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Einer der Attentäter vom 11. September stammte aus Deutschland.
© epd

Anschläge vom 11.September: "Das Schlimmste, was ich erlebt habe"

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der Kampf gegen den internationalen Terrorismus für viele Staaten Priorität. Im Interview spricht der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Klaus-Dieter Fritsche über Al Qaida heute und radikalisierte Einzeltäter.

Herr Fritsche, wie haben Sie den 11. September 2001 erlebt?

Ich war damals Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und bei einer Besprechung in meinem Büro in Köln. Der Lagedienst rief an, ich solle den Fernseher anschalten, weil ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen war. Ich habe als erstes an einen Pilotenfehler gedacht oder dass die Flugsicherung versagt hat. Dann sahen wir, wie eine Maschine in den zweiten Turm flog. Da war mir klar: das ist ein Terrorangriff. Ich war geschockt. Der 11. September ist das Schlimmste, was ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebt habe.

Was haben Sie unternommen?

Wir haben versucht, möglichst schnell Informationen von den Amerikanern zu bekommen. Die kamen auch bald – und es zeigte sich, dass einige Attentäter in Deutschland gelebt hatten. Es war dann Aufgabe des Verfassungsschutzes, alles Wissen zusammenzutragen, das wir über die Hamburger Zelle um Mohammed Atta hatten. In der Folge fand der Verfassungsschutz heraus, dass Atta und die Komplizen der Zelle sich auch in Deutschland radikalisiert hatten, aber der Entschluss zum Angriff auf die USA in Afghanistan getroffen worden war, von der Al-Qaida-Führung unter Osama bin Laden.

Hatte es der Verfassungsschutz versäumt, die Hamburger Zelle zu beobachten?

Definitiv nicht. Die Gruppe war bis zum Anschlag ja noch nicht als Zelle identifiziert. Das Hamburger Landesamt hatte kaum mehr als einen Vornamen aus der Wohnung in der Marienstraße, wo Atta und weitere Mitglieder der Zelle lebten. Vor dem 11. September war es dem Verfassungsschutz unmöglich, die wenigen Fäden zusammenzuknüpfen, um auf eine radikalisierte islamistische Gruppierung zu kommen. Das sind leider die Risiken, mit denen die Sicherheitsbehörden leben müssen: erst wenn gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorliegen, kann man Personen beobachten und Strukturen aufdecken.

Was unterscheidet die Terrorgefahr des Jahres 2001 von der, die heute Deutschland belastet? 

Die Bundesrepublik ist heute direkt betroffen. Im Jahr 2001 war Deutschland eher ein Ruhe- und Durchgangsraum für den islamistischen Terrorismus. Heute sind wir im Visier von Al Qaida und den anderen militanten Gruppierungen. Der Grund ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und die Übernahme von Verantwortung im Kampf gegen den islamistischen Terror weltweit. Und es gab 2001 noch keine radikalisierten Einzeltäter wie den jungen Kosovaren Arid U., der im März am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten erschossen hat und damit leider den ersten islamistischen Anschlag in Deutschland ausgeführt hat.

Wäre Deutschland sicherer, zöge die Bundeswehr aus Afghanistan ab?

Nein. Für Al Qaida gehört Deutschland zu den „Kreuzfahrerstaaten“, die  Werte einfordern wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese angeblich unislamische Lebensweise ist ja das eigentliche Angriffsziel der Dschihadisten, weltweit. 

Welche Gefahr von dem Aufstand in Libyen ausgeht, lesen Sie auf Seite 2.

Wen muss die Bundesrepublik am meisten fürchten: die so genannte Kern-Al-Qaida, die mit den Taliban und weiteren Gruppen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet steckt, oder die Al-Qaida-Filialen im Irak, in Afrika und im Jemen? 

Ich würde keine Gruppierung unterschätzen. Kern-Al-Qaida plant Anschläge in Deutschland, das sehen wir aktuell bei der im April aufgeflogenen Düsseldorfer Zelle, die mutmaßlich eine Splitterbombe zünden wollte. Die Al-Qaida-Filiale im Jemen hat im Oktober vergangenen Jahres Frachtflüge missbraucht für den Transport von Paketbomben. Eine wurde auf dem Flughafen Köln/Bonn umgeladen und hätte auch hier detonieren können. Und die nordafrikanische Al Qaida hat im Januar 2009 eine deutsche Rentnerin entführt, die mit weiteren Touristen im Grenzgebiet von Mali und Niger unterwegs war. Diese „Al Qaida im islamischen Maghreb“ steht  zudem in Verbindung mit der nigerianischen Terrortruppe Boko Haram, die Ende August einen Bombenanschlag auf das UN-Gebäude in Nigerias Hauptstadt Abuja verübte und damit erstmals ein internationales Ziel attackiert hat. Außerdem wird die somalische Shabbab-Miliz, die mit Al Qaida verbündet ist, zunehmend gefährlich. In den Lagern der Miliz werden Terroristen ausgebildet.

Demnach geht von Al Qaida eine größere Gefahr aus als von „homegrown terrorists“ wie Arid U., die sich in Deutschland vor allem über islamistische Hetze im Internet radikalisieren?

Beide Gefahren dürfen wir nicht unterschätzen. Eine der Organisationen von Al Qaida kann Attentäter schicken oder die in Deutschland entstanden Netzwerke von Dschihadisten planen etwas – oder ein Einzeltäter wie Arid U. schlägt zu. Eine spezielle Gefahr stellen auch die Dschihadisten dar, die aus Deutschland überwiegend ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet gereist sind, um sich dort in einem Terroristenlager zum Kämpfer ausbilden zu lassen. Unsere Sicherheitsbehörden kennen mehr als 250 Personen, die seit den 1990er Jahren in solchen Ausbildungslagern gewesen sind beziehungsweise eine solche Ausbildung beabsichtigten. Ein Teil ist immer noch da, weit mehr als 100 Dschihadisten sind jedoch nach Deutschland zurückgekehrt. Diese Leute sind besonders gefährlich, weil sie oft Kampferfahrung haben und ihnen in den Trainingslagern beigebracht wurde, mit Sprengstoff zu hantieren. Die Sauerlandgruppe ist da ein besonders brisantes Beispiel, weil sie trotz der ihr bekannten Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden weiter einen verheerenden Anschlag vorbereitete. Aber auch die Dschihadisten, die in Wasiristan bleiben, stellen eine Bedrohung für deutsche Einrichtungen dar, vor allem für die Bundeswehr und die anderen westlichen Truppen in Afghanistan. Das zeigt schon der Fall des aus Bayern gekommenen Türken Cüneyt Ciftci, der im März 2008 mit einem Transporter voller Sprengstoff einen Selbstmordanschlag auf einen US-Stützpunkt in Afghanistan verübt hat.

Wie wirkt sich der Tod Osama bin Ladens auf die Sicherheitslage der Bundesrepublik aus?

Auch nach seinem Tod hat die Gefährdung Deutschlands nicht nachgelassen. Vielmehr steht nun Kern-Al-Qaida unter dem Druck, mit Anschlägen beweisen zu müssen, dass sie weiter handlungsfähig ist. Das ist ihr auch mit einigen Angriffen in Pakistan gelungen. Es ist zu befürchten, dass Anschläge in anderen Ländern folgen.

Profitiert Al Qaida vom Chaos in Libyen und deckt sich dort mit Waffen ein?

Die Situation in Libyen ist schwer zu überblicken. Es ist unsere Pflicht, die Übergangsregierung zu unterstützen, damit das Land stabilisiert wird. Wenn durch den Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes Waffen in die Hände von „Al Qaida im islamischen Maghreb“ geraten, wird für Nordafrika die Gefahr von Anschlägen und Entführungen noch zunehmen.

Sie haben vor fünf Jahren, damals als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, in einem Tagesspiegel-Interview gesagt, nach dem nur knapp gescheiterten Anschlag der Kofferbomber auf Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen müssten die Behörden die Anti-Terror-Maßnahmen der neuen Lage anpassen. Fünf Jahre später und im zehnten Jahr nach 9/11 konnte in Deutschland der Islamist Arid U. zwei US-Soldaten töten. Reichen die Anti-Terror-Maßnahmen immer noch nicht aus?

Die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschnürten Sicherheitspakete waren und sind bis heute notwendige Maßnahmen, um unseren Sicherheitsbehörden die nötigen Instrumente im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an die Hand zu geben. Sie sind eine Erfolgsgeschichte. Das betrifft vor allem die intensivierte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, zum Beispiel im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum in Berlin oder im Gemeinsamen Internetzentrum. Verstärkt werden müsste jedoch die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Es reicht nicht, dass wir bilateral von einem Staat Hinweise auf verdächtige Vorgänge und Personen erhalten. Bei Reisebewegungen von Terrorverdächtigen oder bei Auftritten solcher Leute mit Tarnnamen im Internet bekommen wir hier und da von ausländischen Partnern Informationssplitter, das ist zu wenig. Der Austausch von Informationen muss multilateral gehandhabt werden. Es sollte möglich sein, dass sich die deutschen Behörden mit mehreren Partnern zusammensetzen, um ein Gesamtbild für Europa zu erhalten. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin könnte da ein Vorbild für intensive Kooperation auf internationaler Ebene sein. Allerdings ist eine Tat wie die des Einzelgängers  Arid U., dessen Radikalisierung kaum auffiel, nur schwer zu verhindern.

Wo sehen sieht der Staatssekretär Lücken in der deutschen Sicherheitsarchitektur? Lesen Sie die Antwort auf der nächsten Seite.

Zunächst mal bin ich froh, dass sich das Bundeskabinett  auf die Verlängerung der Antiterrorgesetze um vier Jahre verständigt hat. Was nach wie vor fehlt, ist die Einführung von Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsdaten, in der Öffentlichkeit bekannt als Vorratsdatenspeicherung. Da gibt es in Deutschland leider eine relevante Schutzlücke, gerade auch beim Medium Internet, in dem die islamistischen Terrornetzwerke intensiv kommunizieren. IP-Adressen spielen in der Bekämpfung des Terrorismus und schwerer Kriminalität überhaupt eine zunehmend wichtige Rolle. Wir bekommen von ausländischen Partnern häufig IP-Adressen, können aber die dahinter steckenden Terrorverdächtigen nicht identifizieren, weil die Provider die Kundendaten nicht speichern müssen und das dann auch nicht tun. Das kann und darf nicht so bleiben. Es ist auch unverständlich, dass die Sicherheitsbehörden in begrenzten Fällen Briefe öffnen und Telefone abhören dürfen, aber beim vergleichbaren Medium Internet außen vor bleiben.

Eine weitere Schutzlücke, diesmal an Flughäfen, kann durch den Flopp beim Testlauf der Körperscanner nicht geschlossen werden.

Die Körperscanner sind kein Flopp. Auch wenn die Zahl der unnötigen Alarme zu hoch war, bleibt das die Technologie der Zukunft.

Zur Terrorgeschichte seit 9/11 gehört auch das Massaker, das Anders Breivik in Norwegen angerichtet hat. Sein Doppelanschlag ähnelt dem monströsen Terror von Al Qaida. Sind solche Angriffe von Extremisten jenseits des militanten Islamismus auch in Deutschland zu erwarten? 

Ausschließen kann man natürlich nichts, aber ich halte die Wahrscheinlichkeit für gering. Der Fall Breivik ist ein ganz spezielles Phänomen. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder haben nach den Anschlägen in Norwegen geprüft, ob es Hinweise auf vergleichbare Taten geben könnte. Gefunden wurde nichts.

Doch der Alpdruck des islamistischen Terrors bleibt. Wird die Bundesrepublik in absehbar Zeit davon befreit sein?

Zumindest kurzfristig ist kein Ende in Sicht. Ob sich das mittel- oder langfristig ändert, hängt auch von der Entwicklung in Nordafrika ab.

Das Interview führte Frank Jansen

Klaus-Dieter Fritsche (58) ist seit 2009 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Der Sicherheitsexperte gehört der CSU an und war von 2005 bis 2009 Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt sowie von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Frank Jansen

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