Mögliche große Koalition: CDU drängt, SPD will sich Zeit lassen
Nach dem Treffen von Union und SPD beim Bundespräsidenten wollen es die Sozialdemokraten langsam angehen lassen. Führende CDU-Politiker hingegen wollen keine Zeit verlieren.
Nach dem mit Spannung erwarteten Gespräch der Spitzen von CDU, CSU und SPD beim Bundespräsidenten beraten die Parteiengremien am Freitag intern über die Möglichkeiten für eine große Koalition. Der frühere SPD-Chef und geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel sieht seine Partei nicht unter Zeitdruck. „Keiner darf erwarten, dass das schnell geht“, sagte er am Donnerstagabend im ZDF mit Blick auf mögliche Sondierungen. Die Union forderte er auf, jetzt zu zeigen, „was sie denn will“.
Auch SPD-Vize Olaf Scholz sagte, seine Partei werde sich Zeit lassen. Deutschland habe eine geschäftsführende Regierung, so Hamburgs Erster Bürgermeister in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstagabend. „Die Frage, was zu tun ist, kann deshalb auch sehr sorgfältig hin und her gewogen werden.“
Grosse-Brömer fordert zügige Aufnahme von Verhandlungen
Der parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), drängte dagegen zur Eile. CDU/CSU und SPD sollten „jetzt möglichst rasch“ Koalitionsverhandlungen aufnehmen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Oldenburger „Nordwest-Zeitung“. „Denn Politiker und Parteien werden gewählt, um zu gestalten, und nicht, um sich mit sich selbst zu beschäftigen.“ Zuvor hatte auch Innenminister Thomas de Maizière eine schnelle Regierungsbildung angemahnt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Abend mehr als zwei Stunden lang mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, dem SPD-Vorsitzende Martin Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer gesprochen. Über Inhalte wurde zunächst Stillschweigen vereinbart. Die Vorsitzenden wollten am Freitag erst ihre Parteien informieren.
Der Bundespräsident wollte mit dem Treffen erreichen, dass nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen offizielle Gespräche zwischen CDU, CSU und SPD in Gang kommen. Die Unionsspitze befürwortet eine Fortsetzung der großen Koalition, um angesichts der Probleme in Deutschland und der internationalen Krisen eine stabile Regierung zu bilden. Die SPD hatte sich nach ihren dramatischen Verlusten bei der Bundestagswahl zunächst auf die Oppositionsrolle festgelegt. Inzwischen schließt sie die Duldung einer Minderheitsregierung der Union oder eine Fortsetzung von Schwarz-Rot nicht mehr aus.
"Zeiten, welche mutige Entscheidungen verlangen“
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand, verweist auf die Alternative Minderheitsregierung. Große Koalitionen müssten die Ausnahme sein und dürften nur geschlossen werden, wenn sie große Reformprojekte anpacken. Eine Minderheitsregierung wäre zwar kein Projekt für vier Jahre, sagte er. „Sie wäre jedoch eine zeitlich befristete Alternative zum drohenden Stillstand und programmatischen Rückschritt innerhalb einer großen Koalition, welche selber keine eigene Mehrheit im Bundesrat hätte“, sagte er der „Heilbronner Stimme“. Deutschland habe damit bisher keine Erfahrung. „Aber wir leben auch in besonderen Zeiten, welche mutige Entscheidungen verlangen.“
Die Nachwuchsorganisationen von Union und SPD liegen in ihren Positionen zu einer großen Koalition weit auseinander. Juso-Chef Kevin Kühnert sagt dem ARD-Morgenmagazin, seine Organisation lehne ein solches Bündnis "aus ganz prinzipiellen, auch inhaltlichen Erwägungen" kategorisch ab. Junge-Union-Chef Paul Ziemiak sagt dagegen "Ja" zu einer großen Koalition - "aber nicht um jeden Preis".
Der frühere grüne Vizekanzler Joschka Fischer lehnt eine Minderheitsregierung für Deutschland vehement ab. „Deutschland kann man nicht wie in einem Probierstübchen regieren“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Deutschland sei für „derlei Schnickschnack“ zu wichtig und dürfe Europa nicht in eine Unberechenbarkeit stürzen. Merkel will unbedingt eine Minderheitsregierung und eine Neuwahl vermeiden - auch deshalb, weil sie ihren innerparteilichen Kritikern keine neue Nahrung geben will.
Lindner: "Stabiler und günstiger als Jamaika"
Schulz muss, nachdem er die SPD zunächst auf die Oppositionslinie eingeschworen hatte, nun in den eigenen Reihen ausloten, inwieweit auch andere Optionen möglich sind - eine Neuauflage der großen Koalition oder eine Duldung einer CDU/CSU-Minderheitsregierung. Nach wie vor sei alles offen, sagte er wiederholt. FDP-Chef Christian Lindner hält eine große Koalition jedenfalls für besser als ein Jamaika-Bündnis unter Einschluss der FDP. „In jedem Fall wäre eine große Koalition stabiler und günstiger als Jamaika“, sagte Lindner der „Rheinischen Post“.
Der Wirtschaftsweise Lars Feld hingegen sagte dem "Focus", eine große Koalition werde in jedem Fall teurer als ein Bündnis der Union mit Beteiligung der FDP. "Es drohen gerade in der Sozialpolitik, beispielsweise bei der Rente, und in der Europapolitik milliardenschwere Mehrausgaben."
Die Linke kann nach den Worten ihrer Parteivorsitzenden Katja Kipping profitieren, wenn die SPD die große Koalition mit der Union fortsetzen sollte. Eine SPD im Korsett der großen Koalition „macht einen Platz frei, den die Linke von links besetzen sollte“, sagte Kipping der Deutschen Presse-Agentur. Sie fügte hinzu: „Wir bieten denen eine politische Heimat, die die GroKo-Politik der sozialen Verunsicherung korrigiert sehen wollen.“ Der Vorsitzende der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, riet seiner Partei, nicht voreilig an die Macht zu streben. Der Tag für die Übernahme von Regierungsverantwortung werde zwar kommen. „Das können wir aber erst, wenn wir auf Augenhöhe mit den anderen Parteien sind, wie unsere österreichischen Partner von der FPÖ“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.
Lediglich 22 Prozent der Deutschen wünschen sich einer Erhebung zufolge eine Neuauflage der großen Koalition. Knapp jeder zweite Befragte (48 Prozent) rechnet allerdings trotzdem damit, dass es wieder dieses Bündnis geben wird, wie eine Insa-Umfrage für die "Bild" ergibt. 30 Prozent wünschen sich demnach Neuwahlen, aber nur 20 Prozent rechnen damit. (mes, dpa, Reuters)