Söders Erlass: Das gottverlassene Kreuz der Bayern
Das Kreuz in Bayern. Seit Freitag hängt es in allen Behörden. Es ist weder Ärgernis noch Anmaßung. Sondern eher Ausdruck einer spirituellen Leere. Ein Kommentar.
In bayerischen Amtsstuben hängt nun das Kreuz. Es hängt dort nicht, weil die Bayern plötzlich besonders fromm geworden wären. Es hängt dort auch nicht, weil es eine Rückbesinnung auf die Lehre des Christentums gegeben hätte. Sondern es hängt dort per Dekret – als Zeichen eines kulturellen Selbstbehauptungswillens.
Tendenziell werden die Bayern und Deutschen ja eher kirchenferner. Das aber scheint einherzugehen mit einer spirituellen Leere, die durch Verwurzelungsbekenntnisse kompensiert werden muss. Verwurzelt im Abendland, in der Heimat, im christlichen Erbe. Ohne die Debatte über Flüchtlinge, Muslime, Integration und Identität wäre es zu dieser kleinen Demonstration wohl nicht gekommen. Wer Flüchtlinge auf den Islam reduziert, hat einen Grund gefunden, sich selbst durch das Christentum zu definieren. Für einen Hammer sieht eben alles wie ein Nagel aus.
Das Kreuz ist das zentrale Symbol des Christentums. Aber welches Christentum ist gemeint? Das von Lichterketten, Flüchtlingscafés und Willkommenskultur? Das von Bibel und Barmherzigkeit, Frieden und Franziskus, Kirchentag und Käßmann? Das weiß keiner. Eine inhaltliche Bestimmung wird vermieden, damit jeder das, was ihm gerade passt, in das Symbol hineinlesen kann. Nur dann erfüllt es seinen Zweck.
Doch diese Unschärfe und dem Diskurs entzogene Vieldeutigkeit bedeutet auch eine Schwäche. Ein Kreuz, das alles umfasst, was im Namen des Christentums auftritt, macht sich angreifbar. Ohne Konkretisierung, ohne Lehre, Botschaft und Verkündigung lädt es dazu ein, mit Bedeutung überfrachtet und mit Sinn unterphilosophiert zu werden. Es wird beliebig.
Es steht auch für das Erstarken eines anti-intellektuellen Fundamentalismus
Das nackt belassene Kreuz steht dann auch für christliche Milizen in Zentralafrika und Nigeria, die mit Macheten bewaffnet Jagd auf Muslime machen und deren Häuser und Moscheen in Brand stecken. Es steht dann auch für rechte Evangelikale, etwa in den USA, die Andersgläubigen – Juden, Mormonen, Muslimen, Hinduisten – eine ewige höllische Verdammnis prophezeien, weil sie unerlöst sind. Es steht dann auch für das Erstarken eines anti-intellektuellen Fundamentalismus in jenen Weltreligionen, in denen die Zahl der Christen wächst, in Afrika, Asien und Lateinamerika.
Es steht dann auch für ein tradiertes endogenes Eheverständnis, wie es in der jüngsten Umfrage des Pew Research Centers zum Ausdruck kam. Demnach sind weit mehr Nicht-Christen als Christen in Deutschland bereit, einen Muslim als Familienmitglied zu akzeptieren.
Man muss nicht an Grausamkeiten in der biblischen Überlieferung erinnern – Brudermord, Sintflut, Zerstörung von Sodom und Gomorrra, zehn Plagen, Ausrottung rivalisierender Völker – oder an Brutalitäten in der Geschichte – Inquisition, Zwangstaufen, Hexenverbrennungen, Konfessionskriege –, um als Christ heute demütig zu sein. Es genügt ein Blick auf die gegenwärtige Praxis des globalen Christentums, auf die Gemeinschaft der Heiligen, das Gebaren von Schwestern und Brüdern im Geiste.
Das Kreuz in bayerischen Amtsstuben ist weder Ärgernis noch Anmaßung, weder Bekenntnis noch Ausdruck von Spiritualität. Würde es als trotzchristliche Manifestation doch wenigstens provozieren! Im Streit um seinen Bedeutungsgehalt könnten Fronten entstehen, die zu Klarheiten führen. Doch so hängt es einfach nur da, einsam und verlassen, gottverlassen.