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Wer Mitglied bei "Clubhouse" werden will, braucht eine Einladung.
© imago

Neue Social Media Plattform: Wie die Politik den Hype um Clubhouse nutzen will

Trotz großer Bedenken beim Datenschutz tummeln sich etliche Spitzenpolitiker auf Clubhouse. Wie wichtig wird die Audio-App im Superwahljahr?

Sie ist die App der Stunde und – da sind sich viele Experten einig – nicht nur ein kurzzeitiger Trend: Die Audio-Plattform „Clubhouse“ ist seit einer Woche auf dem deutschen Markt und seitdem wird im Netz geredet, geredet und geredet.

Das Format ist simpel: Kein Video, kein Chat, nur Reden. Tag und Nacht finden Diskussionen statt, teilnehmen kann jeder – so er oder sie es auf die Plattform geschafft hat. Denn Mitglied im „Clubhouse“ kann nur der werden, der eine Einladung erhält.

Nicht die einzige Kritik, die bereits laut wird. In den USA gibt es „Clubhouse“ schon länger, dort hat die Plattform mit Rassismus, Sexismus und Hate-Speech zu kämpfen. Auch den Datenschutz nimmt das Start-up offenbar nicht ganz ernst.

Trotzdem tummeln sich seit der ersten Stunde auffällig viele Spitzenpolitiker auf der App – und verbringen Stunden auf Podien. Neben reiner Neugier steckt wohl auch einiges taktisches Kalkül dahinter. Im Superwahljahr und mitten in der Pandemie will niemand die Möglichkeit nach Reichweite verschenken.

Wer ist schon da?

Statistisch gesehen, steht die App nur rund jedem Fünften in Deutschland zur Verfügung, da sie nur mit einem IOS-Betriebssystem funktioniert. Rund 80 Prozent nutzen hierzulande aber Android-Geräte. Wie viele Nutzer „Clubhouse“ bereits hat, ist unklar. Eine entsprechende Anfrage ließ das US-Start-up unbeantwortet. Bislang nutzen vor allem Medienschaffende, junge Unternehmer und Politiker „Clubhouse“.

Bei Letzteren reicht das Spektrum von Philipp Amthor (CDU) bis Kevin Kühnert (SPD). Mit Christian Lindner (FDP) und Saskia Esken (SPD) sind bereits zwei Parteichefs auf der Plattform. Im Bundeskabinett gibt es mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) bereits drei „Clubhouse“-Mitglieder. Und auch viele Promis – von Moderator Thomas Gottschalk über Fußballer Mats Hummels bis Unternehmer Carsten Maschmeyer – sind schon im Club.

Digitale Sozialdemokraten: Kevin Kühnert (l.) und Saskia Esken sind bereits bei "Clubhouse".
Digitale Sozialdemokraten: Kevin Kühnert (l.) und Saskia Esken sind bereits bei "Clubhouse".
© Reuters

Wie politisch ist die Plattform?

Auf einer Skala vom voyeuristischen Instagram zum hochpolitischen Twitter liege „Clubhouse“ irgendwo dazwischen, findet die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Zumindest in meiner Blase nehme ich das bislang als eine sehr politische Plattform wahr“, sagt sie und blickt auf ihre App. Gerade gebe es ein feministisches Frühstück mit der Europaabgeordneten Katarina Barley (SPD) und 827 Teilnehmenden. „Mir gefällt, dass sich die App auf das Wesentliche konzentriert.“ Keine Herzchen, kein Daumen, keine Kommentare. Stattdessen diskutieren und zuhören.

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Strack-Zimmermann war bereits in sicherheitspolitischen Debatten mit Soldaten und bietet regelmäßig ihren eigenen Talk an. In der ersten Folge sprach sie mit ihrem Parteifreund Johannes Vogel über die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten, auch viele andere hätten mitgesprochen. „Clubhouse ist nicht elitär, der Raum hat in Zukunft durchaus eine egalitäre Wirkung.“ Und: Je größer die Plattform, desto größer das Angebot. Täglich kommen neue Formate hinzu. Schon jetzt werden die Bundespressekonferenz der Kanzlerin analysiert, die neuesten Corona-Regeln diskutiert, Strategien für den Umgang mit Russland gesucht. Doch nicht alles ist politisch bei „Clubhouse“. Es gibt auch Gespräche über Firmengründungen, Literatur, die Bundesliga, Sex, Dating oder Alkohol.

Verschwenden Politiker ihre Zeit?

„Clubhouse“ ist ein Zeitfresser. „Meine Bildschirmzeit werde ich mir diese Woche besser nicht anschauen, das war schon ein intensiver Einstieg diese Woche", sagt Digital-Staatsministerin Dorothee Bär.

Das Sucht-Potenzial ist hoch und je aktiver man ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, viele Follower zu gewinnen. Doch das kostet Zeit, die außerhalb der Pandemie nicht alle haben.

"Zeitfresser", nennt Dorothee Bär (CSU) die neue App - und nutzt sie selbst fleißig.
"Zeitfresser", nennt Dorothee Bär (CSU) die neue App - und nutzt sie selbst fleißig.
© imago

„Zu unserem Beruf gehört es, neue Entwicklungen zu beobachten“, sagt Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Von den Diskussionen auf „Clubhouse“ ist sie begeistert: „In Talkshows werden wir immer eingeladen, um zu polarisieren und das andere Lager möglichst hart anzugehen.“ Bei „Clubhouse“ sei dies anders, viel konstruktiver, nahbarer und floskelfreier. Bis nachts um halb zwei habe sie mit Amthor und Kühnert diskutiert – ganz zivilisiert, wie alle Seiten überrascht festgestellt hätten. „Vielleicht entsteht hier eine andere politische Debattenkultur“, sagt Domscheit-Berg. Einen großen Unterschied zu anderen Plattformen nimmt sie schon jetzt sehr positiv wahr. Bislange gebe keine Beleidigungen, keine Trolle, keine persönlichen Angriffe. „Die Stimme scheint einen wieder zum Menschen zu machen.“

Was ist mit dem Datenschutz?

Kaum war „Clubhouse“ gelauncht, schon gab es große Kritik an der App. Die Gespräche werden vom Unternehmen mitgeschnitten, um etwaige problematische Äußerungen festzuhalten und zu ahnden. Es wurde kein Beauftragter für Datenschutz benannt und rein kommt man aktuell nur mit einem Apple-Produkt. Man solle der App eine Chance geben, findet Dorothee Bär.

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„Ich fände es falsch, jede digitale Innovation gleich pauschal mit der Datenschutz-Keule zu zerschlagen und ihr keine Chance zu geben“, sagte die dem Tagesspiegel. Auch unter Juristen herrscht noch keine Einigkeit darüber, wie die Datenschutzkonformität der App zu bewerten sei. „Es ist wichtig, hier im Gespräch zu bleiben und das weiter zu beobachten, dafür haben wir auch die Datenschutzbehörden.“ Bedenken hat aber auch Bär, sie hat sich die App vorsichtshalber auf ein altes Dritthandy geladen. „Mir scheint, dass bei einer neuen App Datenschutz noch kritischer diskutiert wird, als wenn bereits etablierte Plattformen über die Hintertür ihre Datenschutzregeln ändern.“

Die netzpolitische Sprecherin der Linken, Anke Domscheit-Berg, fordert Nachbesserungen beim Datenschutz.
Die netzpolitische Sprecherin der Linken, Anke Domscheit-Berg, fordert Nachbesserungen beim Datenschutz.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Anke Domscheit-Berg sieht in den aktuellen Nutzungsbedingungen einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Jeder Nutzer, der dort teils beruflich unterwegs sei - zum Beispiel Politiker und Journalisten - und zum Einladen anderer Personen den Zugriff auf sein gesamtes Kontaktverzeichnis gewähre, verstoße gegen die DSGVO. Domscheit-Berg will deshalb niemanden einladen. „Auch ein Start-up muss eigentlich von Tag 1 alle Gesetze einhalten“, sagt sie und hofft auf eine schnelle Änderung. „Wenn es so bleiben sollte wie es jetzt ist, werde ich hier nicht auf Dauer bleiben.“

Welche Rolle kann „Clubhouse“ im Wahlkampf einnehmen?

In den Parteizentralen beobachtet man den Hype um die neue App im Superwahljahr genau. Das Potenzial von „Clubhouse“ – gerade in der Pandemie – ist enorm. Schon jetzt gibt es Gesprächsrunden mit Spitzenpolitikern, bei denen sich mehrere tausend Teilnehmer einwählen. „Jede Plattform, auf der man mit Menschen ins Gespräch kommt, hat ihr Potenzial für uns“, sagt Carline Mohr. Sie leitet das Social Media Team der SPD im Willy-Brandt-Haus und seit einigen Tagen bekommt sie immer wieder Anrufe von Abgeordnetenbüros und aus Ministerien, die sie um ihre Einschätzung bitten. Sie empfiehlt, es einfach mal auszuprobieren.

„Wir entwerfen da jetzt nichts am Reißbrett“, sagt Mohr. Tatsächlich sind mit Generalsekretär Lars Klingbeil, Parteichefin Saskia Esken, Arbeitsminister Hubertus Heil und den Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer und Manuela Schwesig bereits etliche prominente Sozialdemokraten aktiv. „Es ist schön, dass die SPD innovativ vorangeht“, sagt Mohr. Die App sei durch die Nähe eine neue Form des Dialogs für Politiker, berge aber auch Risiken. Denn anders als auf Instagram, Facebook und Co sprechen Politiker ungefiltert und ohne Beratung. „Der Kontrollverlust, die Live-Situtation machen bestimmt die ein oder anderen KommunikationsberaterInnen nervös“, sagt Mohr.

Dorothee Bär sieht ebenfalls Potenzial im Wahljahr: „Infostände und Haustürwahlkampf werden dieses Jahr schwer möglich sein. `Clubhouse´ bietet der Politik eine Chance, mit Menschen zusammenzukommen und spontane ungezwungene Debatten von überall aus und jederzeit zu führen.“ Weiter sagt sie: "Daher sehe ich auch in der weiteren Öffnung der Plattform eine Chance."

Das sieht auch Marie Agnes Strack-Zimmermann so, die App sei ein Kind der Pandemie. Sie würde Räume schaffen, um aus der Vereinsamung herauszukommen. Wenn sich im Sommer das Land wieder öffne, rechnet sie nicht damit, dass Menschen noch massenhaft vor dem Handy hängen werden. „Die App könnte ihre jetzige Wirkung verlieren, wenn der Lockdown beendet ist.“

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