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Die Stadt Lissabon war während der Pandemie zeitweise abgeriegelt worden.
© dpa-tmn

An die Weltspitze geimpft: Darum hat Portugal ohne Zwang alle im Impftempo überholt

In Portugal sind 98 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahren geimpft. Die hohe Impfbereitschaft dort ist auch in der Geschichte des Landes begründet.

Als der Impfstoff noch rar war, ließ sich die Impfkampagne in Deutschland gut an. Anfang Juni hatten bereits deutlich mehr als 45 Prozent der Menschen in Deutschland eine Erstimpfung erhalten, mehr als 20 Prozent sogar schon die Zweitimpfung. Wegen der positiven Entwicklung der Impfkampagne konnte die ursprünglich festgelegte Impfreihenfolge aufgehoben werden.

Ähnlich ambitioniert lief die Impfkampagne im Frühsommer in Portugal. Damals lagen die beiden EU-Länder hinsichtlich der Impfzahlen noch gleichauf.

Aber anders als in Deutschland setzte in Portugal nach den ersten Erfolgen keine Impfmüdigkeit ein: Im September 2021 konnte das Land die weltweit höchste Impfquote vermelden, nun liegt Portugal nach den Vereinigten Arabischen Emiraten auf Platz zwei.

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98 Prozent der portugiesischen Bevölkerung über zwölf Jahre ist inzwischen vollständig geimpft – ohne Zwang und neue Vorschriften wie beispielsweise in Italien. Bereits am 1. Oktober beendete das Land seinen „Estado de Alerto“ (Alarm-Zustand) und hob viele Beschränkungen auf. So dürfen Restaurants und Hotels sowie kleine Geschäfte wieder ohne Maske betreten werden. Selbst Diskotheken und Clubs nahmen den Betrieb wieder auf.

In Deutschland sind erst knapp über 65 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft. Zu wenige, um das Infektionsgeschehen nachhaltig einzudämmen oder auch nur daran denken zu können, gültige Beschränkungen wie die Maskenpflicht aufzuheben.

Portugal war besonders schwer von der Pandemie betroffen

Während die vierte Welle Deutschland erreicht hat und die Infektionszahlen wieder steigen, stagniert die Impfbereitschaft der Bürger. Die Zahl der Neuinfektionen mit circa 600 pro Tag bewegt sich in Portugal hingegen auf niedrigem Niveau. Auch die Lage in den dortigen Krankenhäusern ist entspannt.

In Deutschland liegt die Zahl der Neuinfektionen derweil bei einem 7-Tage-Mittel von über 8000. Auch Intensivfälle haben seit August wieder zugenommen, immer mehr Erkrankte landen auf den Intensivstationen, das Gros von ihnen ist nicht geimpft.

Dass die Impfbereitschaft in Deutschland weit hinter der in Portugal zurückbleibt, könnte möglicherweise damit zusammenhängen, dass Portugal besonders schwer von der Pandemie getroffen war: Anfang des Jahres erlebte das Land eine der schlimmsten Covid-19-Infektions- und Sterblichkeitswellen der Welt.

Im Januar und im Februar geriet die Corona-Infektionslage in Portugal völlig außer Kontrolle, weitreichende Einschränkungen waren die Folge. Wegen der massiv überlasteten Krankenhäuser musste sogar die deutsche Bundeswehr vor Ort aushelfen. In einer Woche Ende Januar starben 2.000 Menschen an Covid – in einem Land mit nur zehn Millionen Einwohnern. Im Juni war die Hauptstadt Lissabon zeitweise abgeriegelt worden.

Offene Kommunikation über den Impfprozess

Wegen der traumatischen Erfahrungen zögen die Portugiesen nun an einem Strang, erklärte der bundesweite Impfkoordinator Henrique de Gouveia e Melo in einem Interview mit dem ZDF. „Die Kommunikation über den Impfprozess haben wir sehr aktiv und offen geführt. Das war sehr wichtig und hat ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Wir sind hier nicht egoistisch, wir haben keine Angst vor Impfungen.“

Teil des Erfolgs mag auch sein, dass der Konteradmiral der Marine, der früher Fregatten und U-Boote kommandierte, im Februar die Koordination der nationalen Impfkampagne von einem Zivilisten übernahm. Bis Gouveia e Melo auf der Bildfläche erschien, war die Impfkampagne auch in Portugal nur schleppend vorangekommen.

Unter Gouveia e Melo organisierte Portugal seine Impfkampagne anders als Deutschland generalstabsmäßig. Er verzichtete auf kleine Gesundheitszentren und setzte stattdessen auf große Sportanlagen. In einem Armeekrankenhaus mussten Soldaten als Versuchskaninchen herhalten, um herauszufinden, wie sich die Impfstraße am schnellsten aufbauen lasse. Von da an sei wie am Fließband geimpft worden, so Gouveia e Melo.

Darüber hinaus sei jeder Bürger des Landes mindestens dreimal persönlich zur Impfung eingeladen worden. Wenn die Person darauf nicht reagierte, wurde sie immer wieder kontaktiert und erinnert.

E Melo bediente sich außerdem eines militärischen Terminus: „Ich habe der Bevölkerung klargemacht, dass wir uns im Krieg gegen das Virus befinden und uns zusammentun müssen, um gegen es zu gewinnen und unsere Kinder davor schützen“, sagte der Impfkoordinator der „Welt“.

Großes Vertrauen in das Gesundheitssystem

Ausschlaggebend für die hohe Impfbereitschaft dürfte jedoch auch das große Vertrauen sein, das die Portugiesen in ihr noch sehr neues Gesundheitssystem haben. Erst in den 1970er Jahren, nach der Revolution, wurde auf der iberischen Halbinsel ein staatliches Gesundheitssystem eingeführt. Die Kindersterblichkeit war damals sehr hoch, viele Eltern verloren Töchter und Söhne durch Masern und andere Kinderkrankheiten. Seit Einführung der Impfungen damals gibt es in Portugal kaum Zweifler.

Daher lag bereits vor Covid die Impfrate bei Masern, Röteln und Mumps mit 95 Prozent so hoch wie fast nirgends in der EU. Nur drei Prozent der Portugiesen bezeichnen sich als sogenannte Impfverweigerer.

Die positive Einstellung der Portugiesen zu Impfungen wird von Umfragen untermauert. Laut dem jüngsten Eurobarometer überwiegt für 87 Prozent der Portugiesen der Nutzen von Impfungen die möglichen Risiken; nirgendwo sonst in Europa sind es so viele.

Eine klare Mehrheit hält das Impfen sogar für eine „Bürgerpflicht“. Ähnlich wie in Spanien halten Wissenschaftler auch das soziale und familiäre Verantwortungsgefühl als einen wichtigen Grund dafür – in keinem Land werden beispielsweise so viele Organe gespendet wie in Spanien.

Impfen nimmt in Portugal auch eine deutlich größere gesellschaftliche Rolle ein als in Deutschland. So wird die Bevölkerung regelmäßig an ausstehende Impfungen der Kinder erinnert. Bei der Anmeldung in Schulen muss ein gültiger Impfpass vorgelegt werden, genauso wie bei der Beantragung eines Führerscheins oder der Bewerbung auf Jobs im öffentlichen Dienst.

„Die Akzeptanz von Impfstoffen ist hier sehr hoch“

In Portugal herrsche ein Umfeld, das Impfungen erleichtere und starke Anreize biete, erklärte die Soziologin Manuel Ivone da Cunha von der Universität Minho im Norden Portugals im Gespräch mit der „Welt“. Auch das Lager der Impfskeptiker und Impfverweigerer sei viel kleiner als in anderen europäischen Ländern. „Die Akzeptanz von Impfstoffen ist hier sehr hoch“, so da Cunha.

In Deutschland sieht die Situation anders aus, die Impfskepsis ist deutlich größer. Eine Cosmo-Studie (Covid-Snapshot-Monitoring), an der unter anderem die Universität Erfurt, das Robert-Koch-Institut sowie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beteiligt waren, ergab, dass ein angenommenes Missverhältnis von Sicherheit und Nutzen der Impfung viele Deutsche davon abhält, sich impfen zu lassen.

75 Prozent der Befragten gaben an, dass sie eine Impfung als unnötig erachteten, wenn viele andere geimpft sind, 72 Prozent gaben an, dass die Nutzen-Risiko-Abwägung nicht zugunsten der Impfung ausfalle. 40 Prozent würden den Impfstoff für unsicher halten. Die Beteiligten argumentierten vor allem mit einer nicht ausreichenden Forschungslage, einer vermeintlich zu schnellen Zulassung sowie möglichen unbekannte Spätfolgen.

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