Zwischen Baum und Leitplanke: Das Dilemma der Grünen zeigt sich im Dannenröder Wald
Auch die Grünen protestieren gegen die Rodung des Dannenröder Waldes, obwohl sie in Hessen regieren. Die SPD wirft ihnen Doppelzüngigkeit vor - auch in anderen Fällen.
Michael Kellner musste am Wochenende einen heiklen Termin absolvieren. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen stattete dem Protestcamp im Dannenröder Wald in Hessen einen Besuch ab – und sitzt seither zwischen allen Stühlen. „Ich war heute im Danni bei der Demo um Solidarität zu zeigen“, teilte Kellner am Sonntag in szenetypischem Jargon auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Es sei „kein einfacher Auftritt“ gewesen, ließ der Grünen-Politiker noch wissen, bevor er die Verantwortung des CSU-geführten Bundesverkehrsministeriums für den Bau der A49 betonte und einen „sofortigen Stopp“ forderte.
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Vor Ort kam die Rede des Besuchers aus Berlin nicht gut an, wie empörte Zuhörer später berichteten. Naturschützer, die den Bau der A49 verhindern wollen, attackieren die Grünen seither auch mit der Behauptung, sie seien „keine ökologische Partei“ (so „Fridays for Future Frankfurt“ ebenfalls auf Twitter). Der Grund: In Hessen regiert die Umweltpartei gemeinsam mit der CDU - und muss das umstrittene Projekt umsetzen.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil lieferte sich mit Kellner auf dem Kurznachrichtendienst einen Schlagabtausch. „Grüne wenn sie Wahlen gewinnen wollen vs. Grüne wenn sie Wahlen gewonnen haben“, schrieb Klingbeil neben Screenshots, die Kellners Tweets und einen Antrag aus dem hessischen Landtag zeigen, in dem die Grünen 2014 mit der CDU eine gesicherte Finanzierung der A49 verlangt hatten. Die Grünen-Spitze sprach sich am Wochenende sogar für den Stopp aller neuen Autobahnen aus.
Am Montag legte Klingbeil nach. „Ich werfe den Grünen Doppelzüngigkeit vor“, sagte er nach den Sitzungen der SPD-Gremien. Es habe „schon etwas Komisches“, wenn die Grünen in Hessen auf den Bau der nun umstrittenen Autobahn drängten und dann gegen sie demonstrierten. Sein Fazit: „Man kann nicht gegen sich selbst demonstrieren.“
Schon in der Haushaltsdebatte vergangene Woche hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Bundestag die Grünen aufgefordert, angesichts eklatanter Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit die Pose moralischer Überlegenheit abzulegen. Er warf der Ökopartei vor, sie drücke sich um eine Stellungnahme zum Verhalten ihrer österreichischen Parteifreunde. Die ließen zu, dass der von ihnen getragene ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz die Aufnahme von Flüchtlingen verweigere und sich auch noch plump in die deutsche Innenpolitik einmische.
Die Haltung der Grünen in der Flüchtlingsfrage werde auch fragwürdig, wenn man sich das Agieren der grün-geführten Stuttgarter Landesregierung anschaue. „Die größte Zahl von Abschiebungen findet heute aus Baden-Württemberg statt“, konstatierte Mützenich.
Tatsächlich steht das Agieren grüner Regierungsvertreter auf Landesebene häufig in Widerspruch zu Forderungen, die Parteifreunde im Bund erheben. Während Grüne bis hin zu den Parteichefs angesichts rechtsextremer Vorgänge in der Polizei eine Rassismusstudie und ein hartes Durchgreifen verlangten, war von den in Hessen mitregierenden Grünen dazu lange kaum etwas zu hören – und das, obwohl sich wegen der „NSU 2.0“-Drohbriefserie vor allem die hessische Polizei verdächtig gemacht hatte.
Abweichende Positionen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hat die Parteispitze in Berlin allmählich zu ertragen gelernt. Kürzlich bremste der Politiker aus dem Autoland euphorische Erwartungen an Elektroautos und erklärte, Verbrennungsmotoren würden noch bis 2035 gebraucht – und damit Jahre länger, als seine eigen Partei diese dulden will.
Die Grünen müssten als realpolitische Kraft „einen erheblichen Spagat betreiben“, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel, der das Agieren der Partei in Hessen beobachtet. Sie verhielten sich wie eine normale Partei, wenn sie in der Opposition „eine an die Kernklientel gerichtete reine Lehre“ verkündeten, verfolgten aber „eine dumpfe Machterhaltungsstrategie“, sobald sie selbst an einer Regierung beteiligt seien.
Auffällig sei, „dass sie wenig tun, um diese Diskrepanz durch realpolitische Klugheit, erkennbare Zwischenschritte oder Aufklärung aufzufangen“, meint Schroeder, der auch am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) tätig ist. Auf den Feldern der Energie- und Verkehrswende sowie im Kampf gegen Rechts seien die Grünen „kaum positiv aufgefallen, wenn sie an der Macht sind, um diese Projekte besser als die anderen Parteien im Alltag voran zu bringen“. Was man man früher Reformpolitik genannt habe, finde in ihrem Regierungsalltag „unzureichend statt“.
Das aber liege nicht nur an der Partei selbst, meint Schroeder: Medien und Öffentlichkeit würden den Grünen „mehr durchgehen lassen als dies etwa bei ähnlichem Verhalten der SPD der Fall wäre“.
Grünen-Geschäftsführer Kellner weist die Vorwürfe Klingbeils wegen des Dannenröder Waldes zurück. „Die SPD entlarvt sich selbst“, sagt er. Der Antrag in Hessen sei der Versuch gewesen, „über die vollständige Finanzierung durch den Bund das Projekt auszuhebeln.“ Leider hätten Union und SPD sich "weiter an Beton geklammert und dann bei der Finanzierung nachgelegt". Seltsam ist nur, dass auch die Autobahn-Befürworterin CDU damals gemeinsam mit den Grünen den Antrag unterschrieb.