Der MAD und die NSU: De Maizière muss sich verteidigen
Der Fall offenbart den Irrweg einer Akte durch die deutschen Sicherheitsbehörden. Darin geht es um Kontakte des Militärischen Abschirmdienstes zum späteren NSU-Mitglied Uwe Mundlos. Und die bringen jetzt auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière in die Bredouille.
In der Affäre um zurückgehaltene NSU-Akten des Militärischen Abschirmdienst (MAD) gerät auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) unter Druck. Denn er wusste schon im März von der Kontaktaufnahme des MAD im Jahr 1995 mit Uwe Mundlos, dem späteren Mitglied der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“. Der Fall offenbart den Irrweg einer Akte durch die deutschen Sicherheitsbehörden.
Angelegt hatte sie der MAD im März 1995, als Uwe Mundlos und fünf weitere Wehrdienstleistende in Bad Frankenhausen (Thüringen), die durch rechtsextremes Verhalten aufgefallen waren, vernommen wurden. Die Akte besteht aus einer kurzen Einleitung, einem Übersendungsschreiben, in dem die Namen der Rekruten aufgeführt und die Adressaten der Akte vermerkt sind. Das ist der erste Teil. Der zweite ist der wichtigere, dort sind die zusammengefassten Vernehmungen zu finden. Die Akte ist an die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegangen sowie an das Bundesamt für Verfassungsschutz. In Sachsen, so sagen sie heute, sei die Akte aber unvollständig gewesen. Der zweite Teil fehlte. Nachgefragt hat allerdings auch keiner.
Beim MAD wurde die Akte fristgemäß im Jahr 2000 vernichtet. Bis März 2012 ruhte der Vorgang. Auch als die Morde der rechten Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ im November 2011 bekannt wurden, erinnerte sich bei MAD und Verfassungsschutz offenbar niemand an die Befragung des Wehrdienstleistenden Mundlos im Jahr 1995. Erst im März 2012 fanden Beamte im LfV Sachsen ihren Teil der Akte wieder, die dürre Einleitung.
Die Opfer der NSU:
Jetzt kommen das Verteidigungsministerium und damit de Maizière ins Spiel. Der sächsische Verfassungsschutz bat im März 2012 den MAD, die Unterlagen von 1995 freigeben zu können, unter anderem für den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der MAD wandte sich wiederum an das Verteidigungsministerium, dem der Nachrichtendienst zugeordnet ist. Wie das Ministerium am Mittwoch nun bekannt gab, informierte der MAD das zuständige Referat „Kontrolle und Steuerung“ des Verteidigungsressorts am 12. März, das die Informationen am 13. März an die Leitung des Hauses weitergab. Dann wurde dem sächsischen Verfassungsschutz die Freigabe erteilt. Und: Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums ging am Mittwoch davon aus, dass die Information des Ministers „sehr zeitnah“ nach der des Staatssekretärs erfolgt sei. Allerdings wies er den Vorwurf zurück, de Maizière habe den Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht darüber informiert. Die Zusammenarbeit mit dem Ausschuss sei nicht Aufgabe des Ministers, „sondern das ist Angelegenheit des steuernden Referates gegenüber dem Ausschuss“. De Maizière ließ aber über seinen Sprecher mitteilen, es sei „unsensibel“ gewesen, dass das Verteidigungsministerium den NSU-Ausschuss nicht gezielt auf die Unterlagen hingewiesen habe.
Die verschlungenen Pfade dieser Akte sind damit noch nicht am Ende. Die Sachsen haben die drei Seiten Einleitung im April an den Ausschuss geschickt, dort blieben sie aber in den Aktenbergen unentdeckt. Ebenfalls verschollen blieb zunächst der zweite Teil der Akte mit den Befragungen von Mundlos und den anderen Soldaten. Bis zum August 2012. Da erfuhr der neue MAD-Präsident Ulrich Birkenheier von der Akte. Er ließ nochmal nachhaken bei den Verfassungsschützern in Thüringen, Sachsen-Anhalt und beim Bundesamt. Sachsen-Anhalt antwortete nicht, Thüringen fand nichts, und beim Bundesamt tauchte die vollständige Akte erst auf, als eine Mitarbeiterin bemerkte, dass sie falsch abgelegt worden war. Mittlerweile hatte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele einen Tipp bekommen und der Bundesregierung eine Anfrage geschickt. Die Akte erreichte den Ausschuss dann am Dienstagnachmittag – nachdem die wütenden Abgeordneten erfahren hatten, dass der MAD Mundlos befragt hatte.
Es war auch etwas mehr als eine Befragung. Aus der Akte, die dem Tagesspiegel vorliegt, geht hervor, dass der MAD Mundlos eine Zusammenarbeit anbot und Informationen über geplante Anschläge auf Asylbewerberheime von ihm wollte. Mundlos lehnte ab. MAD und Verteidigungsministerium sagen, es habe sich nicht um einen Anwerbeversuch für eine V-Mann-Tätigkeit gehandelt.
Doch es ist nicht nur de Maizière, der unter Druck gerät, auch der MAD selbst steht in der Kritik. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte die Abschaffung der Behörde. Das gehöre ganz oben auf die politische Agenda. Auch der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, sagte dem Tagesspiegel: „Der MAD hat einmal mehr bewiesen, dass er überflüssig ist.“ Über die Aktenfunde könne er nur den Kopf schütteln. „Einfachere und schlankere Strukturen tragen dazu bei, dass solche Dinge nicht passieren und vereinfachen zudem die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste“, sagte das Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verlangt sogar die Abschaffung sämtlicher Geheimdienste. Im Deutschlandfunk sagte er, es könne nur den Weg geben, „diese Behörden aufzulösen und einen kompletten personellen Neuanfang zu starten“.
Frank Jansen, Christian Tretbar