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Abgehoben. Donald Trump liebt die große Show und tritt auf, als wäre er schon Präsident. Direkten Kontakt mit den Bürgern meidet er.
© Scott Olson/AFP

US-Präsidentschaftswahl 2016: Provokation ist Trump

Als der Milliardär sagte, er wolle US-Präsident werden, hielten das alle für einen Witz. Nun beginnt die Kandidatenkür in Iowa und ein Sieg scheint nicht mehr unmöglich. Dabei bricht er mit allen Regeln des Wahlkampfs – seine Fans stört das nicht.

Seit einer knappen Stunde wartet Eddy Sandford bereits in der Kälte am Rande des Rollfelds am Regionalflughafen von Dubuque. Wie die anderen der rund 300 Versammelten hält sich der 69-Jährige warm, indem er mit den Füßen aufstampft und die Hände reibt. Zwischendurch zieht er die Pudelmütze tiefer über die Ohren. 600 Kilometer ist er von Kansas City herübergefahren, um sein neues Idol persönlich zu erleben. Was ihn an Donald Trump anzieht? „Der lässt sich nichts gefallen. Der hat keine Angst vor niemandem“, ruft er in den Turbinenlärm einer landenden Maschine.

Es ist eine Boeing 757 mit dunkelblauem Rumpf. Über den Kabinenfenstern im vorderen Drittel steht in weißen Lettern der Name Trump, die Heckflosse schmückt ein großes rotes „T“. Dass „der Donald“ sich mit dem großen Fernsehsender Fox angelegt und seine Teilnahme an der TV-Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten am vergangenen Donnerstag abgesagt hat, habe ihm imponiert, sagt Sandford, während das Flugzeug vor der Menschenmenge zum Stehen kommt. „Der traut sich was!“ Die Kritik der Konkurrenten, Trump habe gekniffen und sich dem Dialog mit den Bürgern entzogen, lässt der Vietnam-Veteran nicht gelten. „Er hat stattdessen für uns Ex-Soldaten Spenden gesammelt. Dem fällt immer was Neues ein, womit er seine Gegner überrascht und in die Klemme bringt. Er kündigt es nicht nur an, er hält auch sein Wort.“

Inzwischen hat sich die Tür geöffnet, und nun schreitet Trump im offenen schwarzen Mantel, eine leuchtend blaue Krawatte vor der Brust und leutselig winkend die Treppe herab. Eine Stimme aus dem Lautsprecher ertönt: „Please welcome the next President of the United States, Donald J. Trump.“ Er hat ein Händchen für Inszenierungen. Wie er da jetzt am Mikrofon vor der Maschine in den amerikanischen Farben steht, das erinnert schon sehr an die Begrüßungsszene am Airport, wenn der wirkliche Präsident einfliegt.

Trump improvisiert 25 Minuten in der üblichen Mischung aus Selbstlob und Abqualifizierung der anderen Kandidaten, der politischen Klasse, der Medien. „Fox hat mich mies behandelt, da muss man sich wehren.“ Aber „wir hatten mehr Fernsehkameras bei unserer Veteranen-Spendengala als die bei der Debatte“. Im Übrigen führe er weiter alle Umfragen an – „obwohl das hier in Iowa mit nur fünf Prozent Vorsprung nicht so richtig Spaß macht. Ich liebe Staaten wie South Carolina, wo ich mit 25 Prozent führe“. Er streift kurz seine zentralen Programmpunkte: Illegale abschieben, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, den IS rücksichtslos bombardieren – und nur noch Freihandelsabkommen schließen, bei denen amerikanische Arbeiter gewinnen.

Archaisches Caucus-System in Iowa

Wie fast immer redet Donald Trump nur zu den Menschen, nicht mit den Menschen. Nach seinem Monolog schüttelt er noch ein paar Hände, stets gut abgeschirmt von Body Guards. Das Gespräch mit den Bürgern, das doch eigentlich das Markenzeichen des Wahlkampfs in Iowa ist, lässt er aus.

Es ist nicht der einzige Punkt, in dem Trump die traditionellen Regeln der Kandidatenkür ignoriert. Und daraus ergibt sich die Frage, die in den letzten Stunden, bevor im Präsidentschaftswahljahr 2016 erstmals die Bürger das Sagen haben, alle professionellen Politikbeobachter in den USA bewegt: Schadet der Überraschungskandidat Trump sich mit dieser Verweigerungshaltung? Oder haben sich die Zeiten so sehr geändert, dass die alten Regeln nicht mehr gelten – und ist Trump der Mann, der das als erster begriffen hat?

Für eine Revolte, die die alten Mechanismen aushebelt, spricht der enorme Zulauf zorniger Bürger, die ihre Interessen nicht mehr vertreten sehen, und Trump verehren. Ein ähnliches Phänomen bei den Demokraten ist die Begeisterung für den „Sozialisten“ Bernie Sanders. Beide könnten bei der Kandidatenkür, dem sogenannten Caucus, freilich auch unter ihre Umfragewerte fallen. Die drei Risikofaktoren für Trump sind das Wetter, die Durchschlagskraft seines speziellen politischen Businessmodells und die Auswirkungen in dem doch sehr archaischen Caucus-System, das Iowa bei der Kandidatenkür anwendet.

Bei der Auswahl der Spitzenkandidaten praktizieren die USA Basisdemokratie. Im Verlauf der ersten Jahreshälfte sind die Bürger in allen 50 Bundesstaaten aufgerufen, über ihre Wunschkandidaten abzustimmen – freilich nur in einem der beiden großen Lager. In welchem, das dürfen sie sich aussuchen; sie müssen nicht Mitglied der Partei sein, deren Spitzenkandidaten sie wählen wollen.

Den Anfang macht seit den 1970er Jahren Iowa, ein Farmstaat im Mittleren Westen, in dem, das wird gerne betont, mehr Schweine als Menschen leben. Ein Sieg im ersten Vorwahlstaat hat herausragende Bedeutung. Er generiert landesweite Schlagzeilen, die wiederum das Werben um Wahlkampfspenden erleichtern. Daraus kann sich eine Eigendynamik entwickeln, die Sieg auf Sieg bringt. Umgekehrt kann ein enttäuschendes Ergebnis eine Kandidatur früh beenden. Deshalb investieren Präsidentschaftsbewerber viel Zeit und Energie in Iowa. Und hoffen, dass die eigenen Anhänger sich am Caucus-Tag – diesmal Montag, 1. Februar – um 19 Uhr in ihrem Wahlbezirk einfinden und mindestens zwei bis drei Stunden Debatte über die Vorzüge und Nachteile der Bewerber samt Abstimmung über sich ergehen lassen. Im Zweifel auch bei Schnee und Eis.

Abgehoben. Donald Trump liebt die große Show und tritt auf, als wäre er schon Präsident. Direkten Kontakt mit den Bürgern meidet er. Foto: Scott Olson/AFP
Abgehoben. Donald Trump liebt die große Show und tritt auf, als wäre er schon Präsident. Direkten Kontakt mit den Bürgern meidet er. Foto: Scott Olson/AFP
© dpa

Ted Cruz, der in den Umfragen knapp hinter Trump liegt und ihn mit intensivem Werben unter den frommen Evangelikalen auf dem Land zu überholen hofft, hat sein Versprechen wahr gemacht, alle 99 Verwaltungsbezirke Iowas zu besuchen. Am Samstag war er in Ringsted oben im Norden an der Grenze zu Minnesota. 400 Menschen sind gekommen. Auch Cruz wettert gegen die illegale Migration, verspricht Härte gegen den IS. Vor allem aber gelobt er, die christlichen Werte zu verteidigen, Abtreibung und Homo-Ehe nicht hinzunehmen. Danach nimmt er sich die Zeit, möglichst jedem die Hand zu schütteln, sich nach den persönlichen Sorgen zu erkundigen und zum Schluss zu fragen, ob alle wissen, wo am Montag Abend ihr lokaler Caucus, die Wählerversammlung, stattfindet? Und ob sie auch hingehen? Umfrageergebnisse nützen am Ende nichts, nur die abgegebenen Stimmen zählen.

„Retail politics“ nennen sie das in Iowa. Wie der kleine Ladenbesitzer im Einzelhandel muss der Kandidat jeden Kunden persönlich ansprechen. Und ihm zum Schluss das Versprechen abnehmen, zur Versammlung zu gehen – „to seal the deal“, um die Vereinbarung zu besiegeln. „Wenn jeder von euch neun Nachbarn oder Bekannte mitbringt, können wir unsere Stimmen verzehnfachen“, fordert Cruz. „Und ruft Eure Mütter an“, fügt er hinzu und alle lachen. „Es ist immer gut, mit Mutter zu telefonieren.“

Mehr als 150 Veranstaltungen hat Cruz seit Oktober in Iowa absolviert, der Staat ist sein Sprungbrett im Wettbewerb um die Nominierung. Trump bringt es hingegen nur auf 50 Auftritte in Iowa. Er setzt nicht auf „Retail politics“ (Einzelhandel). Er verhält sich wie ein großer Discounter oder ein Internetkonzern. Seine Strategie: Wenige große Werbeauftritte, die er mit Provokationen geschickt inszeniert, damit das Fernsehen berichtet. So will er Anhänger mobilisieren.

Hillary Clinton gibt sich kumpelhaft

Bei den Demokraten ist Hillary Clinton ähnlich fleißig wie Cruz. Auch sie hat mit 150 Terminen seit Oktober in „Retail politics“ investiert. Am Wochenende legte sie einen Endspurt ein: sechs Auftritte quer durch Iowa am Sonnabend, weitere vier am Sonntag. Sie ist aus Schaden klug geworden. 2008 hatte Barack Obama sie in Iowa deklassiert – mit dem so genannten „Ground Game“, der Organisation am Boden, die dafür Sorge trägt, dass die Menschen tatsächlich zum Caucus gehen. Seine Frau Michelle ging nach jedem seiner Auftritte durch die Reihen der Fans, ließ Wahlhelfer die Namen, Emailadressen und Telefonnummern notieren. Vor dem Caucus rief Team-Obama jede und jeden an, bot Transport zur Versammlung an und Babysitting durch seine freiwilligen Wahlhelfer, damit auch Eltern kommen können. 240 000 Bürger nahmen 2008 am Caucus der Demokraten teil, doppelt so viele wie in normalen Jahren.

Das „Ground Game“ ist eine flächendeckende Operation. Iowa ist in 1681 „Precints“ eingeteilt. Im Idealfall hat ein Kandidat in jedem dieser Abstimmungsbezirke einen „Precint Captain“, der dort für ihn wirbt und die eigenen Anhänger organisiert und anführt.

Clinton hat sich das abgeschaut. Sie tourt mit Ehemann Bill und Tochter Chelsea durch Iowa, verspricht, die Reformerfolge Obamas zu verteidigen und in kleinen Schritten geduldig auszubauen. Sie verweist auf ihre langjährige Erfahrung in Regierungsämtern, ohne den Namen ihres Konkurrenten Bernie Sanders zu nennen, den die Parteilinke liebt. Ihre Botschaft: Sie ist keine Idealistin, die mehr verspricht, als sie halten kann. Danach sucht sie die Begegnung zu den Menschen an der „Rope Line“, dem Absperrseil zwischen dem Rednerpodium und der Menge, lässt die Kontaktinformationen notieren. Als bei einer Wählerversammlung in Vinton ihr Mikrofon versagt und Katy Perrys Song „Roar“ aus den Lautsprechern plärrt, schreit sie dagegen an: „Ich werde mir die Zeit nehmen, auf jeden von Euch zuzugehen und Fragen zu beantworten.“

Ihre Markenzeichen sind roter Blazer, schwarze Hose, Selfies mit Fans. Als ihr ein älterer Mann in den Blick gerät, der ihr Buch „Hard Choices“ unter den Arm geklemmt hat, ruft sie: „Schön, dass Sie das lesen!“ Einem anderen, der ihr ein gemeinsames Foto aus dem 2008er Wahlkampf entgegenstreckt, sagt sie: „Sehen wir zwei nicht klasse aus?“ Und stubst ihre Schulter kumpelhaft gegen seine.

Gelten die alten Regeln 2016 noch?

Das alles tut Trump nicht. Er minimiert den Körperkontakt mit Bürgern. Bisher ist auch nicht zu sehen, dass er in das „Ground game“ investiert, Telefonnummern aufschreiben lässt. Er scheint sich darauf zu verlassen, dass seine Anhänger durch seine Reden genügend aufgeputscht sind, um von allein zum Caucus zu finden. Es gebe nur wenige Beispiele für „Precint Captains“ in Trumps Diensten, berichtet das „National Journal“. Sie wirken wie eine „Last Minute“-Verlegenheitsaktion. In Marshalltown in Zentral-Iowa ist Barb Matney so ein Fall. Team Trump hat die 57-Jährige erst vor zehn Tagen angerufen, nicht schon vor Monaten, wie Clinton und Cruz das gemacht haben. Matney hat aber keine Liste mit Telefonnummern, um Trump-Fans an Ort und Zeit des Caucus zu erinnern.

Dabei müsste sich, soziologisch betrachtet, gerade Trump um ein gutes „Ground Game“ bemühen. Laut Umfragen stammen Trump-Fans überwiegend aus der ärmeren weißen Arbeiterschicht oder es sind kleine Selbstständige, die ökonomisch zu kämpfen haben. Das sind zugleich die Bevölkerungsgruppen, die bisher kaum zum Caucus gingen.

Bei den Demokraten hat Hillary Clintons Widersacher Bernie Sanders ein ähnliches Problem. Besonders Studenten schwärmen für die Reformideen des 74-jährigen Senators von Vermont, der sich selbst als „Sozialist“ bezeichnet. Aber auch Studenten gehörten in Iowa bisher nicht zu den verlässlichen Caucus-Teilnehmern.

Nur: Gelten diese Erfahrungsregeln 2016 noch? Oder sind sie überholt – wie so vieles in Iowa im Vergleich zu der sich dynamisch verändernden Gesamtgesellschaft in den USA? Die Teilnehmer an den republikanischen Caucusen in Iowa sind zu 99 Prozent Weiße, zudem überwiegend männlich und älter. Amerikas Gesamtbevölkerung wird immer diverser, ist überwiegend weiblich und jung. Wirtschaftlich sind Internetökonomie und Großhandels-Discounter dabei, den klassischen Einzelhandel zu überflügeln. Warum soll also nicht auch in der Politik Trumps „Discount“-Modell klassische „Retail politics“ ablösen?

In den Hauptquartieren der beiden großen Parteien in Iowa gilt das als offene Frage. Ein entscheidendes Indiz für die Beantwortung werde die zahlenmäßige Beteiligung am Caucus sein. Rund 120 000 sei Normalmaß bei den Demokraten, sagt Kevin Geiken, Ex-Vizeparteichef in Iowa. Wenn es viel mehr werden, dann hat wohl Bernie Sanders es geschafft, Studenten und andere Gruppen, die früher nicht kamen, zu motivieren. Ähnliches hört man bei den Republikanern. 120 000 seien üblich. Wenn es auch 2016 dabei bleibe, werde wohl Ted Cruz gewinnen. Kommen deutlich mehr, wäre das Trump zu verdanken und er würde siegen.

Laut „New York Times“ haben sich 2100 Bürger bei den Demokraten neu in die Wählerlisten eingetragen und 2950 bei den Republikanern. Das klingt nicht gerade nach einer Welle, die alles verändert.

"Schaut nach auf meiner Webseite."

Gut möglich ist freilich auch, dass der Himmel eingreift. Das würde zu Iowa passen, das im nördlichen „Bible Belt“ liegt und wo sowohl fromme Lutheraner bei den Demokraten als auch die religiöse Rechte bei den Republikanern beträchtlichen Einfluss haben. Der Schnee vom letzten großen Wintersturm ist zwar gerade getaut, tagsüber liegen die Temperaturen knapp über, nachts knapp unter dem Gefrierpunkt. Das wären gute Voraussetzungen für Caucus-Zulauf. Ausgerechnet Montagabend soll jedoch ein neues Frontensystem frischen Schnee bringen. Das könnte die Zahl der Caucus-Gänger dezimieren. Ein Vorteil für Cruz. Und Clinton.

Am Samstagabend tritt Trump in Davenport im Osten Iowas auf. Er hat das Adler-Theater gemietet und lässt sich von Jerry Falwell Jr., dem Sohn eines berühmten Baptisten-Predigers und Präsidenten der religiösen Liberty University, interviewen. Sie sitzen in Sesseln oben auf der Bühne, entrückt vom Publikum, das schon drei Stunden vor Beginn Schlange stand, um einen Platz zu ergattern. Warum Trump sich diesen Wahlkampf antue, in dem er so viel Anfeindungen ertragen müsse, fragt Falwell mitfühlend. Als Milliardär habe er das doch gar nicht nötig.

„Das stimmt, es tut schon manchmal richtig weh“, sagt Trump und nickt. „Ich tue es für mein Land. Alles ist in so schrecklichem Zustand.“ Langer Beifall. Zum Schluss fragt er in den Saal, ob jeder wisse, wo der nächste Caucus stattfinde? „Schaut nach auf meiner Webseite, okay?“ Vielleicht ist ihm im Schlussspurt doch noch aufgegangen, dass er nicht alleine siegen kann.

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