Weinstein muss 23 Jahre in Haft: Das Schweigekartell muss gebrochen werden
Die MeToo-Bewegung hat den Opfern von Missbrauch Mut gegeben. Weinsteins Verurteilung lässt hoffen, dass es so bleibt. Ein Kommentar.
Nun hat er 23 Jahre bekommen. An diesem Mittwoch wurde in New York das Strafmaß für den ehemaligen Filmmogul Harvey Weinstein verkündet. Es fiel hoch aus, die Mindeststrafe hätte fünf Jahre betragen, die Höchststrafe 29. Der Staatsanwaltschaft bedankte sich bei dem Richter James Burke für die "Warnung an alle Sexualstraftäter und gewalttätigen Partner in allen Bereichen der Gesellschaft".
Dabei war bereits der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung und "minderschwerer" Vergewaltigung ein Erfolg. Denn das Verdikt "Schuldig" der Geschworenen in immerhin zwei von fünf Anklagepunkten bedeutete unmissverständlich, dass das Recht nicht aufseiten des Stärkeren ist. Das viele Geld, die Top-Anwälte samt Star-Verteidigerin Donna Rotunno, all die frühere Macht des heute 67-Jährigen fielen nicht stärker ins Gewicht als die Aussagen seiner Opfer. Und das in Amerika, einem Land, in dem man für Geld besonders viel kaufen kann.
Gerechtigkeit ist möglich. Es ist ein harter Kampf, hart für die Frauen, die ihre entwürdigenden Erlebnisse en detail schildern müssen. Und ein oft vergeblicher Kampf: Weniger als ein Prozent der in den USA gemeldeten sexuellen Übergriffe zieht eine Verurteilung nach sich. In Deutschland sind es bei Vergewaltigung etwa acht Prozent.
Das Gerichtsurteil ist das eine, das öffentliche Urteil das andere. Wenn beides zusammenfällt, stellt sich Genugtuung ein. Ein schönes Gefühl, das Gefahren birgt. Der Sturz der Mächtigen wird gerne mit Jubel quittiert. Er übertönt jedoch, was Gewalt und Übergriffe so oft begünstigt: das Schweigekartell der Umgebung; der Mitarbeiter und Kolleginnen, auch der Fans, die ihr Idol anhimmeln. Machtmissbrauch ist Teamarbeit. Was die Täter kein bisschen entlastet.
Die Debatte muss weitergehen
Es war die MeToo-Bewegung, die das Schweigen gebrochen hat. Weinsteins Verurteilung und das hohe Strafmaß lassen hoffen, dass es so bleibt. Dass bei betroffenen Frauen und Männern die Verletztheit und Scham dem Mut weichen, ihre Stimme zu erheben. Dass ihnen zugehört wird. Dass sie auf Gerechtigkeit hoffen können, weil sich die Justiz mit den mutmaßlichen Verbrechen befasst - und nicht nur die Medien und die öffentliche Meinung.
Sollen Woody Allens Memoiren veröffentlicht werden? Warum Nicht?!
Der Öffentlichkeit bleibt ja genug für die Debatte. Sollen Woody Allens Memoiren publiziert werden? Warum nicht. Im komplizierten Fall der Missbrauchsvorwürfe von Dylan Farrow gegen ihren Adoptivvater steht Aussage gegen Aussage, eine Lektüre der Autobiografie hilft bei der Meinungsbildung.
Soll Roman Polanski mit Césars geehrt werden? Warum nicht, wenn sein Film dafür steht und er sich nicht in der Selbstverteidigung eines Regisseurs erschöpft, der 1977 eine 13-Jährige missbraucht hat. Auch Proteste, Eklats oder Boykottaufrufe sind unerlässlich für die Meinungsfindung – solange der Respekt vor den Opfern bei all der Aufregung gewahrt wird.
Höchste Zeit für mehr Actionheldinnen und mehr Oscars für Frauen
Seit Bekanntwerden des Weinstein- Skandals 2017 ist viel von Sensibilisierung die Rede. Genderdebatten und Quotenforderungen werden nicht länger einer radikalfeministischen Minderheit zugeschrieben, sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Langsam sollten der Sensibilisierung allerdings Taten folgen. Zum Beispiel im Kino: mehr Actionheldinnen, andere Rollenbilder, mehr Oscars, Bären und Produktionsgelder für Frauen – es ist höchste Zeit.
Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch wird es immer geben. Aber die Vokabel Kavaliersdelikt hat sich erledigt, es handelt sich um Verbrechen, punktum. Auch das zeigt der Ausgang des New Yorker Prozesses.
Und dass es keinen Bonus gibt für tatsächliche oder vermeintliche Genies. Bei seiner Einweisung ins Gefängnis erhält Harvey Weinstein übrigens auch eine Broschüre zur Missbrauchsprävention im Gefängnis. Wie alle anderen.