. „Es besteht immer die Gefahr, dass die Corona-Lage durch die Delta-Variante aus dem Ruder läuft“, sagte Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU). Die Zahl habe sich seit der vergangenen Woche verdoppelt. Da waren es noch 132 bestätigte Fälle, inzwischen sind es 229.
In Thüringen sind nach Angaben der Landesregierung bis Sonntagmittag bisher erst zwölf Fälle der Delta-Variante nachgewiesen, berichtet der „MDR“. Auch nahe der Grenze zu Mittelsachsen seien laut „Freie Presse“ erste Delta-Fälle aufgetreten. In Nordrhein Westfalen ist die Delta-Variante ebenfalls im Kreis Unna angekommen. Bis Dienstagmittag wurden in dem östlich von Dortmund gelegenen Landkreis insgesamt neun Fälle gezählt. Vor vier Tagen zählte man in Berlin bereits mehr als 150 Fälle. Und die Meldungen reißen nicht ab.
Drosten rät zu Blick nach England
Um Nachrichten wie beispielsweise jene aus Hessen künftig nicht täglich vermelden zu müssen, lohne sich laut Drosten vor allem der Blick nach England. So könne die Situation in Deutschland besser eingeschätzt werden. Zwar wolle er einen erneuten Anstieg der Fallzahlen in Deutschland weder voraussagen noch ausschließen, sagte Drosten nach einem Treffen mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am Dienstag in der Berliner Charité. Aber: „Wenn es so sein sollte, dass im Juli die Fallzahlen wieder steigen, werden wahrscheinlich die Schulferien dann wieder eine Entspannung bringen“. Im Gegensatz zu Österreich und Deutschland hätten die Menschen in England von diesem Effekt aber nicht profitieren können.
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Drosten sehe zudem für Deutschland auch die Möglichkeit eines anderen Verlaufs. Es könne sein, dass die Lage vorerst relativ konstant bleibe, sagte der Leiter der Virologie der Berliner Charité am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update“ (NDR-Info).
Er verwies zum Beispiel darauf, dass es nach Deutschland wohl keine so hohe Zahl an unabhängigen Eintragungen der Variante – etwa direkt aus Indien – gegeben habe. In Großbritannien gebe es zudem eine etwas andere Struktur in der Bevölkerung mit asiatischstämmigen Communitys, in denen das Virus anfangs hochgekocht sei. „Deswegen kann es auch sein, dass sich das bei uns nicht so einstellt.“
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte, "wir haben Glück, dass die Delta Variante bei uns erst dann die dominierende Variante sein wird, wenn mehr als in UK geimpft sein werden und die Fallzahl niedriger ist. Im Herbst wird es aber leider auch bei uns eine 4. Welle geben, die besonders Kinder und Ungeimpfte trifft."
Die Sorge im Zusammenhang mit der Delta-Variante in Deutschland bleibt also. So appellierte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) an alle Einwohner, sich trotz der verhältnismäßig entspannten Infektionslage impfen zu lassen. Dies sei insbesondere wegen der Delta-Variante notwendig sowie um Kinder zu schützen, betonte sie.
Kinderschutzbund wart vor Delta-Variante
Warnungen und Forderungen äußerte auch der Kinderschutzbund. Während die Corona-Regeln für Schüler teils gelockert werden, dringt er auf mehr Vorbeugung und besseren Schutz an Schulen. Auch in dieser Phase der Pandemie, in der sich die besonders ansteckende Delta-Variante ausbreitet, werde dafür politisch wieder nicht genug unternommen, sagte Verbandspräsident Heinz Hilgers dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er verwies auf bessere Digitalausstattung oder den rechtzeitigen Einbau von Lüftungen. Seine Bilanz: „Das ist ein einziges Trauerspiel.“ Er fürchte, dass die Kinder erneut die Verlierer der Pandemie sein werden.
Die Bundesärztekammer rät zudem von Reisen in Urlaubsgebiete ab, in denen die Delta-Variante grassiert. „Auf Reisen in Regionen, die von der Delta-Variante besonders betroffen sind, sollte verzichtet werden“, sagte Präsident Klaus Reinhardt der Funke Mediengruppe. Urlaub sei in diesem Sommer nur mit Vorsicht und Verantwortung vorstellbar, sagte Reinhardt.
Die Ärztekammer gehe davon aus, dass sich die ansteckendere Delta-Variante mittelfristig in Deutschland durchsetzen werde. Derzeit ist es weiterhin die Alpha-Variante, die hierzulande das Infektionsgeschehen bestimmt. Man könne davon ausgehen, so Ärztepräsident Reinhardt weiter, dass die Inzidenz zum Ende des Sommers saisonbedingt wieder ansteigen werde.
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Wegen der Ausbreitung der gefährlichen Variante wächst zudem in der Politik das Unbehagen mit der britischen Hauptstadt London als Austragungsort des Fußball-EM-Finales. „Ich hielte es nicht für gut, wenn voll besetzte Stadien dort sind“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag in Berlin.
„Ich unterstütze alle Anstrengungen der britischen Regierung, die notwendigen Hygienemaßnahmen walten zu lassen.“ Zu einer möglichen Verlegung des Austragungsorts äußerte sich Merkel nicht. Sie sagte, sie hoffe, dass die Europäische Fußball-Union (Uefa) „verantwortungsvoll“ mit der Situation umgehe.
Biontech bereitet schnelle Reaktion auf neue Virus-Varianten vor
Biontech-Chef Ugur Sahin hält jedoch trotz einer zunehmenden Verbreitung von Virusvarianten derzeit keine Anpassung seines Covid-19-Impfstoffs für nötig. „Um vorbereitet zu sein und schnell reagieren zu können, falls eine dritte Dosis oder eine Anpassung an einen neuen Virusstamm erforderlich werden sollte, analysieren wir kontinuierlich die Wirksamkeit des Impfstoffs auch gegen neu auftretende Varianten“, sagte er am Dienstag auf der Hauptversammlung des Mainzer Biotechunternehmens. „Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Anpassung unseres Impfstoffs an kursierende Varianten notwendig ist.“
Noch wisse man nicht, wann und wie oft eine Auffrischungsimpfung nötig sein werde. Er gehe aber davon aus, „dass eine dritte Impfung für die Auffrischung der Immunität von hohem Wert ist“, sagte Sahin. Das Wissen über das Coronavirus nehme stetig zu. „Wir beobachten, dass die Immunität mit der Zeit nachlassen wird und neue Varianten entstehen.“ (Tsp mit Agenturen)