Amerikas Wahl-Drama: Das Schicksal inszeniert einen Nervenkrieg
Die Spaltung ist betoniert: Dass so viele Amerikaner für Trump stimmten, ist für Europäer kaum zu verstehen, hat aber etwas Uramerikanisches. Ein Kommentar.
Es war eine Schicksalswahl. Doch das Schicksal will noch nicht abtreten und inszeniert einen Nervenkrieg. Zu viele Stimmen sind noch nicht ausgezählt, zu viele Fragen sind offen. Etwa wie viel Zerstörungskraft in einer juristischen Offensive Trumps stecken könnte, der davon überzeugt ist, dass ihm der Sieg per definitionem zusteht.
Wieder mal unterschätzten Demoskopen, Medien und die politischen Gegner den populistischen Präsidenten, wieder mal unterschätzten sie die Faszination, die er auf Millionen Amerikaner ausübt. Und wieder mal gab zu viel Hoffnung den Takt vor. Das Ergebnis ist knapper, als die Prognosen vorausgesagt hatten. Amerika ist gespalten wie kaum eine andere Nation in der demokratischen Welt.
Kein Präsident – und auch kein Herausforderer – dürfte in den vergangenen Jahrzehnten in absoluten Zahlen so viele Stimmen bekommen haben. Die Wahlbeteiligung war enorm. So gesehen war diese Wahl – anders, als es Trump am Abend herausschrie – die demokratischste, die das Land seit Langem gesehen hat. Sie hat indes auch die Spaltung zementiert, zwischen den urban geprägten Küsten und dem Landesinneren. An Kompromisse denkt gerade niemand.
Die vielen Stimmen für Trump – nach diesen vier Jahren – sind hierzulande nur schwer nachvollziehbar. Wir kennen allerdings nicht das Gefühl, das in einem echten Einwandererland herrscht, in das die meisten geflüchtet sind, um mit der eigenen Hände Kraft ihre Zukunft zu bauen. Wir kennen nicht die Weiten des mittleren Westens, wo der Rinderzüchter von seiner Ranch über leeres Land blickt. Wir kennen nicht diese ausgeprägte Sehnsucht nach Staatsferne.
Zu viel Freiheit hat für die meisten Westeuropäer etwas Bedrohliches, für viele Amerikaner hat sie eine unfassbare Sexyness. Zum hohen Preis fehlender Absicherung.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Drei entscheidende Lehren aus der Wahl: Es sind nicht nur die alten Weißen, die Trump zujubeln. Die exilkubanisch geprägten Hispanics von Florida sind Trump in jenem Maß zugelaufen, wie sich die weißen Rentner im Sunshine State von ihm abgewandt haben. Und auch unter den Schwarzen haben mehr für Trump gestimmt als gedacht. Gerade unter den Aufsteigern finden sich die glühendsten Konservativen. Zudem liegt beiden Gruppen der Machismo nicht fern, wie sich etwa tagtäglich an der HipHop-Kultur ablesen lässt. Die interessante Konsequenz: Eine multikulturellere Nation garantiert den Demokraten nicht automatisch mehr Wählerstimmen. Ein Schlag für die verbreitete These, dass der demographische Wandel den Trumpismus ohnehin erledigen werde.
Der amerikanische Traum von Selbstverwirklichung ist hochaktuell. Die Ideen der Demokraten empfinden Trumps Wähler als beängstigende Attacke auf ihren American Dream von Haus und Pick-up-Truck. Eine Sorge, die weitaus bedrohlicher ist als die zweite Amtszeit eines Rüpels und erwiesenen Lügners, dessen Charakter viele in keinster Weise ihren Kindern zum Vorbild empfehlen wollen.
[Die Wahl bleibt spannend, wegen der vielen Briefwahlstimmen auch in den Tagen nach dem Wahltag. Bis zum 8.11. erscheint Twenty/Twenty, unser Newsletter zur US-Wahl, deshalb täglich. Sie können sich hier kostenlos anmelden.]
Und: Der Umgang mit der Pandemie spaltet die Amerikaner noch stärker als andere Nationen. Während den Republikanern primär der Erhalt ihrer ökonomische Lebensader am Herzen lag, stellten demokratische Wähler die unmittelbare Gesundheit ganz nach vorn. Entsprechend setzten sie ihre Kreuze.
Beide Lager eint immense Angst, etwas zu verlieren. Und die Bereitschaft, mit unfassbarer Härte dagegen zu kämpfen. Für die einen stehen Freiheit und persönlicher Gewinn auf dem Spiel, für die anderen der Traum von einer solidarischen Gesellschaft. Eine Brücke über den Canyon zu bauen, erscheint nach dieser Wahl noch schwieriger als zuvor.