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Uigurische Frauen arbeiten im Jahr 2012 in einer Textilfirma in Xinjiang in China.
© Reuters

Zulieferer deutscher Firmen betroffen: China soll zehntausende Uiguren als Zwangsarbeiter einsetzen

Erst Umerziehungslager, nun Zwangsarbeit: Eine Studie wirft China massive Ausbeutung von Uiguren vor – in Fabriken, die auch deutsche Firmen beliefern.

Chinas Regierung ist mehrfach international für den Umgang mit der muslimischen Volksgruppe der Uiguren angeprangert worden – nun wirft der Bericht eines australischen Thinktanks ein weiteres Schlaglicht auf Pekings offenbar skrupelloses Vorgehen. Nach Recherchen des Australian Strategic Policy Institute (Aspi), die am Sonntag veröffentlicht wurden, werden zehntausende Uiguren jetzt im gesamten Land gezwungen in Fabriken zu arbeiten, die auch internationale Firmen beliefern.

Offenbar setzen auch Zulieferer von BMW, VW oder Bosch Uiguren ein

Auf der Liste der fünf Autoren des Aspi-Berichts stehen insgesamt 83 Weltmarken aus dem Technologie-, Bekleidungs- und Automobilsektor  – darunter Apple, Gap, Huawei, Nike, Samsung, Sony und auch deutsche Konzerne wie unter anderem BMW, VW, Bosch, Siemens oder Adidas.

In China leben schätzungsweise zehn Millionen Uiguren, die meisten in der Provinz Xinjiang im äußersten Westen des Landes. Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.

Seit 2017 sollen mehr als eine Million Uiguren und Angehörige anderer türkisch-muslimischer Minderheiten in einem riesigen Netzwerk von "Umerziehungslagern" in Xinjiang verschwunden sein. Berichten von Menschenrechtlern zufolge werden die Gefangenen einer politischen Indoktrination unterzogen, zur Aufgabe ihrer Religion und Kultur gezwungen und in einigen Fällen auch gefoltert. Wie die Aspi-Forscher schreiben, sprechen Experten von einem "von der Regierung geleiteten Programm des kulturellen Völkermords".

Im Aspi-Bericht der Wissenschaftler Vicky Xiuzhong Xu, Danielle Cave, James Leibold, Kelsey Munro und Nathan Ruser heißt es: "Die 'Umerziehungskampagne' scheint in eine neue Phase einzutreten, da Regierungsbeamte nun behaupten, dass alle 'Auszubildenden' einen 'Abschluss' gemacht hätten."

Die Forscher gehen davon aus, dass zwischen 2017 und 2019 mehr als 80.000 Uiguren aus Xinjiang in Fabriken in ganz China verlegt wurden. Einige von ihnen sollen demnach direkt aus Gefangenenlagern geschickt worden sein. Diese Schätzung sei konservativ: "Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen."

Der Bericht zeige, "dass einige Fabriken in ganz China uigurische Zwangsarbeiter im Rahmen eines staatlich geförderten Arbeitstransfers einsetzen". Dahinter stehe ein Programm, das die Regierung für den Transfer von Arbeitskräften aufgelegt habe. Titel: "Xinjiang Aid" – "Hilfe für Xinjiang".

27 Fabriken in neun Provinzen in China sollen Zwangsarbeiter einsetzen

Die Aspi-Forscher schreiben, sie hätten 27 Fabriken in neun chinesischen Provinzen identifiziert, die seit 2017 aus Xinjiang versetzte uigurische Arbeitskräfte einsetzen. "Diese Fabriken geben an, Teil der Lieferkette von 83 bekannten globalen Marken zu sein", heißt es im Bericht.

Für die Uiguren sei es extrem schwierig, diese Arbeitseinsätze zu verweigern oder sich ihnen zu entziehen, da ihnen dann Inhaftierung drohe. Anhand von drei Fallbeispielen schildern die Forscher konkret die Lebens- und Arbeitsbedingungen der betroffenen Uiguren.

Verwaltungsmitarbeiter und Vermittler bekommen offenbar Kopfgeld

Lokale Verwaltungsmitarbeiter und private Vermittler bekämen für den Transfer der Arbeitskräfte Geld, schreiben die Autoren. Die Provinzregierung in Xinjiang zahle einen bestimmten Betrag für jeden vermittelten Uiguren. Sie würden oft in gesonderten Zügen gruppenweise durchs Land geschickt und nach Ablauf ihres Vertrags nach einem Jahr oder länger auf demselben Weg wieder zurückgeholt.

„Berufsbildungszentrum“ für Uiguren in Dabancheng in Xinjiang.
„Berufsbildungszentrum“ für Uiguren in Dabancheng in Xinjiang.
© Thomas Peter/Reuters

Die Aspi-Forscher schreiben, ihr Bericht liefere Beweise "für die Ausbeutung uigurischer Arbeitskräfte und die - möglicherweise unwissentliche - Beteiligung ausländischer und chinesischer Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen".

Die Forscher berufen sich bei ihren Recherchen auf Zulieferlisten, Satellitenbilder, Medienberichte und andere öffentlich zugängliche wissenschaftliche Quellen. Das Australian Strategic Policy Institute besteht seit 2001 als nach eigenen Angaben unabhängiger Thinktank, der die australische und internationale Öffentlichkeit über politisch-strategische Themen aufklären will.

Aspi-Forscher fordern von Firmen Überprüfungen der Lieferketten

Die Aspi-Forscher schreiben, sie hätten sich an die betroffenen 83 Unternehmen gewandt, um die Angaben zu verifizieren. Eine kleine Anzahl von Marken will demnach die Beziehungen zu ihren betroffenen Lieferanten im Jahr 2020 beenden. "Andere, darunter Adidas, Bosch und Panasonic, gaben an, dass sie keine direkten vertraglichen Beziehungen zu den in die Arbeitsprogramme involvierten Lieferanten hätten, aber keine Marke könne ein Glied weiter unten in ihrer Beschaffungskette ausschließen", heißt es im Bericht.

Nach Ansicht der Aspi-Forscher könnten Unternehmen, die uigurische Zwangsarbeiter in ihren Lieferketten einsetzen, "gegen Gesetze verstoßen, die die Einfuhr von Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, verbieten oder die Offenlegung der Risiken von Zwangsarbeit in der Lieferkette vorschreiben". Die im Bericht aufgeführten Unternehmen sollten "eine sofortige und gründliche menschenrechtliche Due-Diligence-Prüfung ihrer Fabrikarbeit in China durchführen".

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