Achterbahn mit dem US-Präsidenten: Dauerempörung spielt Donald Trump in die Karten
Einreisestopp, Folter, Mauerbau - wie soll man bei diesem US-Präsidenten cool bleiben? Trump nutzt jede Schwäche gnadenlos aus. Ein Kommentar.
Lange haben sich die Amerikaner nicht so aufgeregt. Lange haben wir uns über die USA nicht mehr derart erregt. Donald Trump strapaziert Gefühl und Verstand. Ist das angemessen, kann das gesund sein? Er ist doch nur ein neuer Präsident.
Andererseits muss man sich die Fähigkeit zur Empörung erhalten, wenn Empörendes geschieht. Die USA wollen eine Demokratie und ein Rechtsstaat sein. Ihr Präsident ordnet aber mal eben ein Einreiseverbot für Muslime und Flüchtlinge an, lobt die Effektivität von Folter – wie soll man da cool bleiben? Er will Millionen Menschen, die unter Barack Obama erstmals eine Krankenversicherung bekamen, diesen Schutz wieder nehmen. Er möchte Milliarden für den Bau einer Mauer ausgeben. Und provoziert Mexikos Präsident so, dass der seinen Besuch in den USA absagt. Er streicht die Umweltauflagen für den Kohleabbau und genehmigt Pipelines durch Indianerreservate.
Gewiss darf ein Präsident, der einen Politikwechsel versprochen und die Wahl gewonnen hat, einen neuen Kurs einschlagen. Doch Trump inszeniert die Wende, als wolle er allen, die andere Vorstellungen haben als er, vors Schienenbein treten. Und sie demütigen.
Nebenbei führt er Kämpfe für sein Ego, die manche an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen. Er will eine Untersuchung anordnen, um zu beweisen, dass Hillary Clintons Vorsprung von drei Millionen Wählerstimmen nur das Ergebnis von Wahlmanipulation sein könne. Er schickt seinen Sprecher in einen Kleinkrieg mit Reportern, weil er nicht ertragen kann, dass weit weniger Bürger sich für seine Amtseinführung interessierten als für die Inauguration Obamas. Hat Amerika nicht dringendere Probleme? Wo bleiben Vernunft und Augenmaß?
Kein Wunder, dass viele sich empören. Darin liegt aber die Gefahr, Trump auf den Leim zu gehen. Empörung kann sich abnutzen. Für Dauerempörung ist die menschliche Natur nicht gemacht. Zudem wirkt Empörung nur dann ansteckend, wenn sie sich an Vorgängen entzündet, die viele auf den ersten Blick als empörend empfinden. Jetzt nehmen die Auslöser überhand, mal geht es um großes, mal um kleines Karo. Da wird es umso wichtiger, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden.
Er sucht sich das schwächste Glied in der Kette
Eine reflexartige Dauerempörung über alles, was Trump sagt und tut, erleichtert ihm die Abwehr. Das haben die ersten zehn Tage seiner Präsidentschaft gezeigt. Gnadenlos suchen er und sein Kommunikationsteam das schwächste Glied in der Empörungskette und gehen zum Gegenangriff über. War da nicht die Falschmeldung, Trump habe die Büste des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King aus dem Oval Office verbannt? Er hatte sie umgestellt, um die Büste Winston Churchills, die Obama hatte entfernen lassen, an den angestammten Platz zu stellen.
Jede einzelne Schwachstelle in der Empörung nutzt Trump, um Gegenempörung bei seinen Anhängern zu schüren. Wie selbstverständlich unterstellt er böse Absicht. Die rasche Korrektur des Irrtums durch den Urheber genügt ihm nicht. Die emotionale Gegenmobilisierung ist sein strategisches Ziel.
Trumps Team wartet genüsslich auf die Gegenattacke
Haben nicht Trumps Gegner behauptet, er habe die Studien und Informationen zum Klimawandel, die unter Obama auf der Website des Weißen Hauses standen, vernichtet? Und die spanische Fassung und die Version für Behinderte gelöscht? Trumps Team wartete genüsslich ein paar Tage ab, wie sich die Empörung immer weiter steigerte, dann kam die Gegenattacke.
Sie läuft im Kern auf den Lügenpresse-Vorwurf hinaus. Trump stelle lediglich die Schwerpunkte seines Programms auf die offizielle Website des Weißen Hauses, wie das jeder Präsident getan habe, auch Obama vor acht Jahren. Die Obama-Inhalte seien weiter vorhanden, nichts sei gelöscht. Sie seien nur ins Archiv verschoben worden, aber dort weiter zugänglich unter der Adresse obamawhitehouse.archives.gov.
Auch manche Gegner schießen übers Ziel hinaus
In der Tat überzieht nicht nur Trump. Manche Gegner tun es ebenfalls. Auch in Europa ist die Versuchung offenbar groß, auch in den Fällen in die Trump-Empörung einzustimmen, wo eine Plausibilitätskontrolle zu Vorsicht mahnen müsste. Wie eine Welle verbreitete sich, zum Beispiel, die Story über eine angebliche Guerilla-Aktion von Klimaschützern. Sie müssten wissenschaftliche Daten von den Websites des Weißen Hauses und der US-Ministerien sichern, ehe sie unwiederbringlich verloren gehen, weil Trump sie sonst löschen lasse. Was sollen das für Daten sein, die von unabhängigen Wissenschaftlern stammen, bisher öffentlich zugänglich waren, die aber niemand sonst kenne, weshalb Klima-Guerilleros sie vom Ausland aus retten müssen?
In diesem Auf und Ab von Empörung und Gegenempörung verlieren viele die Orientierung. Wer hat wirklich was gesagt oder getan, wer hat Recht oder Unrecht, was verdient Empörung und was ist Empörungsshow? Die allgemeine Verunsicherung nützt Trump. Einen wie ihn kann eine aufgeklärte Öffentlichkeit nur eingrenzen, wenn sie über berechtigter Empörung nicht selbst das Augenmaß verliert.
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