Die FDP mal etwas anders: Christian Lindner startet Alle-Stimmen-Kampagne
Die FDP war früher für Zweitstimmenkampagnen bekannt. Ihre Wähler gaben die Erststimme häufig an die Union. Jetzt will Lindner beide Stimmen für seine Partei.
Die FDP hat früher Wahlkämpfe geprägt mit ihren Zweitstimmenkampagnen. Zuletzt war das 2013 so. Da kündigte der damalige FDP-Chef Philipp Rösler zwei Wochen vor der Wahl, also in den Endspurt hinein, eine neue Plakataktion an: Man wolle nun „sehr konkret um die Zweitstimme kämpfen“. Das Ziel war, in den Wahlkreisen bei Mitte-Rechts-Wählern Stimmung zu machen für das Splitting: Erststimme für die Union, Zweitstimme für die FDP. Es war eben knapp – am Ende gelang es der FDP trotzdem nicht, wieder in den Bundestag einzuziehen.
Die Union war damals nicht sehr offen für die Kampagne. Zu Zeiten Helmut Kohls hatte man in der CDU wenig dagegen, dass die FDP in der eigenen Wählerschaft Stimmen abzuzweigen versuchte. Als Koalitionspartner wurden die Freien Demokraten gebraucht. Unter Angela Merkel änderte sich das. Dass es 2013 nicht klappte mit der Zweitstimmenkampagne, lag wohl auch daran, dass die Union in den Wahlkreisen kaum dafür warb. Es ging darum, nichts zu verschenken.
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2021 ist das nun etwas anders. Die Lage ist zwei Wochen vor der Wahl zwar noch etwas unübersichtlich. Aber die FDP steht in den Umfragen nicht so schlecht da, dass sie nun betteln müsste um Zweitstimmen. Ganz im Gegenteil: Die Freien Demokraten machen zur Abwechslung mal etwas ganz anderes. Von diesem Wochenende an werden die Wahlplakate zusätzlich mit einem Slogan beklebt: „Alle Stimmen für die Freiheit“. Aus „Zweit“ wird „Zwei“ sozusagen – eine Zweistimmenkampagne also, oder auch FDP pur.
Das ist auch ein Signal an die FDP-Wähler, die Erststimme dieses Mal nicht wie so oft in früheren Wahlen an eine andere Partei zu vergeben – meist profitierte die Union. Die Partei will in die heiße Wahlkampfphase hinein offenkundig das Signal geben, man trete auch koalitionspolitisch ganz eigenständig auf. FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte dem Tagesspiegel, seine Partei wolle „der starke Anwalt für die Mitte der Gesellschaft“ sein. „Deshalb werben wir selbstbewusst um alle Stimmen für die Freiheit. Es ist nicht die Zeit, taktisch zu wählen. Sondern es kommt auf die Inhalte an.“ Gerade in der aktuell unübersichtlichen Lage für die Wählerinnen und Wähler werbe die FDP als eigenständige Kraft um jede Stimme.
Der Union wird's nicht gefallen
Das dürfte nicht wenigen Bewerbern und Bewerberinnen der Union derzeit nicht gefallen. Denn in vielen Wahlkreisen geht es recht knapp zu nach den aktuellen Prognosen auf Basis der Umfragen. Nicht wenige Direktkandidaten von CDU und CSU müssen damit rechnen, das noch vor Wochen sicher geglaubte Wahlkreismandat doch nicht zu gewinnen. Und wenn nun FDP-Wähler nicht splitten, fehlen möglicherweise noch einige Stimmen mehr. Umgekehrt könnet es aber weiterhin so sein, dass nicht wenige Unions-Anhänger aus Unzufriedenheit mit der eigenen Partei dieses Mal mit der Zweitstimme FDP wählen – womit Parteichef Christian Lindner durchaus kalkuliert.
Allerdings kann die „Alle-Stimmen-Kampagne“ der FDP eine weitere Nebenwirkung haben. Der Bundestag könnte am Ende nicht ganz so groß werden wie befürchtet. Denn das Splitting von FDP-Anhängern zugunsten der Union hat stets bedeutet, dass die Überhanggefahr steigt. FDP-Leihstimmen zugunsten erfolgreicher CDU- und CSU-Direktkandidaten bedeuten ja immer, dass der Erststimmenanteil größer ist als der bei den Zweitstimmen. Ein Teil der Überhangproblematik ging bisher immer auch auf schwarz-gelbes Splitting zurück. Und so könnte Lindner beiläufig auch damit werben, dass beide Stimmen für die FDP mit Blick auf die Bundestagsgröße und die Kosten eines aufgeblähten Parlaments dem Steuerzahler einige Dutzend Millionen Euro ersparen.