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Flüchtlinge suchen an der türkisch-griechischen Grenze Zuflucht in einem verlassenen Gebäude.
© Yasin Akgul/dpa

Zynismus gegenüber Flüchtlingen: Deutschland muss jetzt ein Zeichen der Menschlichkeit setzen

Es kann nicht darum gehen, wieder, wie 2015, Hunderttausende einreisen zu lassen. Aber die Populisten dürfen uns nicht zur Untätigkeit zwingen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Im Grenzgebiet zwischen Griechenland und der Türkei sind Zehntausende Menschen Opfer eines unglaublichen Zynismus. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mit Bussen an die Grenze zu Griechenland bringen. Er hat ihnen die Hoffnung gemacht, die Europäische Union wolle ihre Tore für Vertriebene öffnen.

Das ist eine Lüge. Die EU ist weit davon entfernt, die Verzweifelten einreisen zu lassen.

Kleinkinder vegetieren unter unbeschreiblichen Umständen vor sich hin

Im Gegenteil. Europa hat die Grenze fest verschlossen, treibt die Hilflosen mit Tränengas und Blendgranaten zurück. Aber einen Rückweg für sie gibt es nicht. Erdogans Militär und Polizei versperren den Weg. Nun vegetieren Kleinkinder und Familien unter unbeschreiblichen Umständen vor sich hin, weil weder die Türkei noch die Europäische Union nachgeben wollen.

Was Erdogan damit erreichen will? Er setzt voraus, dass europäische Demokratien beim Anblick des Leides und der Tränen weich werden, dass sie die Entwurzelten entweder einreisen lassen oder Erdogan bei seinem militärischen Abenteuer in Nordsyrien durch Nato-Kräfte unterstützen. Oder dass sie deutlich mehr Geld zahlen, als das existierende Flüchtlingsabkommen vorsieht.

Ohne Zweifel hat Europa nie gewürdigt, welche Leistung die Türkei mit der Unterbringung von vermutlich mehr als drei Millionen Flüchtlingen seit Jahren fast klaglos erbringt. Das ist ein beeindruckender Akt der Humanität. Wir alle, in unseren sicheren Verhältnissen, täten gut daran, dies zu würdigen, und nicht nur über den Diktator Erdogan – der er ohne Zweifel eben auch ist – zu räsonieren.

Es kann nicht darum gehen, Hundertausende einreisen zu lassen

Das alles aber entschuldigt nicht die Brutalität, mit der die Türkei jetzt Flüchtlinge als Faustpfand benutzt, um Europa zu erpressen. Das ist jedoch nur eine Seite.

Die andere: Europa wäre sehr wohl in der Lage, müsste dazu bereit sein, ein Zeichen der Humanität zu setzen. Es kann heute nicht darum gehen, wieder, wie 2015, Hunderttausende einreisen zu lassen. Aber weder der AfD noch Pegida, weder französischen, ungarischen oder polnischen Populisten – die sich ja alle gerne auf das christliche Abendland berufen – sollten wir die Macht über uns geben, Untätigkeit und Unmenschlichkeit angesichts des Leides zu erzwingen.

Deutschland alleine kann das Dilemma Europas nicht lösen. Aber es kann ein Zeichen setzen. Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert und die Berliner Sozialdemokratin Gesine Schwan arbeiten, unterstützt von der evangelischen Kirche, seit Monaten an einem Netzwerk, das unter dem Leitmotiv „Sichere Häfen“ und „Seebrücke“ ganz konkrete Angebote der Hilfe macht.

Große Kommunen in Deutschland wie Köln, Düsseldorf, Hannover, Freiburg und eben auch Potsdam haben sich bereit erklärt, geflüchtete Menschen aufzunehmen, sich um sie zu kümmern. Zudem gibt es europäische Appelle, vor allem geflüchtete Kinder aufzunehmen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bittet gerade für sie um Hilfe.

Die zivilgesellschaftliche Kraft unseres föderalen Staates erwächst aus den Kommunen. Wenn die sich in der Lage sehen, und den Willen dazu haben, aus ihrer Heimat Vertriebene aufzunehmen, sollte sich die Bundesregierung nicht verweigern und solche Hilfsangebote annehmen. Vielleicht kann Deutschland hier an einem Beispiel zeigen, was auch in anderen Ländern funktionieren könnte. Jetzt können wir helfen. Tun wir es.

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