Global Solutions Summit 2020: Das Zauberwort heißt „Recoupling“
Das Coronavirus balanciert die Agenda und Prioritäten von Gesellschaften, Großmächten und internationalen Organisationen neu aus. Gewohntes wird verändert.
Die Pandemie zwingt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, das gewohnte Verhalten zu verändern. Menschen können nicht mehr frei reisen. Globale Versorgungsketten geraten ins Stocken. Das Coronavirus erzwingt auch ein Überdenken der Prioritäten. Gesundheit wird wichtiger, wenn sie so sehr bedroht ist; die Ausrichtung am ökonomischen Nutzen steht zurück.
„Health“ und „Wealth“ zusammendenken
Die Globalisierung zeigt riskante Schattenseiten, wenn Staaten feststellen, dass sie die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Schutzkleidung, Schutzmasken und Beatmungsgeräten nicht aus eigener Kraft sicherstellen können und sich zu abhängig vom Ausland gemacht haben, wo man diese Güter ebenfalls braucht.
Doch wenn das gewohnte Verhalten in der Krise Schwachstellen aufdeckt, heißt das nicht automatisch, dass die Lösung darin liegt, den Gegenkurs einzuschlagen. Vielmehr muss man konkurrierende Ziele, die ihre Berechtigung haben, neu ausbalancieren. Und lernbegierig beobachten, was Andere womöglich besser machen in der Krise. „Recoupling“ heißt das Zauberwort, dessen deutsche Übersetzung „Rückkoppelung“ die Bandbreite seiner Bedeutung nur unzureichend widergibt.
Man muss die Globalisierung und das Regionale neu zusammendenken, ebenso „Health“ und „Wealth“, also Gesundheit und Wohlstand samt ihren Wechselwirkungen. Und das Schutzbedürfnis der Älteren vor dem Virus mit dem Recht der Jüngeren auf ihre ökonomischen Lebenschancen.
„Recoupling“ - dieser Aufruf durchzieht die Impulsvorträge und Paneldiskussionen der Konferenz „Global Solutions Summit 2020“. Wegen der Coronavirus-Pandemie können mehr als 130 Politiker, Forscher, Experten und Vordenker diesmal nicht wie in den Vorjahren an einem Ort zusammenkommen. Wegen der Reisebeschränkungen tauschen sie sich digital aus.
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Die Globalisierung korrigieren, nicht zurückdrehen
„Recoupling“ empfehlen Minister, CEO’s und Wissenschaftler sowie Vertreter internationaler Organisationen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht einerseits die Notwendigkeit, die Abhängigkeit von globalen Versorgungsketten bei lebenswichtigen Gütern zu reduzieren und die regionale Eigenständigkeit zu verbessern. Andererseits warnt er, daraus dürfe „kein Rückschlag für die Globalisierung“ werden. Die Nationalstaaten seien überfordert, wenn sie die Coronakrise jeder für sich lösen müssen. Das Virus, das sich global verbreite, könne nur durch globale Kooperation überwunden werden. Die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen werde wichtiger, sagt Altmaier und nennt die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Welthandelsorganisation (WTO), den Internationalen Währungsfonds (IMF), die Weltbank, die OECD und die Europäische Union.
Den gleichen Ton hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres in seinem Grußwort angeschlagen. „Multilateralismus und koordiniertes internationales Handeln sind heute von größerer Bedeutung als je zuvor.“
Stakeholder gewinnen, Shareholder verlieren an Gewicht
Colm Kelly von der internationalen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers beobachtet, dass Firmen ihren Bedarf an Büroräumen neu kalkulieren, weil viele Mitarbeiter im „Home Office“ arbeiten. Sie richten ihre Versorgungsketten neu aus – „mehr regional, weniger global“. Und sie justieren die Balance zwischen „Shareholder value“ und „Stakeholder value“. Verkürzt gesagt geht das Interesse der Aktionäre in der Bedeutung zurück und steigt die Ausrichtung am Interesse der Kunden und der sozialen Umgebung der Unternehmen. Sie wollen verstärkt dem Umfeld, in dem sie arbeiten, dienen.
Das sei zugleich eine Verschiebung von kurzfristigem Denken, das auf die Entwicklung des Aktienkurses gerichtet ist, zu nachhaltigem Denken, analysiert Kelly. Er prophezeit auch, dass sich die Methoden, wie man die Wertschöpfung berechnet, ändern werden. Sein „Recoupling“-Resummee: Wir müssen soziale und ökonomische Belange zusammenführen.
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Warnung vor einer verlorenen Generation
Gabriela Ramos von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fordert, „Leben retten“ oder „Wirtschaft retten“ nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern beides zu verbinden. Sie möchte auch den schwelenden Generationenkonflikt, den Corona bewirkt, durch Zusammendenken entschärfen. Man müsse Wege finden, die Alten vor Ansteckung zu schützen, ohne dabei eine „verlorene Generation“ zu produzieren, die ihrer Startchancen beraubt wird. Ramos fragt provokant, ob man den Umstand, dass trotz der jahrelangen Forschung an Coronavirenstämmen kein Impfstoff zur Verfügung steht, als „Marktversagen“ und „Regierungsversagen“ verstehen solle.
Aus der Paneldebatte zur Klimapolitik und der CO-2-Bepreisung entwickeln sich ebenfalls „Recoupling“-Ideen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Ottmar Edenhofer, Ökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), überlegen, wie man die Forschungs- und Politikansätze in der Covid-19-Krise, der Klimakrise und der Tierhaltung so verbinden kann, dass die Risiken der Übertragung gefährlicher Keime von Tieren auf Menschen deutlich reduzieren kann.
Der „Digital Global Solutions Summit 2020“, an dem der Tagesspiegel als Medienpartner beteiligt ist, endet am 7. Juni.