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Protestmarsch in Dallas.
© AFP

Rassenkonflikt in den USA: Dallas ist ein Warnsignal

In den USA könnte es wieder zu Rassenunruhen kommen. Warum erlebt das Land diese Zuspitzung ausgerechnet unter dem ersten schwarzen Präsidenten? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Einige in den USA fürchten nun Rassenunruhen. Das Land hat die Eskalation von Gewalt und Gegengewalt mehrfach erlebt. 1967 in Detroit, 1980 in Miami, 1992 in Los Angeles. 2014 brannte es tagelang in Ferguson, nachdem ein weißer Polizist den schwarzen Jugendlichen Michael Brown erschossen hatte. Jetzt erregen Videos neuer exzessiver Polizeigewalt die Gemüter. Hunderttausende haben gesehen, wie Alton Sterling in Baton Rouge, Louisiana, und Philando Castile in St. Paul, Minnesota, durch Kugeln aus Polizeiwaffen starben. Sie sind entsprechend aufgebracht.

Dann folgten die Schüsse in Dallas, diesmal auf Polizisten. Sie lösten ein umgekehrtes Erschrecken aus. Organisiert sich bewaffneter Widerstand gegen die Polizei? Wird er sich ausbreiten? Es war fast Erleichterung zu spüren, als Polizeichef David Brown die Erkenntnisse korrigierte. Vermutlich war es ein Einzeltäter.

Amerika blickt in den Abgrund. Jedermann kann sich ausmalen, wohin eine Spirale der Gewalt führt. Die Reaktion vieler Teilnehmer des Protestmarschs in Dallas macht Mut: Wir wollen keinen Bürgerkrieg. Wir demonstrieren, damit Bürger und Polizei sich respektieren.

Löst das Entsetzen über die toten Polizisten in Dallas dieses Umdenken aus? Sicher ist das nicht. Eine Kernfrage bleibt: Warum erlebt Amerika diese Zuspitzung ausgerechnet unter dem ersten schwarzen Präsidenten? Barack Obama weckte die Hoffnung auf eine „post-racial era“: ein Zeitalter, in dem die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt. Er hat aber auch Gegenkräfte mobilisiert, die am alten Modell weißer Dominanz festhalten. Stehen die tödlichen Begegnungen hellhäutiger Polizisten und dunkelhäutiger junger Männern für ein letztes Aufbäumen? Oder belegen sie, dass der von Rassismus geprägte Konflikt sich verfestigt, wenn das gewohnte Denken durch einen schwarzen Präsidenten herausgefordert wird?

Riss in der Gesellschaft

Der Blick auf die jüngsten Jahre lässt die Antwort offen. Trayvon Martin, Michael Brown, Tamir Rice, Freddie Gray, Walter Scott, Eric Garner, Sandra Blant und zuletzt Alton Sterling und Philando Castile: Die dichte Abfolge dieser Namen deutet auf eine Häufung hin. Die Statistik unterfüttert das Gefühl. Die Zahl der von Polizei getöteten Afroamerikaner hat zugenommen. Zugenommen hat aber auch die Zahl der im Dienst erschossenen Polizisten. Beide Seiten fühlen sich subjektiv stärker bedroht. Polizisten greifen schneller zur Waffe, wenn sie glauben, dass ihr Gegenüber bewaffnet ist.

Schwarze fürchten mehr als früher um ihr Leben. Bei der öffentlichen Wahrnehmung des Konflikts geht ein Riss durch Amerika. Fast alle Schwarzen halten strukturelle Diskriminierung für die Ursache, aber nicht einmal die Hälfte der Weißen. Zwei Drittel der Afroamerikaner, aber nur ein Drittel der Weißen geben die Schuld der Polizei.

Breiter Protest

Andererseits hat die Anteilnahme zugenommen. Eine breite Protestbewegung ist entstanden. Sie geht auch in Metropolen wie Dallas auf die Straße, in denen es nicht einmal einen Ableger von „Black Lives Matter“ gibt: der Organisation, die die Polizeigewalt vehement anprangert, aber auch Ablehnung provoziert. Viele Städte haben heute schwarze Polizeichefs und erproben neue Formen des Dialogs mit schwarzen Jugendlichen. Polizisten müssen heute Körperkameras tragen, die ihr Handeln dokumentieren. Das erhöht den Zwang zur Disziplin, ebenso wie die Handyvideos, die Augenzeugen aufnehmen. Sie haben freilich einen zweischneidigen Effekt. Sie erhöhen die Transparenz des Polizeihandelns und erleichtern Verurteilungen. Sie bewirken aber auch emotionale Aufwallungen und können Gegengewalt auslösen.

Amerika erlebt einen Wettlauf zwischen zwei Dynamiken: dem zähen Ringen um spürbare Verbesserungen im Alltag samt der Geduld, die das den Betroffenen abfordert. Sowie dem Aufbegehren, das unweigerlich folgt, wenn Erwartungen geweckt werden, sich aber nicht rasch erfüllen. Dallas ist ein Warnsignal: Die Geduld reicht nicht ewig. Einzelne sind so verbittert, dass sie zur Waffe greifen. Noch setzt die Mehrheit aber darauf, dass der Wandel zum Besseren gelingt.

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