Breite Kritik an Ramelows „Clubhouse“-Auftritt: „Das steht für sich und bedarf keines weiteren Kommentars“
Thüringens Regierungschef gibt in der App „Clubhouse“ zu, während der Corona-Runden „Candy Crush“ zu zocken. Merkels Sprecher äußert sich dazu recht eindeutig.
Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist nach seinem umstrittenen Auftritt in der neuen Social-Media-App „Clubhouse“ weiter um Schadensbegrenzung bemüht. Der Linken-Politiker hatte in der Nacht zu Samstag vor einer vermeintlich geschlossenen Runde mehrere lockere Aussagen zu Corona-Krisenrunden mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gemacht.
„Ab sofort, wenn ich jetzt dieses Format anmache, merke ich, im Hinterkopf habe ich jetzt die Lernkurve von vorgestern und gestern“, sagte der Linke-Politiker am Sonntag bei einem erneuten Auftritt bei „Clubhouse“. Die Analyse eines Mediendienstes, dass der Feind stets mithöre, habe er nun hinsichtlich der App verinnerlicht.
Kanzlerin Merkel selbst äußerte sich nicht dazu, allerdings beantwortete ihr Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag eine Frage in der Bundespressekonferenz recht eindeutig: „Das steht für sich und bedarf keines weiteren Kommentars.“
Kritik kam nun sogar aus Ramelows eigener Landesregierung. „Wenn sich bewahrheitet, dass Bodo Ramelow während der Ministerpräsidentenkonferenz Handyspiele spielt, dann sollte er sein Verhalten überprüfen“, sagte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Dazu ist die Situation zu ernst.“
Ausgelöst hat die Debatte vornehmlich ein Kommentar der „Welt am Sonntag“ (WamS) über den Auftritt, bei dem Ramelow mehrere Stunden mit SPD-Parteinachwuchs wie Lilly Blaudszun, etablierten SPD-Politikern wie Kevin Kühnert sowie Jugendlichen sprach.
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WamS-Chefredakteur Johannes Boie schreibt, Ramelow habe unter anderem berichtet, dass er in der Ministerpräsidentenkonferenz der Bundesländer – hier wird über den Kurs in der Pandemie entschieden – ausgiebig auf seinem Handy zocke.
Bis zu „zehn Level Candy Crush schaffe ich“, zitiert das Blatt Ramelow. Er habe die Bundeskanzlerin zudem „das Merkelchen“ genannt. Auch über die Covid-19-Toten habe sich Ramelow salopp geäußert. Sein Land habe gerade „zu viele Tote“, als dass er derzeit in Debatten Punkte machen könne.
Die „Clubhouse“-App stammt von einem Start-up aus San Francisco und bietet eine soziale Audio-Plattform, auf der Menschen in sogenannten Räumen live diskutieren können – eine Mischung aus Radio-Talkshow und Twitter-Diskussion.
Darf man aus Clubhouse-Runden öffentlich zitieren?
In der WamS heißt es: „Wenngleich die Worte in lockerer Atmosphäre fielen, war offensichtlich, dass Ramelow sie ernst meinte.“ Ramelow habe erzählt, was ihm in den Kopf kam, „wohl wissend, dass ihm zeitweise mehr als 1000 Menschen zuhörten, darunter sehr viele Journalisten, dass mit Manuela Schwesig (SPD) eine weitere Ministerpräsidentin, und weitere bekannte Politiker anwesend waren“.
Auf Twitter weist ein Nutzer darauf hin, dass bei Gesprächen aus Clubhouse-Unterhaltungen den Richtlinien des Dienstes zufolge nur zitiert, aufgezeichnet oder transkribiert werden darf, wenn eine Erlaubnis der Beteiligten vorliege.
Im WamS-Beitrag heißt dazu: „Über Ramelows politische Äußerungen, sein von ihm selbst beschriebenes Verhalten in der Pandemie zu schreiben, ist journalistische Pflicht. Öffentliches Interesse besteht auch daran, dass der Spitzenpolitiker in der zum Teil von Teenagern organisierten Runde zweideutige Anspielungen von sich gab.“ Ramelow wies bei einem weiteren Gespräch am Samstagabend die Vorwürfe zurück.
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Hätte ein konservativer Politiker sich so geäußert, schreibt Boie weiter, wäre seine weitere Karriere womöglich in Frage gestellt, so die WamS weiter. „Während die Jusos, sonst selten verlegen, Sexismus auch in Details zu erkennen und zu stoppen, den Ministerpräsidenten reden ließen, versuchte seine Amtskollegin Schwesig sanft, ihn zu bremsen.“
Statistisch gesehen, steht die App nur rund jedem Fünften in Deutschland zur Verfügung, da sie nur mit einem Apple-IOS-Betriebssystem funktioniert. Rund 80 Prozent nutzen hierzulande aber Android-Geräte. Um Mitglied bei „Clubhouse“ zu werden, muss man von einem anderen Nutzer eingeladen werden.
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Doch das ist zugleich Teil des Erfolgskonzepts. Einerseits hat die App einen exklusiven und elitären Charakter. Andererseits werden die Mitglieder sowohl von den Machern von „Clubhouse“ als auch von den Moderatoren einzelner Gruppen angehalten, ihre Profile auf anderen Plattformen zu verknüpfen und dort die Inhalte der Gespräche zu kommentieren.
Die Hoffnung dahinter: Bei vielen Menschen in Netzwerken wie LinkedIn, Twitter und Instagram soll der Wunsch entstehen, schnellstmöglich auch Teil der Gemeinschaft zu werden und mitreden zu können.
Wie viele Nutzer „Clubhouse“ bereits hat, ist unklar. Eine entsprechende Tagesspiegel-Anfrage ließ das US-Start-up unbeantwortet. Bislang nutzen vor allem Medienschaffende, junge Unternehmer und Politiker „Clubhouse“. Bei Letzteren reicht das Spektrum von Philipp Amthor (CDU) bis Kühnert. Mit Christian Lindner (FDP) und Saskia Esken (SPD) sind bereits zwei Parteichefs auf der Plattform.
Im Bundeskabinett gibt es mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) bereits drei „Clubhouse“-Mitglieder. Und auch viele Promis – von Moderator Thomas Gottschalk über Fußballer Mats Hummels bis Unternehmer Carsten Maschmeyer – sind schon im Club.
Am Samstagmorgen twittert Ramelow zunächst noch einen Dank: „Es war ein schöner Abend“, schreibt er. Später echauffiert er sich dann offenbar über den WamS-Beitrag, wie die Plattform „turi2“ berichtet: „Wütend und mit wachsender Verzweiflung versucht er sich bis 1.39 Uhr am Sonntagmorgen in mehreren Gesprächsrunden zu wehren und zu erklären – bekommt die Zahnpasta aber nicht mehr zurück in die Tube.“ Ramelows Fazit lautete demnach: Es sei ihm „eine Lehre“, das Verhalten von Boie mache die lockere Atmosphäre im „Clubhouse“ „kaputt“.
Der Nachrichtenagentur dpa sagte Ramelow am Sonntag, er nutze das Smartphone-Spiel, um in den langen Konferenzen von Bund und Ländern den Kopf frei zu bekommen. „Die einen spielen Sudoku, die anderen spielen auf ihren Handys Schach oder Scrabble, und ich spiele Candy Crush“, sagte der Linken-Politiker am Sonntag der dpa. Das sei für ihn eine Methode zu entspannen. Bei den teils zehn Stunden langen „Marathon-Sitzungen“, wie Ramelow sagte, mit häufigen Unterbrechungen, sei dies kein Aufreger. Es sei auch kein Geheimnis.
Der Linke-Politiker monierte, es seien Versatzstücke aus der Talkrunde später aus dem Kontext gerissen worden. Das Thema der Talkrunde sei „Trash und Feuilleton“ gewesen. „Wenn man über Trash redet, dann ist es trashig“, sagte Ramelow. Wenn man das in einer anschließenden Debatte weglasse, finde er das komisch. „Wenn man daraus eine tiefernste Sache macht, dass es zeigt, wie die Politiker denken, wenn sie privat sind – das finde ich schwierig“, sagte Ramelow.
Für seine Äußerung „Merkelchen“ entschuldigte er sich am Sonntagabend auf Twitter. Eine „kluge Frau“ habe im schlüssig erklärt, dass es „ein Akt männlicher Ignoranz“ gewesen sei, den Namen der Bundeskanzlerin zu verniedlichen. „Dafür meine ehrliche Bitte um Entschuldigung“, schreibt Ramelow.
Thüringens CDU-Chef Christian Hirte warf ihm Respektlosigkeit und Verantwortungslosigkeit vor. „Entweder ist es Ausdruck von Arroganz der Macht oder Amtsmüdigkeit“, schrieb Hirte bei Twitter. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie gehe es um Leben und Tod sowie um Existenzen und die Zukunft einer Schülergeneration. „Wer sein Amt als Ministerpräsident so versteht, verspielt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.“
Mit Blick auf „Clubhouse“ äußerte Ramelow Datenschutzbedenken, weil Nutzer dazu aufgefordert würden, Zugriff auf ihre Kontakte zu erlauben. Auch, dass es die App bislang nur für iPhone-Nutzer gebe, stört Ramelow. „Und das darf nicht so bleiben, sonst wird das nicht mein Medium, wenn das so elitär bleibt.“
Trotz der Kritik an seinem Auftritt bei der Audio-App kann sich Ramelow derzeit die Teilnahme an weiteren solcher Talkrunden vorstellen. „Ich habe da auch zwei andere Nummern einfach als Zuhörer begleitet und fand das total spannend, junge Leute zu hören, die bestimmte Fragen debattieren“, sagte er. (Tsp, dpa)