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Boris Johnson nach seiner Wohl zum Parteichef der britischen Tories.
© REUTERS/Toby Melville
Update

Boris Johnson ist neuer Tory-Chef: „Das ist ein Wendepunkt in unserer Geschichte“

Brexit-Hardliner Boris Johnson gewinnt die Urwahl gegen Jeremy Hunt. Nun wird er automatisch auch britischer Regierungschef.

Die britischen Tories haben Boris Johnson zu ihrem neuen Parteichef gewählt. Er wird damit Nachfolger der scheidenden britischen Premierministerin Theresa May. Der Ex-Außenminister und sein Konkurrent Jeremy Hunt hatten sich den 160.000 Parteimitgliedern in einer Urwahl zur Abstimmung gestellt. Johnson gewann haushoch, er bekam 92.153 Stimmen, das entspricht einer Zustimmung von 66 Prozent. Für seinen Konkurrenten Hunt stimmten nur 46.656 Parteimitglieder.

Johnson selbst bezeichnete seine Wahl als historischen Moment. „Das ist ein Wendepunk in unserer Geschichte“, sagte er in seiner Ansprache an die Parteimitglieder. Er wolle nun dem gerecht werden, was die Menschen seiner Meinung nach von ihm erwarten: „Liefert den Brexit, eint das Land und besiegt Jeremy Corbyn!“

Zugleich räumte er ein, dass seine Wahl zum Tory- und Regierungschef nicht überall willkommen geheißen werde. Er sei aber überzeugt, die schwierige politische Lage meistern zu können. „Wir schaffen das“, sagte er.

Oppositionschef Jeremy Corbyn forderte am Dienstag eine Neuwahl. Johnson sei von weniger als 100.000 Parteimitgliedern der Konservativen unterstützt worden und habe nicht das Land hinter sich gebracht, schrieb der Labour-Politiker am Dienstag auf Twitter. Ein EU-Austritt ohne Abkommen, den Johnson nicht ausschließt, bringe Jobverluste und steigende Preise. „Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird“, forderte er.

Johnson hatte zuvor betont, er wolle Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union herausführen – notfalls auch ohne Abkommen, sollte Brüssel keine Zugeständnisse machen.

Nicht nur deswegen ist der Ex-Außenminister und frühere Londoner Bürgermeister sehr umstritten. Er nimmt es mit der Wahrheit oft nicht so genau. Als Außenminister trat er in viele Fettnäpfchen auf internationalem Parkett. Viele Partei-Mitglieder trauen dem exzentrischen Politiker aber zu, enttäuschte Brexit-Wähler wieder ins Boot zu holen.

Der neue Premierminister dürfte es wie May sehr schwer haben: Die Regierung verfügt nur über eine Mehrheit von drei Stimmen. Der Premier-Wechsel kommt zudem mitten im Konflikt mit dem Iran, der einen britischen Tanker in der Straße von Hormus festsetzte. Der Sender BBC sprach schon vom ersten „diplomatischen Test“ für Johnson.

Weitere Minister-Rücktritte erwartet

Der Brexit-Hardliner wird wahrscheinlich viele Regierungsposten neu besetzen. Zeitungen spekulierten etwa über ein Comeback der früheren Brexit-Minister Dominic Raab und David Davis. Kritiker halten Davis für inkompetent und faul. Am vergangenen Wochenende hatten bereits Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke die Aufgabe ihrer Ämter im Falle eines Wahlsiegs Johnsons angekündigt. Es wird mit Rücktritten weiterer EU-freundlicher Minister gerechnet.

Johnson will das Abkommen über den EU-Austritt seines Landes mit Brüssel neu verhandeln. May war mit dem Deal im Parlament drei Mal gescheitert. Die Europäische Union lehnt aber jegliche Änderung an dem Abkommen ab. Johnson will daher notfalls am 31. Oktober ohne Austrittsvertrag ausscheiden. Das dürfte erhebliche negative Folgen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche haben.

Juncker will „bestmögliche“ Zusammenarbeit

Größter Streitpunkt ist der Backstop - eine im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner befürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die Staatengemeinschaft fesseln und eine eigenständige Handelspolitik Großbritanniens unterbinden. Für Johnson ist das Problem „fundamental“ - er lehnt den Backstop rundweg ab.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte seine Bereitschaft, mit dem künftigen britischen Premierminister Boris Johnson „auf bestmögliche Weise“ zusammenzuarbeiten. Juncker gratuliere Johnson zur Wahl zum neuen Chef der britischen Konservativen, sagte eine Sprechern am Dienstag in Brüssel. Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier erklärte, er freue sich darauf, „konstruktiv“ mit Johnson zusammenzuarbeiten, „um die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern und einen geordneten Brexit zu erreichen“.

Am Mittwoch folgt in London die Amtsübergabe. May wird sich mittags ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten stellen. Anschließend wird sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede halten und dann bei Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast ihren Rücktritt einreichen. Die 93-jährige Queen wird direkt danach den neuen Premierminister ernennen und ihn mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet.

Zweites Referendum statt No Deal?

Ex-Premierminister Tony Blair äußerte sich skeptisch über Johnsons Pläne. Einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen hält er für ausgeschlossen. „Ohne die Billigung entweder des Parlaments oder der Wähler wird Boris Johnson den No Deal nicht wagen“, sagte Ex-Premier Blair der „Welt“ und anderen europäischen Medien. Im Parlament sei eine Mehrheit dagegen.

Johnson könne entweder eine Neuwahl auslösen oder ein zweites Referendum ansetzen. „Ich glaube, dass Letzteres wahrscheinlicher ist“, sagte Blair.

Er wandte aber auch ein: „Wenn er ein zweites Referendum zuerst macht, dann ist das Thema Brexit vom Tisch.“ Dann könne Johnson in eine Neuwahl gegen den Labour-Chef Jeremy Corbyn gehen, „die Corbyn zerstören wird und auch die Brexit Party von Nigel Farage“.

Glückwünsche zum neuen Amt bekam Johnson von US-Präsident Donald Trump. „Er wird großartig sein“, erklärte Trump am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter.

May sagt „volle Unterstützung“ zu

Der US-Präsident hatte schon mehrfach seine Sympathien für Johnson und dessen populistischen Politikstil publik gemacht und zugleich dessen Vorgängerin Theresa May scharf kritisiert. Die öffentlichen Einmischungen Trumps in die britischen Regierungsgeschäfte sorgten in Großbritannien vielfach für Verstimmung.

Die britische Premierministerin Theresa May gratulierte ihrem Nachfolger Boris Johnson zur Wahl. „Wir müssen jetzt zusammenarbeiten, um einen Brexit zu vollziehen, der für das gesamte Vereinigte Königreich funktioniert und Jeremy Corbyn von der Regierung fernhält“, schrieb sie unmittelbar nach Johnsons Wahl am Dienstag auf Twitter. „Sie haben meine volle Unterstützung von den Hinterbänken“, fügte sie hinzu. (AFP, dpa)

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