Corona-Pandemie in den USA zieht wieder an: Bundesstaaten brechen Lockerungen ab
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen nimmt im Süden und Westen der USA rasant zu. Auch die Zahl schwerer Covid-19-Verläufe steigt.
Ein Feuerwerk, eine große Feier in Washington D.C. und Flugzeug-Shows über mehreren US-Städten - so sehen laut Präsident Donald Trump die offiziellen Pläne für den 4. Juli, den Nationalfeiertag der USA aus. Der Tag soll ein Fest werden, so wie jedes Jahr.
Wie Trump in diesen Tagen allerdings in Feierlaune kommen will bleibt sein Geheimnis. Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in den USA steigt gerade steil an. Beängstigend steil.
Am Freitag meldete die dem US-Gesundheitsministerium unterstellte Behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) 44.602 bestätigte Neuinfektionen, die bislang größte Zunahme innerhalb eines Tages seit Beginn der Pandemie. Auch über das Wochenende blieben die Zahlen unverändert hoch mit 41.075 neuen Fällen am Sonntag.
Die 2,5 Millionen Marke an Infektionen hat das Land inzwischen überschritten. Besonders rasant vollzieht sich die Ausbreitung des Virus in den südlichen Bundesstaaten: Florida, Texas und Arizona, aber auch an der Westküste in Kalifornien.
Hatte Florida bis Ende Mai bis auf wenige Ausreißer fast immer weniger als 1000 Neuinfektionen pro Tag, steigt die Zahl seit Anfang Juni täglich. Am Samstag meldeten die Behörden für den Bundesstaat einen neuen Rekord: 9.585 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Innerhalb von gerade Mal zwei Wochen hat sich diese Zahl damit verfünffacht, wie die „New York Times“ berichtet.
Infizierten-Zahlen in Florida wie in New York im April
Die Zeitung schreibt außerdem, dass ein Drittel der Patienten, die in den vergangenen zwei Wochen in das wichtigste öffentliche Krankenhaus Miamis eingeliefert wurden (zum Beispiel wegen Autounfällen) positiv auf das Virus getestet wurden. Das zeigt wie Verbreitung Corona inzwischen ist.
In Orlando in Florida zum Beispiel scheint das Virus erst jetzt richtig zuzuschlagen: Laut „NYT“ wurden dort fast 60 Prozent aller bisher registrierten Fälle erst in den vergangenen zwei Wochen verzeichnet.
Der Rekord vom Wochenende in Florida entspricht etwa den Höchstständen der täglichen Fälle in New York Anfang April. New York war damals Krisenherd der Pandemie. An die Zustände in den überfüllten Krankenhäusern und einer stark ansteigenden Zahl an Corona-Toten, erinnern sich viele Bewohner der Stadt immer noch mit Grauen.
Floridas Gouverneur Ron De Santis führt den Anstieg der Fallzahlen laut CNN auf zahlreiche Abschlussfeiern und mangelnde soziale Distanz zurück. Vor allem junge Menschen (zwischen 18 und 44 Jahren) seien in dem Bundestaat in den vergangenen Tagen positiv getestet worden.
Auf Fotos und Videos aus Florida sind volle Strände, Restaurants und Bars zu sehen. Kritiker machen eine zu rasche Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen für die Entwicklung verantwortlich.
Neben Florida verzeichnete zuletzt auch der US-Bundestaat Arizona den größten Tagesanstieg seit Beginn der Pandemie. Die Zahl der nachgewiesenen Fälle habe sich binnen eines Tages um 3857 erhöht, teilen die Gesundheitsbehörden mit. Wie die "New York Times" berichtet, drohen hier die Betten auf den Intensivstationen knapp zu werden.
Der Gouverneur von Arizona, Doug Ducey, hat daraufhin Bars, Fitness-Studios, Kinos und Wasserparks für die kommenden 30 tage geschlossen. Veranstaltungen dürfen eine Größe von 50 Personen nicht überschreiten, berichtet die "New York Times". Eine Maskenpflicht oder Ausgehbeschränkungen gibt es vorerst nicht.
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Während sich Trump weiter mit seinen Feierlichkeiten beschäftigt, hat Florida nun erste Konsequenzen gezogen. Carlos A. Gimenez, Bürgermeister von Miami-Dade County, sagte am Wochenende laut CNN: „Wenn die Menschen nicht verantwortungsbewusst handeln und sich und andere vor dieser Pandemie schützen wollen, dann ist die Regierung gezwungen, einzugreifen und den gesunden Menschenverstand wiederherzustellen, um Leben zu retten."
Am Freitag verbot Florida den Verkauf von Alkohol in Bars. Mehrere Bezirke in Florida wollen zudem die Strände am Wochenende um den 4. Juli herum schließen. Dazu gehören unter anderem die Strände in Miami, Fort Lauderale und Palm Beach.
Texas ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Hier hat man Bars ganz geschlossen. Der Bundesstaat hatte zuletzt pro Tag rund 5000 bis 6000 Neuinfektionen gemeldet. Nach Ansicht von Gouverneur Greg Abbott habe die Pandemie in den vergangenen Wochen „eine sehr schnelle und sehr gefährliche Wende“ genommen.
Er forderte die Bürger des südlichen Bundesstaats bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vizepräsident Mike Pence auf, so viel wie möglich zuhause zu bleiben.
In Kalifornien meldeten die Behörden zuletzt rund 5000 bis 6000 bestätigte Neuinfektionen pro Tag. Insgesamt gibt es einen Anstieg von neuen Fällen um fast 50 prozent im vergleich zur vergangenen Woche. Auch hier greift man zu ersten Eindämmungsmaßnahmen: Gouverneur Gavin Newsom hat erneut die Schließung der Bars in Los Angeles und sechs weiteren Bezirken des US-Westküstenstaats angeordnet.
[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]
Neben Los Angeles müssen die Bars in Fresno, Imperial, Kern, Kings, San Joaquin und Tulare schließen, wie Newsom am Sonntag bei Twitter mitteilte. Die Bars in Los Angeles - der zweitgrößten Stadt der USA - waren erst am 19. Juni wieder geöffnet worden. US-Vizepräsident Mike Pence zog aus den ansteigenden Zahlen sogar persönliche Konsequenzen: Seine Wahlkampf-Termine in Arizona und Florida wurden abgesagt.
Insgesamt haben inzwischen laut "New York Times" mindestens ein Dutzend Bundesstaaten angekündigt die Lockerungen zu Unterbrechen oder sogar zurückzunehmen.
Azar: „Eine sehr, sehr ernste Situation“
Bars und Strände vorübergehend schließen - wird das ausreichen? Steuern die USA gerade in eine zweite Corona-Welle? Oder befinden sie sich womöglich schon mittendrin? Oder war die erste nie richtig vorbei?
Der prominente US-Virologe und Regierungsberater Anthony Fauci reagierte höchst besorgt auf den rapiden Anstieg von Corona-Infektionen in vielen Bundesstaaten. „Wir haben in bestimmten Gebieten ein ernstes Problem", sagte Fauci am Freitag bei einer Pressekonferenz der Coronavirus-Taskforce der US-Regierung. „Wir können das nur gemeinsam durchstehen.“
Auch die Chefin der US-Gesundheitsbehörde CDC, Anne Schuchat, schlug Alarm: "Ich glaube, da war viel Hoffnung im Spiel und das Land dachte, der Sommer kommt und alles wird gut und wir sind damit fertig. Aber wir sind nicht im geringsten fertig damit." Bei den Neuinfektionen sei die hohe Zahl an jungen Menschen auffallend, sagte sie. Schuchat fürchtet, dass die es an Ältere weitergeben und in der Folge die Zugänge in die Kliniken wieder gefährlich ansteigen.
"Das ist also erst ein Anfang", sagte sie. "Ich hoffe, wir nehmen das ernst und können die Verbreitung verlangsamen." Tatsächlich zeigen Daten der "Washington Post" schon jetzt eine Zunahme an ernsten Krankheitsverläufen in einigen Bundesstaaten: So sind die Zahlen der Covid-19-Patienten in Kliniken in Texas, Nevada, South Carolina, Montana, Georgia und Kalifornien im Vergleich mit der vergangenen Woche um ein Viertel gestiegen.
Trumps Gesundheitsminister Alex Azar warnte am Sonntag gegenüber dem Sender CNN, dass sich für die USA das Fenster schließe, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. „Die Dinge sind ganz anders als vor zwei Monaten... Es ist also eine ganz andere Situation, aber dies ist eine sehr, sehr ernste Situation.“
Azar sprach sich deshalb dafür aus, mehr zu testen, Kontakte nachzuverfolgen und die Krankenhauskapazitäten zu erhöhen. Dass allerdings eine zu schnelle Lockerung mit den Anstieg zusammenhängt, bestritt er. „Unangemessenes individuelles Verhalten“ machte er stattdessen dafür verantwortlich.
Wegen der neuen Rekordzahlen wächst auch der Druck auf US-Präsident Donald Trump, mit gutem Beispiel voranzugehen und Schutzmasken zu tragen. Sogar in Trumps eigenem Lager mehren sich die Stimmen, die sich nicht nur für das Tragen von Masken als Schutz gegen das Virus aussprechen, sondern auch vom Präsidenten verlangen, dass er seine Haltung gegenüber dem Mundschutz ändert.
„Es wäre hilfreich, wenn der Präsident von Zeit zu Zeit eine Maske tragen würde", sagte der republikanische Senator Lamar Alexander gegenüber CNN. Dies würde dazu beitragen, eine gefährliche Debatte zu entschärfen: Bisher sei es so, dass "wenn man für Trump ist, man keine Maske trägt und wenn man gegen Trump ist, man eine trägt".
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 30.6 um 10:30 Uhr mit aktuellen Zahlen und Aussagen ergänzt. (mit AFP/dpa)