US-Vorwahlen: Clinton und Trump straucheln - Rubio, Cruz und Sanders freuen sich
Die Favoriten Donald Trump und Hillary Clinton starten holprig in Iowa Was bedeuten die Ergebnisse für den Präsidentschaftswahlkampf in den USA?
Die erste Vorwahl im US-Präsidentschaftswahlkampf in Iowa hat auch 2016 ihren Ruf bestätigt: Die Bürger des Farmstaats im Mittleren Westen treffen eine Vorauswahl und dünnen das Feld der hoffnungsvollen Bewerber aus. Sie stürzen Favoriten, wenn die nicht überzeugen, und geben anderen, die zuvor wenig Aufmerksamkeit bekamen, einen Push nach oben.
Wer sind die Sieger?
Die Gewinner sind nicht die, die zahlenmäßig vorne liegen. Sondern jene, die die Erwartungen deutlich übertroffen haben: bei den Demokraten Bernie Sanders, bei den Republikanern Marco Rubio.
Der 74-jährige Sanders ist parteiloser Senator des Neuenglandstaats Vermont, bezeichnet sich als „Sozialisten“ und ist der Liebling des linken Parteiflügels. Im Schnitt der Umfragen hatte er rund vier Prozentpunkte hinter Clinton gelegen. Zudem war fraglich, ob er seine Popularität unter Studenten in Stimmen verwandeln kann. Studenten zählen nicht zu den typischen Besuchern der lokalen Parteiversammlungen, die in der Nacht zu Dienstag in 1681 Treffpunkten in Iowa über den Wunschkandidaten abstimmen. Sanders wird nun als Sieger von Iowa wahrgenommen, obwohl er hauchdünn hinter Clinton blieb. Sie hat ihren Favoritensturz haarscharf vermieden. Sanders werden Wahlspenden zufließen und freiwillige Wahlhelfer zulaufen. Er gilt jetzt als ernst zu nehmende Alternative zu Hillary. Sie erhält 23 Delegierte für den Nominierungsparteitag im Juli, er 21.
„Heute Nacht hat eine politische Revolution begonnen“, sagte der Weißhaarige mit dem Brooklyn-Akzent, als er sich um 22 Uhr von seinen Anhängern als Triumphator feiern ließt – in einem Motel nahe dem Flughafen von Des Moines, ein Ausweis seiner Volksnähe und Bescheidenheit. „Wenn Millionen aufstehen und sagen ,Genug ist genug!‘, werden wir dieses Land verändern.“ Noch in der Nacht flog er nach New Hampshire, Nachbar seiner Heimat Vermont. Dort stimmen die Bürger am 9. Februar ab. In den Umfragen dort liegt er stabil vor Clinton.
Bei den Republikanern ist Marco Rubio der Überraschungssieger von Iowa, auch wenn er auf dem dritten Platz landete. 17 Prozent hatte der Senator von Florida in Umfragen erreicht. Nun holte er 23 Prozent der Stimmen, verdrängte fast noch Donald Trump von Platz zwei. Und das als Katholik, obwohl in Iowa die Evangelikalen – konservative protestantische Christen – zwei Drittel der republikanischen Wähler stellen. Manche nennen den 44-jährigen Sohn kubanischer Einwanderer den „Obama der Republikaner“: ein Aufsteiger aus einer Immigrantenfamilie, die arm nach Amerika kam.
Rubio ist nun der Favorit der Konservativen. Drei weitere Moderate kämpfen darum, zur Führungsperson der Parteimitte und des Wirtschaftsflügels zu werden: Jeb Bush, John Kasich und Chris Christie. Sie machen sich gegenseitig Konkurrenz und teilen die Sympathien moderater Wähler unter sich auf, weshalb keiner gut in den Umfragen abschneidet. Die Führung unter ihnen hat sich nun Rubio erkämpft. Der Druck auf die anderen drei, aus dem Rennen auszuscheiden, wird wachsen. Wahlkampfspenden und organisatorische Hilfe werden sich auf Rubio konzentrieren. Das kann ihn auch in New Hampshire nach vorn bringen. Seit Jahrzehnten wird im Verlauf der Vorwahlen meist der Favorit der Moderaten offizieller Kandidat der Partei. Zu Rubios Anziehungskraft trägt bei, dass er laut Umfragen die besten Chancen hat, Clinton in der Hauptwahl zu schlagen.
Rubio trat um 21 Uhr 35 als Erster vor die Kameras. „Das ist der Moment, von dem sie sagten, dass er niemals kommen würde.“ Nahezu wortgleich wählte er die Formulierung, mit der Barack Obama 2008 seinen Sieg in Iowa feierte. „Sie“, das sind ungenannte Kommentatoren und Besserwisser, von denen sich jeder Kandidat pauschal distanziert, um sich als Sieger gegen alle Wahrscheinlichkeit zu inszenieren. „Sie sagten, wir hätten keine Chance, weil mein Haar noch nicht grau genug sei.“ Ohne Umschweife nahm er die Demokraten ins Visier, als habe er die innerparteiliche Nominierung schon gewonnen. „Die Botschaft der großartigen Bürger von Iowa ist: Sieben Jahre Obama sind genug. Wir holen uns unser Land zurück. Hillary Clinton darf niemals Präsidentin werden.“
Wer darf sich noch freuen?
Der andere Sieger heißt Ted Cruz. Er belegte Platz eins mit 28 Prozent der Stimmen, vier Punkte mehr als in den Umfragen. Auch sein Vater ist Kubaner und emigrierte nach Kanada, wo Ted 1970 auf die Welt kam. Trump hat deshalb infrage gestellt, ob Cruz überhaupt Präsident werden dürfe. Dafür müsse man in den USA geboren sein. Cruz kontert, seine Mutter sei bei seiner Geburt US-Bürgerin gewesen; damit erfülle er die Bedingung, ein „natural born citizen“ zu sein. Cruz ist der Favorit der Parteirechten, der religiösen Wähler und der Tea Party.
„Gott segne den großartigen Staat Iowa. Aller Ruhm gebührt Gott“, begann Cruz seine Dankesrede um 22 Uhr 17. Der Sieger sprach als Letzter, so will es die Tradition. Sein Erfolg sei „ein Triumph der Grassroot-Bewegung“. Cruz tritt als Rebell gegen die Parteiführung an. „Wer Kandidat wird, bestimmen nicht die Medien, nicht das Establishment in Washington, nicht die Lobbyisten. Diese Macht kommt allein der größten Kraftquelle zu, dem Souverän: We the People!“ 46 408 Iowaner haben ihn gewählt, noch nie bekam ein Republikaner so viele Stimmen beim Caucus in Iowa. Denn noch nie nahmen so viele Konservative teil: 180 000 statt 120 000 wie sonst – ein neuer Rekord. Der angekündigte Schneefall begann erst nach Mitternacht und hielt nicht von der Teilnahme ab.
Ob er müde sei, habe man ihn und seine Frau Heidi gefragt. Er umarmte sie lange und innig, als er ans Mikrofon trat. „We are not tired, we are inspired“, rief er in den Jubel seiner Anhänger im Ballsaal des Marriot-Hotels im Zentrum von Des Moines – nicht müde seien sie, sondern inspiriert. Und dann borgte er sich den Slogan des Mannes, den er erbittert bekämpft, Barack Obama. Mutige Konservative hätte sich gegen die Parteibosse entschieden, sagte Cruz, und sich für ihn entschieden: „Yes, we can!“
Wer sind die Verlierer?
Für Donald Trump grenzt das Resultat an eine Blamage. Über 30 Prozent gaben ihm die Umfragen vor einer Woche, 28 Prozent am Vorabend der Wahl. Überall posaunte er, dass nur er ein Siegertyp sei. Wie sehr ihn alle lieben und wie motiviert seine Anhänger seien. Und dann reichte es gerade noch für Platz zwei mit 24 Prozent. Die Rekordbeteiligung, die als Voraussetzung für seinen Sieg galt, kam zwar zustande. Aber diese vielen Bürger, die erstmals teilnahmen, stimmten für Rubio und Cruz.
Nur an der gedämpften Stimmung im Sheraton Hotel war abzulesen, dass Trumps Anhänger das Ergebnis als Niederlage empfinden. Der Kandidat versuchte, sein Abschneiden in einen Sieg umzudeuten. „Ich liebe die Menschen in Iowa. Danke.“ Man hätte ihm abgeraten, hier überhaupt Wahlkampf zu machen. „Aber jetzt haben wir einen großartigen zweiten Platz erreicht.“ In New Hampshire und South Carolina „führe ich mit mehr als 20 Prozent“, fielTrump rasch in bombastisches Selbstlob zurück. „Ich glaube fest, dass ich die Nominierung gewinne und in der Hauptwahl Bernie Sanders oder Hillary Clinton schlage – egal, wen sie nominieren.“ Dann „komme ich zurück nach Iowa, um euch zu danken. Vielleicht kaufe ich mir eine Farm hier“.
Auch Ben Carson gehört zu den Verlierern. Im November hatte der schwarze Neurochirurg in den Umfragen für Iowa geführt. Jetzt reichte es nur für neun Prozent. Er werde am Abend nach Florida fliegen, gab er bekannt – und löste damit Neugier aus. Eine neue Strategie für die weiteren Vorwahlen? Es folgte jedoch eine bizarre Erklärung, die ihm Spott im Internet eintrug: Er fliege dorthin, weil er seine Kleidung wechseln müsse.
Im Lauf der Nacht erklärten mehrere Bewerber, dass sie aufgeben: der Demokrat Martin O’Malley, Ex-Gouverneur von Maryland, der als Dritter zwischen Sanders und Clinton nie richtig in Tritt kam. Mike Huckabee, der republikanische Ex-Gouverneur von Arkansas, der 2008 in Iowa siegte. Das war schon immer die zentrale Funktion der ersten Vorwahl: Sie beendet Hoffnungen und Karrieren, schafft Verlierer. Nur selten wählt sie den späteren Präsidenten wie Barack Obama 2008 und George W. Bush 2000.
Wer sind jetzt die Favoriten?
Bei den Demokraten bleibt vorerst Hillary Clinton die Kandidatin mit den besten Aussichten auf die Nominierung als Spitzenkandidatin – trotz Sanders’ Überraschungserfolg in Iowa und obwohl er sie vermutlich in New Hampshire besiegen wird. Danach geht es in den Südstaat South Carolina, wo die Afroamerikaner entscheidend sind, und nach Nevada, wo Latinos den Ton angeben. Bisher kann Sanders nicht zeigen, dass er in diesen Gruppen starke Zustimmung findet. Es folgt der „Super Tuesday“ mit einem Dutzend Vorwahlen zugleich. Da kommt es auf Organisationskraft an. Auch da ist Clinton überlegen.
Bei den Republikanern hat sich das Bild gewandelt. Eine offene Frage ist, ob Trumps Führung in New Hampshire nach der Schlappe in Iowa bröckelt. Er ist angeschlagen. Marco Rubio wird im Sog von Iowa deutlich zulegen. Kasich, Bush und Christie kämpfen verzweifelt um einen guten zweiten oder dritten Platz, um zu überleben. Auch bei den Republikanern wird zur Schlüsselfrage, wer am Super Tuesday über die bessere landesweite Organisation verfügt. Eine Vorentscheidung fällt aber wohl nicht vor Mitte März. Bis dahin werden Delegierte proportional zu den Ergebnissen zugeteilt. Einen entscheidenden Vorsprung können Einzelne erst gewinnen, wenn nach dem 15. März bei den Republikanern die „Winner takes all“-Regel greift und ein Kandidat bei einem Sieg alle Delegierte dieses Staats erhält.
Was ist die politische Botschaft?
Iowa ist für beide Lager eine Warnung an das Establishment. Große Teile der Bevölkerung fühlen sich von den Eliten in Politik und Wirtschaft nicht vertreten. Deshalb stimmen sie für Gegenkandidaten wie Sanders und Cruz, die gegen die Parteiführung aufbegehren. Die Mittelklasse spürt den ökonomischen Aufschwung nicht in ihren Portemonnaies. Der kommt nach allgemeiner Überzeugung nur wenigen Reichen und den großen Konzernen zugute.