Barack Obamas Rede zum Fall Trayvon Martin: "Das hätte ich vor 35 Jahren sein können"
Die USA kommen nach dem umstrittenen Freispruch im Fall des erschossenen schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin nicht zur Ruhe. Nun hat sich US-Präsident Barack Obama in einer langen Rede an die Nation gewandt - und war dabei so persönlich wie selten. Das Land ist bewegt. Aber werden den Worten auch Taten folgen? Das steht auf einem anderen Blatt.
Es war eine Rede, die nur Barack Obama halten konnte. Ein schwarzer Präsident spricht über die „rassischen Ungleichgewichte“ in den USA, die Vorurteile, denen viele Afroamerikaner heute immer noch ausgesetzt sind - Erfahrungen, die er einst selbst in seinem Leben machte. „Ich“ sagt er immer wieder, „wir“ und „mich“, „das ist auch mir passiert“. Und schließlich: „Trayvon Martin, das hätte ich vor 35 Jahren sein können.“ Langjährige journalistische Beobachter in Washington sagen, dass sie selten einen Präsidenten erlebt haben, der derart persönlich geworden ist. Und selten einen, der nicht nur rhetorisch brilliert, wenn es um kämpferische Wahlkampfreden geht, sondern auch beim nachdenklichen Reflektieren.
Es war nicht das erste Mal, dass sich Obama zum gewaltsamen Tod des schwarzen Teenagers Trayvon Martin in Florida äußerte. „Trayvon - das könnte mein Sohn sein“, sagte er im Frühjahr vergangenen Jahres, als der Fall erstmals hohe Wellen schlug. Jetzt, am Freitag, wird er selbst zu Trayvon - ein klarer Hinweis darauf, wie sehr ihn der Fall im Laufe der Zeit immer stärker persönlich aufgewühlt hat.
Und auch ein Hinweis darauf, dass Obama es am Vorabend landesweit geplanter Demonstrationen gegen den Freispruch des Todesschützen an der Zeit sah, selbst in die heftige Kontroverse einzugreifen. Ziel war es offensichtlich, sie in eine andere Richtung zu lenken, von Wut und Zorn hin zu einem Dialog darüber, was - bei allen Fortschritten im Kampf gegen die Diskriminierung von Minderheiten - noch immer faul ist in den USA.
Tatsächlich hat sich Obama im Amt bisher sichtlich um Zurückhaltung bemüht, wenn es um afroamerikanische Belange ging. Zwar hat er immer wieder auf gleiche Rechte für Minderheiten gedrungen - und sie manchmal auch erreicht.
Jüngstes Beispiel: sein offenes Plädoyer für eine Stärkung der Homo-Ehe, am Ende durch das oberste US-Gericht verwirklicht. Aber wenn es um die Schwarzen geht, agierte er immer eher vorsichtig, „stets bemüht, als Präsident aller rüberzukommen“, wie es ein Kommentator des Senders CNN etwa am Samstag formulierte.
Obama sprach frei, ohne Teleprompter, das trug dazu bei, dass er als absolut ehrlich empfunden wurde. Oder wie es die „Washington Post“ formulierte: „Der Präsident stand einfach auf ... und sprach.“ Zugleich war er sichtlich darauf bedacht, den tragischen Tod des Jungen nicht zu politisieren.
Und das erklärt vielleicht auch, weshalb Obama in seiner Rede nicht einen einzigen konkreten Vorschlag machte, wie die dem Vorfall zugrundeliegenden Probleme beseitigt werden könnten. Ethnisch oder kulturell begründete Vorurteile lassen sich natürlich nur bedingt durch Gesetze bekämpfen. Aber bei Trayvon Martins Tod spielte auch Amerikas Waffenbesessenheit eine entscheidende Rolle. Ein Möchtegern-Polizist erschießt einen unbewaffneten Teenager, weil es in Florida - und nicht nur hier - ein Gesetz gibt, das zu Selbstjustiz ermutigt.
Obama sprach die Regelung „Stand Your Ground“ (etwa: „Steh Deinen Mann“) zwar an, aber nur vorsichtig: „Mir scheint, dass wir solche Gesetze untersuchen sollten.“ Weiter wagte er sich nicht vor.
So gelang es dem Präsidenten zwar wahrscheinlich, die Amerikaner zumindest kurzfristig zum Nachdenken zu bringen. Vor allem den Schwarzen sagte er, worauf sie gewartet hatten: dass sie Recht haben, wenn sie beklagen, dass „Rassismus in den USA nicht ausgelöscht ist“, wie es Obama selbst formulierte. Aber in jenen Passagen, in denen der Demokrat nicht als Schwarzer, sondern als Präsident der Vereinigten Staaten sprach, blieb er eher vage. Und daraus, so deutet es etwa die „Washington Post“ an, spricht auch eine gehörige Portion Resignation, Frust. Der Kommentar vergleicht Obamas Rede vom Freitag mit einer Wahlkampfansprache in Philadelphia im Jahr 2008. Damals die Forderung, dass auch das politische Washington durch Gesetze und Investitionen zur Überwindung der Diskriminierung beitragen müsse. Daraus habe die Überzeugung gesprochen, „dass das Land mit der richtigen Führung bereit ist, sich beim Thema Rasse vorwärtszubewegen“. Von diesem Optimismus sei heute nichts mehr zu spüren.
Tatsächlich hat Obama mittlerweile viele Schlachten verloren.
Nicht direkt im Kampf gegen Rassismus, aber etwa im Kampf gegen die laxen Waffengesetze der USA. Schwarze sind laut Statistik überproportional häufig Opfer wie auch Täter. Wird Obamas Rede, der alle großen US-Medien applaudierten, das Land in diesem Punkt vorwärtsbringen? Bei aller Begeisterung und Ergriffenheit zog so mancher Kommentator in Zweifel, dass Obamas Worte weit über dieses Wochenende der Demonstrationen hinaus wirken werden. (dpa)