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Flüchtlinge leben in Libyen unter unmenschlichen Bedingungen.
© Hani Amara/Reuters

Vor Merkel-Reise nach Ägypten und Tunesien: Das neue deutsche Interesse an Nordafrika

Die Kanzlerin reist nach Nordafrika. Die Staaten der Region sollen helfen, Migranten von Europa fernzuhalten. Aber wollen sie das auch?

Die Bundesregierung schenkt derzeit kaum einer Region so viel Aufmerksamkeit wie Nordafrika. Am Donnerstag reist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Ägypten, danach besucht sie Tunesien. Dabei war der tunesische Premierminister gerade erst zu Gast in Berlin. Ein vergangene Woche geplanter Besuch in Algerien musste abgesagt werden, weil Gastgeber Abd al Aziz Bouteflika erkrankt ist.

Nordafrika ist derzeit die wichtigste Transitzone für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Vor allem Afrikaner aus Staaten südlich der Sahara oder den Krisenregionen am Horn von Afrika überqueren von den Küsten Nordafrikas aus das Mittelmeer in Richtung Italien, einige wenige auch in Richtung Spanien. Professionelle Schlepperorganisationen haben sich vor allem in Libyen, aber auch in Ägypten eingerichtet.

Merkel möchte mit den Staaten Nordafrikas Partnerschaftsverträge abschließen, ähnlich dem EU-Türkei-Abkommen. Die Nordafrikaner sollen Flüchtlinge von der Überfahrt nach Europa abhalten oder sie möglichst schon an den eigenen Grenzen zurückweisen. Auch von der Rückführung von Flüchtlingen, die in Italien anlanden oder aus dem Mittelmeer gerettet werden, ist die Rede. Dies fordern Unionsvertreter, aber auch einzelne SPD-Politiker wie Fraktionschef Thomas Oppermann. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wirbt dafür, Aufnahmezentren auf nordafrikanischem Boden einzurichten, in denen Flüchtlinge die Einreise in die EU beantragen können. Angesichts der Lage in der Region stellt sich allerdings die Frage der Praxistauglichkeit solcher Vorhaben.

Libyen kann kein Partner sein, Tunesien will keiner sein

Die EU-Staaten haben Anfang Februar bei ihrem Gipfel auf Malta Libyen in den Fokus genommen, denn hier legen die meisten Flüchtlingsboote ab. Doch in dem Land herrscht Bürgerkrieg. Flüchtlinge kann man dorthin auf absehbare Zeit nicht zurückschicken. Wie der Friedensprozess in Libyen vorangebracht werden kann, wird die Kanzlerin sowohl in Ägypten als auch in Tunesien – den direkten Nachbarstaaten des Krisenlandes – erörtern. Sie wird zudem wissen wollen, was ihre Gastgeber selbst zur Überwindung der Flüchtlingskrise beitragen können. Und wie sie verhindern wollen, dass sich auch eigene Landsleute auf den Weg machen. Weder in Ägypten noch in Tunesien hat sich die wirtschaftliche Lage seit dem Arabischen Frühling verbessert. Ägypten hat sich auch politisch nicht positiv entwickelt. Ob das autoritäre Regime von Ex-General Abdel Fattah al Sisi als Partner für Merkels Flüchtlingspolitik taugt, ist mehr als fraglich.

Tunesien wäre ein besserer Kandidat. Das Land hat als einziges der Region glaubhafte demokratische Reformen auf den Weg gebracht. Doch Premier Youssef Chahed machte bei seinem Besuch in Berlin Mitte Februar unmissverständlich klar, dass der kleine Küstenstaat nicht zum Auffanglager für Flüchtlinge werden will, die in die EU wollen. Es müsse eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden, sagte Chahed. Dort und nicht in Tunesien träten die meisten Flüchtlinge schließlich ihre Reise nach Europa an.

Algerien kämpft mit sich selbst, Marokko streitet mit der EU

Auch Algerien und Marokko, ebenfalls an der nordafrikanischen Küste gelegen, dürften wenig Bereitschaft zeigen, Flüchtlinge aus Europa aufzunehmen. Algerien hat derzeit genug eigene Probleme. Staatspräsident Bouteflika erlitt vor vier Jahren einen Schlaganfall. Seither kann er seine Amtsgeschäfte kaum erfüllen. Das Land tritt auf der Stelle, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst – und auch die Angst vor einer handfesten Krise bis hin zu einem neuen Bürgerkrieg, wie ihn das Land in den 90er Jahren durchlebte.

Marokko schließlich galt unter König Mohammed VI. lange als Hoffnungsträger. Menschenrechtsorganisationen beklagen jedoch Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit; Oppositionelle müssen damit rechnen, wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht gestellt zu werden. Das Land hat außerdem selbst viele Flüchtlinge aufgenommen und bemüht sich, sie zu integrieren. Und es streitet mit der EU über die Bedingungen für ein Handelsabkommen. Dass ausgerechnet in dieser Situation hunderte Flüchtlinge den Zaun zur spanischen Exklave Ceuta überwinden konnten, die von Marokko umschlossen wird, ist da möglicherweise kein Zufall. Ein Minister hatte öffentlich gewarnt, es könne einen „neuen Zustrom von Migranten“ geben, sollten die „Schwierigkeiten“ zwischen Marokko und der EU andauern. Gute Voraussetzungen für eine Partnerschaft, wie sie die Kanzlerin anstrebt, sind also auch hier kaum gegeben.

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Ulrike Scheffer

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