Karlsruhe zu Ceta: Das Urteil ist nicht das letzte Wort
Das Ceta-Abkommen der EU mit Kanada kann starten, sagt das Bundesverfassungsgericht. Aber Deutschland kann aussteigen - und muss es vielleicht sogar.
Sahra Wagenknecht lässt sich von ihrem Prozessvertreter noch kurz das Wichtigste erklären, dann steht für sie fest, welchen Eindruck sie für die Kameras machen würde: schmales Siegerlächeln. "Die Klage hat sich gelohnt", sagt die Fraktionsvorsitzende der Linken entschlossen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem der Weg für das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada frei geworden ist. Es sei nun deutlich geworden, das Deutschland aus Ceta aussteigen könne. Aber je weiter sie redet, umso stärker kommen die Gefühle durch. Dass sie "nicht ganz enttäuscht" sei, sagt sie dann, auch wenn sie "auf mehr gehofft" habe.
Mehr, das wäre der vorläufige Stopp des Abkommens gewesen, den neben der Linksfraktion zehntausende Kläger und verschiedene politische Initiativen in Karlsruhe durchsetzen wollten. Mit ihren Anträgen wollten sie erreichen, der Bundesregierung die Zustimmung zu Ceta am 18. Oktober im EU-Rat zu untersagen. Eine Woche darauf soll das Abkommen beim EU-Kanada-Gipfel feierlich unterzeichnet und zugleich für vorläufig anwendbar erklärt werden.
Nur Bereiche in EU-Zuständigkeit
Die vorläufige Anwendung erwies sich nun auch vor Gericht als die entscheidende Hürde. Ceta ist ein so genanntes gemischtes Abkommen, neben der EU werden auch die einzelnen Mitgliedstaaten Vertragspartner - doch erst nachdem sie 500 Seiten Text samt umfassender Anlagen ratifiziert haben. In den Monaten oder sogar Jahren bis dahin schafft Ceta Fakten. Würde die nationale Selbstbestimmung damit ausgehebelt werden?
Nein, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, wenn die Bundesregierung drei Punkte sicherstelle: Die vorläufige Anwendung dürfe nur Bereiche erfassen, die unstreitig in die EU-Zuständigkeit fielen. Für die Entscheidungen für den durch die EU besetzten Gemischten Ceta-Ausschuss, der das Abkommen fortentwickeln soll, müsse es eine "hinreichende demokratische Rückbindung" geben, also bei wesentlichen Fragen eine Befassung des Parlaments.
Schließlich habe die Regierung "unverzüglich" - Voßkule betonte dies außerhalb seines Manuskripts - zu erklären, dass die Regierung die vorläufige Ceta-Anwendung einseitig beenden dürfe. Diese Klarstellung galt einer der umstrittensten Fragen der mündlich Verhandlung tags zuvor. Denn nicht nur den Klägern, auch den Richtern erschien keineswegs ausgemacht, wer bei "gemischten Abkommen" ein Kündigungsrecht hat: Der einzelne Staat oder nur die EU als Ganzes.
"Weitreichende Auswirkungen"
Mit den genannten Auflagen war die Entscheidung für die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats offenkundig einfacher als erwartet. Schwierige Fragen zu den komplexen Ceta-Inhalten konnten dem später folgenden Hauptsacheverfahren überantwortet werden. Das Gericht musste jetzt nur noch abwägen, welche Folgen es für die Bundesrepublik haben könnte, wenn Ceta kurzfristig gestoppt würde - und die wogen deutlich schwerer, als das Abkommen mit den genannten Einschränkungen zunächst anlaufen zu lassen.
Ein gerichtlicher Stopp würde "in erheblichem Maße in die weite Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung im Rahmen der Europa-, Außen und Außenwirtschaftspolitik eingreifen", sagte Voßkuhle. Auch in die der EU. Über die Beziehungen zu Kanada hinaus könne ein Nein "weit reichende Auswirkungen auf künftige Außenhandelsabkommen haben". Das Gericht sah für diesen Fall eine "Einbuße an Verlässlichkeit" und nahm damit, wenn auch mit weniger drastischen Worten, die Argumentation von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auf, der tags zuvor "gigantische Schäden" befürchtet hatte. Kanada würde sich auf keine neuen Verhandlungen einlassen, meinte der Minister. Und andere Länder, die man sich als Partner wünscht, erst recht nicht.
Nicht das letzte Wort
Um dieses Vertrauen zu rechtfertigen, war die Regierung den Kritikern weit entgegengekommen. Vorläufig anwendbar ist das Abkommen nur, soweit Materien der EU betroffen sind. Ist Deutschlands Zuständigkeit berührt, bleibt zunächst alles beim alten. Ohne Wirkung bleiben daher die Regelungen zum gerichtlichen Investitionsschutz, zu Portfolioinvestitionen, der gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen, zum Arbeitsschutz und zum internationalen Seeverkehr.
Zum Schluss seiner Urteilsverkündung erklärte Voßkuhle, dass es sich mit der Entscheidung vom Donnerstag nicht um das letzte Wort handeln müsse. Wenn die Regierung die Auflagen "nicht realisieren" könne, verbleibe ihr "in letzte Konsequenz die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Abkommens durch schriftliche Notifizierung zu beenden." Damit halten die Karlsruher Richter sich und möglichen Klägern eine Tür offen, wenn sich in der Praxis herausstellt, dass Ceta eben doch an der deutschen Souveränität kratzt oder die "Verfassungsidentität" verletzt, welche das Gericht regelmäßig der EU entgegenhält, wenn sie ihm übergriffig erscheint. Der "Teilerfolg", den die Linken-Politikerin Wagenknecht erstritten zu haben glaubt, könnte dann doch noch ein voller werden.