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Will mit der EU über das Flüchtlingsabkommen verhandeln: der türkische Präsident Erdogan
© REUTERS/Umit Bektas

Poker in Brüssel: Das will Erdogan bei der EU erreichen

Mit der Grenzöffnung für Flüchtlinge hat Erdogan seine Trumpfkarte ausgespielt. Jetzt versucht der türkische Präsident zu verhandeln.

Trotz der Öffnung der türkischen Westgrenze für Flüchtlinge und der gegenseitigen Vorwürfe beginnen die Türkei und die EU mit Gesprächen über eine Zukunft ihres Flüchtlingsabkommens. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reist am Montag nach Brüssel, wo er mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel sprechen wird.

Er hoffe auf gute Ergebnisse des Treffens mit der neuen EU-Führung, sagte Erdogan am Sonntag. Der türkische Präsident verlangt unter anderem Visafreiheit für türkische Reisende in Europa und eine Beteiligung der EU am Bau von Unterkünften für Flüchtlinge im Norden Syriens. In einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Erdogan eine Überarbeitung des Flüchtlingsdeals von 2016. Von einer völligen Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der EU ist keine Rede mehr.

Erdogans Besuch war laut türkischen Medienberichten bei einer Visite von Michel in Ankara vorige Woche vereinbart worden, wenige Tage, nachdem die Türkei die Grenze geöffnet und zehntausende Flüchtlinge die Landgrenze mit Griechenland gestürmt hatten. Die Reisediplomatie folgt auf eine längere Funkstille in hochrangigen Kontakten zwischen der Türkei und der EU-Führung.

Merkel telefonierte bereits zweimal mit Erdogan

Zuletzt hatte Erdogan mit den damaligen Chefs von EU-Kommission und -Rat vor zwei Jahren im bulgarischen Varna konferiert. Doch nun suchen EU-Politiker nach dem Schock über Erdogans Grenzöffnung erneut das Gespräch mit dem türkischen Präsidenten. Merkel telefonierte zweimal innerhalb einer Woche mit dem Staatschef.

Erdogan mache in einem dieser Gespräche deutlich, dass er die derzeitige Konstruktion des Flüchtlingsabkommens für gescheitert hält, wie türkische Zeitungen meldeten. Der Deal von 2016 sah vor, dass die Türkei syrische Flüchtlinge an der Überfahrt nach Griechenland hindert und dafür sechs Milliarden Euro aus Brüssel erhält. Erdogan wirft den Europäern vor, das versprochene Geld nur zögerlich auszuzahlen und politische Zusagen wie bei der Visafreiheit nicht einzuhalten.

Das Kalkül Erdogans geht nur teilweise auf

Deshalb hatte Erdogan Ende Februar „die Tore geöffnet“, wie er sagte. Mit dem Druck will Erdogan die Europäer zu Änderungen ihrer Flüchtlingspolitik bewegen und die EU zwingen, sich in Syrien an die Seite der Türkei zu stellen.

Erdogans Kalkül ging nur teilweise auf. Zwar sagte die EU, die einen neuen Massenansturm von hunderttausenden Flüchtlingen wie im Jahr 2015 fürchtet, der Türkei mehr Geld zu. Doch die allermeisten Flüchtlinge wurden von griechischen Grenztruppen aufgehalten.

Migranten stehen auf türkischer Seite vor dem Grenzzaun zu Griechenland.
Migranten stehen auf türkischer Seite vor dem Grenzzaun zu Griechenland.
© dpa/Darko Bandic

In den vergangenen Tagen sank die Zahl der Neuankömmlinge an der Grenze, zudem stoppte die Türkei die lebensgefährlichen Überfahrten von Flüchtlingen über die Ägäis: Erdogan hat seine seit Jahren angedrohte politische Trumpfkarte – die Grenzöffnung für Flüchtlinge – ausgespielt, ohne das erhoffte Ergebnis zu erzielen.

Erdogan setzt nun auf Verhandlungen

Deshalb will er nun auf dem Verhandlungsweg nachsetzen. Die Visafreiheit ist ein wichtiges Thema für türkische Normalbürger, die sich derzeit einer frustrierenden Visa-Prozedur unterwerfen müssen, wenn sie Verwandte in der EU besuchen wollen. Die Erweiterung der Zollunion mit der EU könnte der türkischen Wirtschaft helfen. EU-Unterstützung für Flüchtlingsunterkünfte in Syrien könnte eine neue Massenflucht aus dem Bürgerkriegsland in die Türkei verhindern und den türkischen Plan für eine „Sicherheitszone“ in Syrien aufwerten.

Einfach werden die Verhandlungen nicht. Die EU fordert ein sofortiges Ende der Grenzöffnung und eine Rückkehr zum Abkommen von 2016, doch das schließt Erdogan bisher aus: „Das hat sich erledigt“, sagte er vor einigen Tagen. Den Nachbarn Griechenland rief er am Sonntag auf, die Flüchtlinge in andere EU-Länder zu schicken.

Auch bei den anderen Themen liegen Türkei und EU auseinander. Brüssel pocht auf rechtsstaatliche Kriterien für die Visafreiheit und wird auch der Erweiterung der Zollunion nicht ohne weiteres zustimmen. Nach einigen Berichten will Erdogan in Brüssel zudem über neue Impulse für den komatösen türkischen EU-Beitrittsprozess reden – doch dieser Wunsch wird sich kaum erfüllen, so lange Erdogan das EU-Mitglied Griechenland mit dem Flüchtlingsansturm unter Druck setzt.

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